Wertvoll als strategische Landreserve

  23.10.2018 Aktuell, Foto, Wirtschaft, Utzenstorf, Gesellschaft, Region

Nur für diese Info-Veranstaltung lässt die Gemeinde Utzenstorf den eigentlich wegen eines Wasserschadens auf Wochen unbenutzbar gewordenen Saal im Mehrzweckgebäude herrichten. Schnell zeigt sich, dass die Bestuhlung für 400 Personen nicht ausreichend sein wird; schliesslich warten rund 450 Männer und Frauen auf die Informationen der Vertreter von Gemeinde, Papierfabrik Utzenstorf und Migros Aare. Und sie haben zahlreiche Fragen, wie sich nach den offiziellen Erläuterungen in der anschliessenden Diskussionsrunde zeigt.
Laut Beat Singer, Gemeinderatspräsident Utzenstorf, «haben wir durchaus das grosse Interesse der Bevölkerung bezüglich der künftigen Verwendung des ‹Papieri›-Areals gespürt.» Aber auch in den Bevölkerungskreisen der umliegenden Gemeinde möchte man genau wissen, wie es hier weitergeht. Entsprechend kann Singer seine Amtskollegen aus Bätterkinden, Wiler und Zielebach begrüssen, die teilweise mit weiteren Gemeinderats- und Kommissionskollegen sowie Baufachleuten und weiteren Spezialisten erschienen sind.

Schmerzhaftes Aus nach 125 Jahren
Tomas Lauter, Mitglied der Geschäftsleitung Papierfabrik Utzenstorf, nennt in seinem Rückblick Zahlen zur Firmengeschichte wie die Gründung im Jahr 1892, die Errichtung der Holzschleiferei 1929 und die Konzentration auf Zeitungsdruckpapier 1939. Die erste Altpapieraufbereitung erfolgt 1964, die biologische Kläranlage entsteht 1972 und das Altpapiersortierwerk 1973. Es folgen weitere Modernisierung, bis die «Papieri» 1997 von der finnischen Myllykoski übernommen wird. 2009 erlangt die Firma durch ein Management-Buy-out die Eigenständigkeit zurück. «Die Refinanzierung nach dem Eurocrash im Januar 2015 hatte weitreichende Folgen für das Unternehmen», führt Lauter aus. Ende 2017 stehen mit wenigen Ausnahmen alle Mitarbeitenden auf der Strasse. Früher haben hier 200 Personen Arbeit gefunden. Damit enden auch die rund 200 Lastwagenfahrten pro Tag. Nur das Altpapiersortierwerk wird durch APS (Perlen Papier) weiter betrieben.
Derzeit läuft die Deinstallation, der Verkauf oder nötigenfalls die Verschrottung der Maschinen und der Rückbau der Gebäude, sofern sie sich nicht für eine Weiterverwendung eignen. Lauter erläutert anhand einer mehrfarbigen Karte die einzelnen Positionen. «Anlageverwertung und Rückbau der Gebäude erfolgt durch Java Rückbau + Recycling AG in Riedholz sowie Geotest AG Zollikofen, beides erfahrene Unternehmen in dieser Spezialsparte», betont er. Da für Gebäuderückbauten Genehmigungen nötig sind, arbeite man eng mit den Utzens­torfer Behörden zusammen. «Ende 2022 übergeben wir das 320 000 Quadratmeter grosse Areal als grüne Wiese an die Migros Aare.»

Kein Einkaufszentrum, keine Wohn­überbauung
Heinz Rüedi, Leiter Direktion Entwicklung, Bau & Betrieb bei der Genossenschaft Migros Aare, zeigt sich «beeindruckt von dem immensen Publikumsaufmarsch. Trotzdem kann ich heute noch nicht mit Detailinformationen aufwarten, jetzt benötigen wir erst einmal ausreichend Planungszeit.» Er verweist auf den seit 1964 in Utzenstorf vorhandenen Migros-Supermarkt, der weiterhin am gleichen Standort bleiben wird. Dann betont er ausdrücklich: «Die Migros Aare plant ab 2023 auf der ‹Grünen Wiese› kein Einkaufszentrum, keinen Supermarkt, keine Wohnüberbauuung.
Dieses letzte grosse, zusammenhängende Areal in der Industriezone A1 haben wir per 1. Februar 2018 vorausschauend als Reserve für unsere lokalen Produktionsstätten erworben. Wir haben nur den Boden gekauft. Es ist eine strategische Landreserve, wodurch wir unsere Versprechen an unsere Kundschaft, sie mit lokalen Produkten zu beliefern, erfüllen können.» Laut Rüedi stellt die Migros mit ihren angegliederten Unternehmen rund 10 000 Produkte oder 80 Prozent ihres Handelsvolumens selber her.
Rüedi betont, dass die Migros «am Fortbestand des ‹Papieri›-Areals als Produktionsstätte mit hoher Wertschöpfung sehr interessiert ist. Daneben wollen wir Arbeitsplätze schaffen. Wie viel, wird sich zu einem späteren Zeitpunkt weisen.»

Neuer Entwicklungsschwerpunkt
Er erinnert daran, dass «der Standort auf Grund der zusammenhängenden Fläche und der Lage von kantonaler Bedeutung ist und sich insbesondere für eine intensive Nutzung im Bereich Arbeiten eignet.» Terminlich günstig liegt die bis Ende 2019 dauernde Ortsplanungsrevision von Utzenstorf, da Zukunftspläne des neuen Landbesitzers noch einfliessen können. Rüedi bezeichnet die «Anmeldung des Areals zur Aufnahme in das Regionale Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzept (RGSK) als Herausforderung. Ab 2020 ist die Festsetzung als Entwicklungsschwerpunkt im kantonalen Richtplan geplant. Von 2019 bis spätestens Ende 2022 entwickelt die Migros Aare in Zusammenarbeit mit den Behörden neben dem Verkauf von Maschinen und dem Rückbau von Gebäuden den kommunalen Erschliessungsplan und die Arealentwicklung. Ziel im Rahmen dieser Planungsschritte ist, den Standort der ehemaligen Papierfabrik als Arbeitsstätte wieder aufblühen zu lassen.» Dafür erhalten die Verantwortlichen Unterstützung vom Kanton und der Regionalkonferenz.

Nur geringfügige Änderungen
Bis Ende 2019 soll die Ortsplanungsrevision Utzenstorf abgeschlossen sein, deren Grundlage der Zonenplan und das Baureglement der Gemeinde sind. Rüedi hält fest, dass «die Änderungen der Vorschriften für das Areal gegenüber den geltenden Bestimmungen geringfügig sind». Er informiert über die jetzt bis Frühjahr 2019 laufende Zwischennutzung auf dem Areal durch die Emil Frey AG, die auf dem Holzplatz ein Zwischenlager für rund 1500 Fahrzeuge unterhält. Er sichert auch für die Zukunft angemessene Informationen zu.
Laut Utzenstorfs Gemeinderatspräsident Singer soll die Bevölkerung von ihrem Mitspracherecht zu den Bauvorschriften im Rahmen des öffentlichen Mitwirkungsverfahrens der Ortsplanungsrevision vom 8. November bis 21. Dezember 2018 Gebrauch machen. Eine Mitwirkungsveranstaltung findet am 20. November 2018 statt.
In der anschliessenden Fragerunde können verschiedene Unklarheiten ausgeräumt werden. Bätterkindens Gemeindepräsident Beat Linder erinnert daran, dass «die ‹Papieri› ein überregionaler Arbeitgeber gewesen ist. Viele umliegenden Gemeinden haben schockiert auf die plötzlich arbeitslosen Mitbewohner reagiert. Wir hoffen sehr auf neue Arbeitsplätze.»
Beim anschliessenden – von der Migros gespendeten – Apéro heisst es zwischendurch «wir erwarten trotzdem mehr als nur Züpfe, Schinken und Wein». Gerti Binz


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