Die kranke Schilddrüse – moderne Behandlungsmethoden

  28.10.2019 Aktuell, Bildung, Foto, Region, Burgdorf

«Die kranke Schilddrüse: Abklärung und Therapie.» So lautet der Titel des Publikumsvortrags von Donnerstag, 31. Oktober 2019, ab 19.00 Uhr im Kurslokal (Erdgeschoss) des Spitals Emmental in Burgdorf. Dr. med. Silvia Schwab und Dr. med. Bernard Chappuis werden über die Funktion und die verschiedenen Erkrankungen der Schilddrüse sprechen. Dr. med. Daniel Geissmann wird die neusten Operationsmethoden erörtern, und Prof. Dr. med. Stephan Vorburger wird abschliessend kurz über Schilddrüsenkrebs informieren. Die vier Fachleute stehen dem Publikum beim anschliessenden vom Spital Emmental offerierten Apéro für bilaterale Fragen zur Verfügung.

«D’REGION»: Was kann sich der Laie unter einer Schilddrüse vorstellen – welche Funktion hat sie?
Dr. Chappuis: Die Schilddrüse ist im Hals lokalisiert und bildet Schilddrüsenhormone. Diese werden ins Blut abgegeben und regulieren den Stoffwechsel in unserem Körper.

«D’REGION»: Bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einer Schilddrüsenerkrankung. Wie äussert sich eine solche Erkrankung, und wie wird sie diagnostiziert?
Dr. Schwab: Es gibt nicht einfach die Erkrankung der Schilddrüse, sondern verschiedene. Die Schilddrüse kann zu viel oder zu wenig Hormone bilden. Diese Erkrankungen nennt man Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse. Es kann eine Vergrösserung der Schilddrüse – ein Kropf – mit Knoten, Zysten und in seltenen Fällen Schilddrüsenkrebs entstehen. Die Unterfunktion beziehungsweise Überfunktion wird mit einer Bestimmung der Schilddrüsenwerte in einer Blutprobe nachgewiesen. Zur Abklärung bei vermuteten Knoten in der Schilddrüse wird zusätzlich ein Ultraschall durchgeführt.

«D’REGION»: Sind Mann und Frau, Jung und Alt etwa gleichermassen betroffen?
Dr. Chappuis: Erkrankungen der Schilddrüse finden wir bei Frauen generell häufiger als bei Männern.  Die Wahrscheinlichkeit, eine Schilddrüsenstörung zu erleiden, nimmt mit dem Alter zu. Ausnahme ist der sogenannte Morbus Basedow, eine autoimmun-bedingte Überfunktion der Schilddrüse, welche mehrheitlich bei jüngeren Personen auftritt.

«D’REGION»: Mit welchen Beschwerden kontaktieren Leute mit Schilddrüsen-Problemen den Hausarzt, der die Patienten dann bei Bedarf an die Fachärzte der Endokrinologie des Spitals überweist?
Dr. Chappuis: Müdigkeit und Gewichtszunahme sind häufige Gründe für einen Arztbesuch bei der Unterfunktion. Personen mit einer Überfunktion leiden oft an Gewichtsabnahme, Nervosität, vermehrtem Schwitzen und Herzrasen. Eine neu aufgetretene Schwellung am Hals kann durch einen Knoten oder eine Zyste in der Schilddrüse verursacht sein. Beschwerden wie Druck- und Engegefühl im Hals oder Schluckstörungen können auf eine ausgeprägtere Vergrösserung der Schilddrüse – Kropf – hinweisen.

«D’REGION»: Gibt es Empfehlungen, wie Schilddrüsen-Probleme zu vermeiden oder zu vermindern sind?
Dr. Schwab: Einzig der Jodmangelkropf kann vermieden werden. Die Schilddrüse benötigt für die Bildung von Schilddrüsenhormonen Jod. Unsere Böden und somit auch die bei uns produzierten Nahrungsmittel sind arm an Jod. Essen wir zu wenig Jod, so entsteht ein Kropf. Damit wir unsere Schilddrüse ausreichend mit Jod versorgen können, sind wir auf die Einnahme von jodiertem Kochsalz oder jodiertem Meersalz angewiesen. Jodiertes Kochsalz steht uns seit bald 100 Jahren zur Verfügung und hat die riesigen Jodmangelkröpfe zum Verschwinden gebracht.

