Wem gehört das Land in 20 bis 50 Metern Tiefe?
05.11.2019 Aktuell, Wirtschaft, Kirchberg, Foto, GesellschaftGemeinderatspräsidentin Marianne Nyffenegger begrüsst im fast voll besetzten Aemme-Saal die Vertretungen von lokalen Industrie- und Gewerbebetrieben. «An diesem traditionellen Anlass möchte sich die Verwaltung bei Ihnen für Ihren Einsatz für eine attraktive Gemeinde und einen attraktiven Wirtschaftsstandort bedanken.»
Eine Gemeinde mit Zukunft
Sie kommt auf die kontinuierlich steigenden Einwohnerzahlen von 5276 Personen per Anfang 1998 im Vergleich zu 5969 Personen per Anfang 2019 zu sprechen: «Die 6000er-Marke wird wohl demnächst geknackt. Dazu dürfte auch der moderate Steueransatz von 1,49 beitragen.» Sie erläutert das Kirchberger Leitbild und die Massnahmenplanung 2017– 2020, wobei sie auf zwei wichtige Leitbild-Ziele näher eingeht: das lokale Angebot an grossen und vielfältigen voll- und teilzeitlichen Arbeitsplätzen sowie die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Gemeinde mit der lokalen Wirtschaft.
«Besondere Bedeutung fällt der Schaffung von gewerbe- und industriefreundlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Fortbestand dieser Unternehmen zu. Dazu gehört eine gute Anbindung an den Verkehr. Unser Industriegebiet ist seit circa einem Jahr im Halbstundentakt durch den ÖV erschlossen (Bus Linie 467).»
Grosse Bedeutung misst sie «einer guten Zusammenarbeit mit den Anwesenden (sowie den leider Verhinderten) bei. Die Pflege und das neue Knüpfen von Kontakten ist wichtig, dazu trägt auch der Wirtschaftsapéro bei. Sollten Fragen oder Anliegen gleich welcher Art auftreten, können sich die Betreffenden direkt an mich oder andere Gemeinderatsmitglieder wenden.»
Statt zu neuen Ufern tief in die Erde
Mit den Worten: «Das Problem Gütertransport wird nicht unter den Teppich gewischt, sondern unter die Erde verlegt dank ‹Cargo sous terrain› (Fracht unter der Erde). Die Firma soll künftig Güter in der Schweiz unterirdisch transportieren; die Probephase für die Dauer von zwei Jahren beginnt 2030», übergibt Marianne Nyffenegger das Mikrofon an Peter Sutterlüti, Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates Cargo sous terrain AG (CST), Basel.
Dieser zeigt den Anwesenden in einem gut verständlichen Referat mit einem Film und zahlreichen Folien die komplizierten Anforderungen dieses neuen Transportsystems auf, dessen geplantes dreispuriges Schienennetz in Tiefen zwischen 20 und 50 Metern liegen wird. Wie sich beim Apéro herausstellt, hat noch fast niemand von diesem zukunftsweisenden Transportsystem gehört. Entsprechend fasziniert erfahren die Anwesenden, dass es «unser Ziel ist, möglichst viel Güterverkehr unter die Erde zu bringen, da der Verkehr weiter zunimmt, sich die Städte verdichten und die Emissionen einen bedenklichen Umfang annehmen. Dabei wollen wir unseren Nachkommen eine lebenswerte Zukunft erhalten. Deshalb müssen wir in der Logistik neue Lösungen entwickeln, da der Bund mit 37 Prozent Zuwachs im Güterverkehr in den nächsten 30 Jahren rechnet. Unser Verkehrsnetz stösst für alle spürbar an seine Grenzen», führt Sutterlüti aus. «Jetzt gilt es zu entscheiden, ob wir künftig immer mehr und kleinere Versandeinheiten auf die herkömmliche Weise transportieren oder nicht lieber schadstoff- frei, wärmereduziert und grossenteils unterirdisch befördern möchten. Mit intelligenter Logistik können spürbare Verbesserungen erzielt werden.»
Völlig ohne Steuergelder
Sutterlüti weist darauf hin, dass das neue Gesamtlogistiksystem, das Warentransporte «von der Quelle bis zur Senke» ermöglicht, ausschliesslich durch die Privatwirtschaft finanziert wird. «Planung und Entwicklung des Systems erfolgen in enger Abstimmung mit künftigen Nutzern. Voll angestellt sind derzeit sieben Personen, weitere circa 50 aus den Kreisen unserer Aktionäre und künftigen Nutzern arbeiten uns zu.»
Die Initianten melden im Januar 2018, dass die vom Bundesrat geforderten privaten Investitionszusagen von 100 Millionen Franken (die Hälfte davon aus der Schweiz) erreicht sind. Von September 2013 bis März 2017 ist «Cargo sous terrain» als Förderverein tätig, dann wird er nach Vorgabe des Bundes in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Somit sind die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, unter denen der Bundesrat im November 2016 signalisiert hat, die gesetzlichen Grundlagen für das Bauvorhaben mit einem CST-Gesetz und einem Sachplan zu schaffen, das voraussichtlich Mitte 2021 in Kraft treten sollte.
Auf zwei über und über mit Firmenlogos bedeckten Folien präsentiert Sutterlüti die an Planung, Entwicklung und Finanzierung beteiligten Unternehmen aus Wirtschaft, Industrie, Finanzwelt, Ingenieurbüros usw. aus der Schweiz und dem Ausland. Inzwischen signalisiert auch die chinesische Dagong Holding, die in Technologien und Infrastrukturen investiert, Interesse am Projekt; sie beteiligt sich ab 2020.
Enorme Entlastungen
«CST kann Paletten und andere Behältnisse aufnehmen und ist geeignet für die Versorgung mit Frischwaren und Gütern sowie die Entsorgung von Abfällen und Recycling. Das neue CST- City-Logistiksystem solle die Städte um 30 Prozent vom Verkehr und 50 Prozent vom Lärm entlasten», führt der Redner aus. