Vorderhand kein Handlungsbedarf trotz hoher Defizite
29.10.2018 Aktuell, Politik, Wirtschaft, Foto, RegionAn der letzten Stadtratssitzung hat die SP-Fraktion eine dringliche Interpellation betreffend eventuelle Rückforderungen von Mitteln und Gegenständen (MiGeL) thematisiert. Ende 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Krankenkassen keine Pflegematerialien vergüten müssen, wenn Patienten durch Dritte versorgt werden. Eine Vergütung erfolge künftig nur noch, wenn die Patienten selber in der Lage seien, die Materialien anzuwenden.
Es geht um hohe Summen
Von verschiedenen Seiten ist moniert worden, dass dies für die Spitex-Organisationen eine bedeutende Umsatzeinbusse bedeute, da die für eine korrekte Versorgung notwendigen Materialien durch diese gestellt werden müssten. Für nicht wenige Spitex-Organisationen droht weiteres Ungemach: Der Krankenkassenverband santésuisse lässt verlauten, die in den letzten Jahren zu viel bezahlten Kosten gemäss dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zurückfordern zu wollen.
Die SP nennt einen jährlichen Ertragsausfall bei der Spitex Burgdorf-Oberburg von 70 000 bis 100 000 Franken, bei der Spitex Lueg von 200 000 bis 250 000 Franken und allfällige Rückforderungen bei der Spitex Lueg von bis zu 250 000 Franken. Zudem warnt sie, dass derzeit keine MiGeL-Leistungen mehr vergütet werden, was zu kritischen Situationen in der häuslichen Pflege führen kann.
Laut Gemeinderätin Charlotte Gübeli, Ressort Soziales, hat der Gemeinderat die dringliche Interpellation dahingehend beantwortet, dass «er momentan keine Notwendigkeit sieht, die lokalen Spitex-Organisationen kurzfristig finanziell zu unterstützen. Derzeit übernimmt der Kanton die infrage stehenden Kosten. Für die Jahre 2015 – 2016 haben die Mitglieder ihren Krankenkassen noch die höheren Beiträge bezahlt, bei denen MiGeL eingeschlossen war. Diesbezüglich können die Krankenkassen keine Rückforderungen stellen. Die anfallenden Kosten per 2017 übernimmt der Kanton. Auch für das laufende Jahr steht der Kanton in der Pflicht. Aber irgendwo müssen die Kosten ja eingespart werden. Das bedeutet, dass diese auf Umwegen wieder zurück an die Gemeinden geschoben werden», befürchtet sie.
Geeignetes Verbandsmaterial unterstützt die Heilung
Charlotte Gübeli betont, dass dieses Problem sämtliche Gemeinden im Kanton Bern betrifft: «Alle Spitex-Organisationen, alle Heime, Spitäler, Wundpflegerinnen, alle entsprechenden Institutionen sind betroffen. Daher ist es meiner Meinung nach nicht nötig, dass wir in Burgdorf diesbezüglich eine Lösung finden müssen. Eine solche muss auf kantonaler Ebene ausgearbeitet werden.» Auch sie stört sich daran, dass Personen – die sich selber «verarzten» können, das Material bezahlt bekommen. Bei denen, welche diese Handhabungen nicht mehr selber vornehmen können und sich entsprechend in einer höheren Pflegestufe befinden, sind die Materialien gemäss Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in der Pauschale enthalten. Was nicht wenige bestreiten, denn diese Pauschale decke laut Fachpersonal «einfach nicht den Materialaufwand und die benötige Zeit für die Versorgung».
Als erste Sparmassnahme befürchtet die Gemeinderätin, dass künftig weniger teures und die Wundheilung unterstützendes Material verwendet werde, um die Kosten zu minimieren. Was wahrscheinlich eine längere Krankheitsdauer bedeute. Als Beispiel nennt die promovierte Apothekerin «die Versorgung eines offenen Beines, bei der genau abgestimmtes Material eine grosse Rolle für die Heilung spielt». Bei der Spitex Burgdorf-Oberburg wird Pflegematerial künftig durch eigenes Personal bestellt, um bereits beim Einkauf so weit wie möglich zu sparen.
In der Stadtratssitzung sind für die Spitex Burgdorf-Oberburg künftige Mindererträge von rund 350 000 Franken pro Jahr genannt worden. Entsprechend hält der Gemeinderat in seiner Antwort abschliessend fest, er sehe «keine Möglichkeit zu verhindern, dass die Bevölkerung von Burgdorf kurzfristig auf Leistungen verzichten muss». Sollte eine Klärung dieser Situation zugunsten von Heimen und Spitex-Organisationen nicht möglich sein, würde «das die Zukunft der Spitex-Organisationen und das Modell ‹ambulant vor stationär› nicht nur in der Stadt Burgdorf, sondern im ganzen Kanton Bern ernsthaft infrage stellen».
Gerti Binz