«D’REGION»: Wie wirkt sich eine Über- und wie eine Unterfunktion der Schilddrüse aus – und mit welchen Massnahmen können die Störungen angegangen werden?
Dr. Schwab: Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann wie bereits erwähnt zu Müdigkeit und Gewichtszunahme führen – aber auch zu Haarausfall und trockener Haut. Die Schilddrüse produziert nicht ausreichend Schilddrüsenhormone, und die Therapie besteht in der Einnahme von Schilddrüsenhormonen in Tablettenform. Bei der Überfunktion kann es zu Gewichtsabnahme, Nervosität, Schlaflosigkeit, Herzrasen, Durchfall und auch zu Haarausfall kommen. Die Überfunktion kann teilweise mit Tabletten, welche die Hormonproduktion der Schilddrüse hemmen, behandelt werden. Andere Therapiemöglichkeiten bei der Überfunktion sind die Radiojodtherapie oder die Operation.

«D’REGION»: Glücklicherweise überwiegen die gutartigen Erkrankungen der Schilddrüse. Krebserkrankungen sind seltener. Wie werden diese diagnostiziert und wann ist ein chirurgischer Eingriff notwendig?
Dr. Chappuis: Im Ultraschall auffällige Knoten werden oft mittels Gewebeentnahme über eine feine Nadel – Biopsie – weiter abgeklärt. Dabei werden Schilddrüsenzellen gewonnen und unter dem Mikroskop analysiert. Finden sich Hinweise für einen Schilddrüsenkrebs, ist immer die operative Entfernung der Schilddrüse angezeigt.
Prof. Dr. Vorburger: Je nach Situation erfolgt eine Radiojodtherapie als Anschlussbehandlung. Schilddrüsenoperationen werden unter anderem auch durchgeführt bei einer Vergrösserung der Schilddrüse, störenden oder an Grösse zunehmenden Knoten sowie einer medikamentös nicht behandelbaren Überfunktion. Wichtig zu wissen ist, dass Krebserkrankungen der Schilddrüse meist viel weniger aggressiv sind als andere bösartige Tumoren. Nach einer Entfernung und eventuell Nachbehandlung ist die Gefahr, wegen dieses Leidens zu sterben, sehr klein.

«D’REGION»: Kommen wir zu diesem chirurgischen Eingriff. Im Spital Emmental werden Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen seit Kurzem durch den Mund – statt über einen Schnitt am Hals – operiert. Ein Vorteil ist, dass diese Methode keine äusseren sichtbaren Narben hinterlässt. Gibt es noch andere Gründe, die für diese Operationsmethode sprechen?
Dr. Geissmann: Neben dem Umstand, dass keine äusseren sichtbaren Narben vorhanden sind, konnte in einer Studie aufgezeigt werden, dass die Patienten nach der Operation weniger Schmerzen verspüren. Gleichzeitig bietet diese Operationsmethode auch die Möglichkeit, dass man sehr präzise operieren kann und alle anderen an der Operation teilnehmenden Chirurgen die gleich gute Sicht auf das Operationsfeld haben.

«D’REGION»: Die neue Operationsmethode wurde von Dr. Anuwong in Thailand entwickelt. Die Chirurgen des Spitals Emmental haben im Herbst 2018 eine Vorreiterrolle eingenommen und diese Technik, nachdem Dr. Geissmann diese bei Dr. Anuwong erlernt hatte, angewendet. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
Dr. Geissmann: Wir wenden nun diese Operationsmethode seit einem Jahr an und konnten damit gleich gute Resultate erzielen wie Dr. Anuwong. Es hat sich bestätigt, dass es postoperativ zu einer ganz leichten Gefühlsstörung im Bereich des Kinnes kommt, welche im Verlauf wieder vollständig verschwindet. Und es hat sich gezeigt, dass die Skepsis, welche gewisse Patienten gegenüber dieser neuen Operationsmethode haben, unberechtigt ist. Die operierten Patienten waren mit dem erreichten Resultat sehr zufrieden und würden sich wieder so operieren lassen.

«D’REGION»: Instrumente und Kamera zum Operationsgebiet werden durch drei kleine Schnitte von je fünf bis 15 Millimetern Durchmesser in der Innenseite der Unterlippe eingebracht. Danach können die Chirurgen millimetergenau operieren. Gibt es schon klare Signale, wonach diese Neuerung das Interesse anderer Schweizer Spitäler und auswärtiger Patienten weckt?
Dr. Geissmann: Es haben sich bereits einige auswärtige Patienten bei uns gemeldet und sich über die neue Operationsmethode informiert. Gleichzeitig stellt man auch fest, dass das Interesse an dieser neuen Operationsmethode national und international sehr gross ist.
Prof. Dr. Vorburger: Damit man die Methode gewissenhaft erlernen und sicher auf die eigenen Patienten umsetzen kann, benötigt es ein klares Engagement der betroffenen Operateure und der Klinik, diese Chirurgie weiterzuentwickeln. Der Wille, diesen zusätzlichen Aufwand zu betreiben – und auch zu finanzieren –, ist wahrscheinlich einer der Hauptpunkte, weshalb die Methode nicht schon in anderen Schilddrüsen-Kliniken eingeführt wurde.

«D’REGION»: Einerseits werden mit der neuen Operationsmethode sichtbare Narben vermieden, andererseits verspüren die Patienten weniger Schmerzen. Negative Nebenwirkungen gibt es keine?
Dr. Geissmann: Nebenwirkungen gibt es bis auf eine vorübergehende leichte Schwellung der Unterlippe und ein vorübergehendes Taubheitsgefühl im Kinnbereich im eigentlichen Sinne sonst keine. Die Patienten spüren jedoch das Fadenmaterial im Bereich der Unterlippeninnenseite eine gewisse Zeit lang, bis sich dieses vollständig von selbst aufgelöst hat. Die Operationsrisiken sind aber die gleichen wie bei einer offenen Operation über einen Halsschnitt.

«D’REGION»: Gibt es Einschränkungen, wo auf die neue Operationsmethode verzichtet werden muss?
Dr. Geissmann: Diese Operationsmethode kann bei kariösem Gebiss nicht durchgeführt werden, da hier das Infektionsrisiko viel zu hoch ist. Ebenso kann eine sehr grosse Schilddrüse nicht auf diese Art und Weise operiert werden. Eine weitere Einschränkung betrifft bösartigen Schilddrüsenkrebs. Hier sollten vorsichtshalber nur Tumore bis zu einer Grösse von zwei Zentimetern über den Mund entfernt werden.

Zu den Personen
Dr. med. Silvia Schwab arbeitet seit Oktober 2016 als Leitende Ärztin Endokrinologie/Diabetologie am Spital Burgdorf. Nach dem Staatsexamen 1992 war sie am Spital Langenthal, Zieglerspital und Inselspital Bern tätig. Zudem konnte sie während eines Auslandaufenthaltes in Cambridge (England) einen Einblick ins englische Gesundheitssystem erhalten. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Langenthal.

Dr. med. Bernard Chappuis ist seit 2006 als Leitender Arzt Diabetologie/Endokrinologie am Spital Emmental tätig. 1998 und 1999 war er hier Assis­tenzarzt. St. Gallen, Münchenbuchsee, Inselspital Bern und Cambridge (England) waren weitere berufliche Stationen des 48-Jährigen. Er ist in Bern aufgewachsen und lebt auch jetzt mit seiner Ehefrau sowie dem gemeinsamen 9-jährigen Sohn in der Bundesstadt.

Dr. med. Daniel Geissmann ist 57-jährig, verheiratet und wohnt in Gerolfingen. Seit 2003 ist er zunächst als Leitender Arzt und dann als stellvertretender Chefarzt Chirurgie am Spital Emmental tätig. Im 2018 war er für 3 Monate in Asien, um die neue Schilddrüsen-Operation zu erlernen.

Prof. Dr. med. Stephan Vorburger, Master of Science, FMH Chirurgie und Viszeralchirurgie. Er ist 57-jährig und wohnt mit seiner Familie in Liebefeld (Köniz). Sein Spezialgebiet ist die Chirurgie bei Tumoren.


Hans Mathys


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