Kein Abschluss ohne Anschluss

  12.05.2017 Bildung, Burgdorf, Bildung / Schule, Gesellschaft

«Es herrscht Fachkräftemangel in der Schweiz», erklärt Walter Gerber, Präsident des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern, Sektion Burgdorf-Emmental (HIV). Die Sektion umfasst rund 500 Mitglieder und deren circa 15 000 Mitarbeitende in ganz unterschiedlichen Berufssparten.

Lehre als solide Basis
Für alle gilt der Grundsatz, dass nur dann erfolgreich gewirtschaftet werden könne, wenn genügend ausgebildete Fachleute verfügbar sind. «Die Mitarbeiter/innen sind unser Kapital. Wir müssen sie ausbilden und als Kader nachziehen. Entsprechend ist Bildung für den HIV und unsere drei Vertreter dieser Aktion ‹1000 Chancen› ein zentraler Punkt. Leider haben viele Betriebe Mühe, ihre Lehrstellen zu besetzen. Einer der Gründe ist, dass bezüglich der Berufschancen vielerorts Unkenntnis über die weiterführenden Ausbildungsmöglichkeiten besteht», so Gerber. Noch immer geistert die Vorstellung herum, nach einer Lehre sei der Zug abgefahren; auf diesem Beruf bleibt der Lehrling bis zur Pensionierung hängen. Dem will der HIV entgegenwirken, aufklären und über die zahlreichen weiterführenden Bildungschancen informieren.
Regula Gloor, CEO und Inhaberin der Gebrüder Gloor AG in Burgdorf, weist als Initiantin und Begleiterin der Aktion «1000 Chancen» auf die Bedeutung der dualen Berufsbildung hin, die heutzutage unbestritten ist. «Zahlreiche Delegationen aus allen Teilen der Welt sammeln bei uns Informationen und sind begeistert vom breit gefächerten Weiterbildungsangebot bis zum Studium», hält sie fest. «Nicht zuletzt wegen der sehr tiefen Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz aufgrund dieses Ausbildungssystems.» Dabei wolle niemand die gymnasiale Ausbildung infrage stellen.

Niedrige Jugendarbeitslosigkeit
Andererseits sei vielen Eltern und Kindern nicht bewusst, welche Chancen ihnen bei einer Berufslehre offenstehen. «Um etwas zu erreichen, konzentrieren sich vor allem Eltern (mit oder ohne akademische Ausbildung) aufs Gymnasium, auch wenn die Kinder mit einem anderen Berufsweg besser fahren würden. Nachhilfestunden und anderes mehr kommen zum Zug, alle sind überfordert und laufen jahrelang am Limit. Auch Familien mit Migrationshintergrund sind mit Blick auf ihre Heimatländer oft überzeugt, dass nur eine gymnasiale Ausbildung Zukunfts­chancen für ihre Kinder garantiert. In Italien besuchen über 75 Prozent der Jugendlichen das Gymnasium, in Finnland rund 90 Prozent. Wir wollen diesen ausländischen Eltern vermitteln, was eine Berufslehre ist und welche Chancen ihre Kinder anschliessend haben. Wir möchten weniger mittelmässige Gymnasiasten, dafür gute Lehrabgänger.»
Der Vortrag von Rudolf Strahm über sein Buch «Die Akademisierungsfalle» vom letzten Jahr hat den Anstoss gegeben, die Aktion «1000 Chancen» aufzugleisen. Darin wird aufgearbeitet, «warum nicht alle an die Uni müssen und warum die Berufslehre top ist». Strahm stellt einen Zusammenhang her zwischen der niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz und der dualen Lehre (praktische Ausbildung im Betrieb und Berufsschule) sowie den weiterführenden Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten bis zum Studium. «Eine Lehre als solide Ausbildung dient als Fundament für Kaderleute. Nur gute Ideen und sachgerechte Umsetzung garantieren Innovationserfolge.»

Zwei Drittel über eine Lehre
Dazu kommt, gemäss Regula Gloor, dass «heute eine Berufslehre anders abläuft als vor 30 Jahren». Sie weist auf «die Möglichkeit einer gleichzeitig zu absolvierenden Berufsmatur hin, auf Fach- und Fachhochschulen. Der Leitsatz lautet: Kein Abschluss ohne Anschluss. Das beinhaltet ein völlig anderes Karrieresprungbrett nach einer Lehre. Heute kann man wirklich sagen: Mit einer Berufslehre sind alle Türen offen für eine Karriere bis an die Spitze». Die Chefin der Gloor AG hat nach einem Rundblick bei ihren HIV-Kolleginnen und -Kollegen festgestellt, dass zwei Drittel davon den Weg über eine Lehre eingeschlagen haben. Das sei der beste Beweis, dass es sich bei der Empfehlung für eine Lehre nicht um Theorie, sondern um die Realität handle.
Niemand kann Schüler/innen und Lehrer/innen besser überzeugen als Personen aus dem Umfeld von Schulen und Lehrbetrieben, die ihren beruflichen Werdegang bis an die Spitze aufzeigen. Entsprechend zeigt die Broschüre «1000 Chancen», die jetzt so breit wie möglich platziert werden soll, die Lebensläufe von sechs Personen, die es nach einer Lehre bis an die Spitze geschafft haben. Vielen dürften die Namen und die Unternehmen bekannt sein.

Stärken gezielt fördern
Der frühere HIV-Präsident Roland Loosli, CEO der Albiro Gruppe Sumiswald, erläutert als einer der sechs in der Broschüre Aufgeführten seinen Werdegang nach einer Berufslehre bis zum Leiter des Unternehmens. Er betont, dass die im Betrieb auszubildenden Lernenden mit unterschiedlichen Interessen und Stärken ihre Lehren beginnen und relativ schnell merken, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Hier gelte es zu unterstützen, zu fördern und gelegentlich zu fordern. «Wichtig ist jedoch, dass nach jedem Abschluss ein Anschluss offensteht.»
Der HIV Burgdorf-Emmental wird die jetzt vorliegenden 2000 Broschüren bei seinen 500 Mitgliedern, in Schulen und Berufsschulen, Schulkommissionen, bei Berufsberatern sowie an Ausbildungsmessen verteilen. Ideal wäre, wenn in den Schulen in den 8. Klassen die Broschüren verteilt würden.

Gerti Binz
Weitere Infos: hiv-emmental@bern-cci.ch.


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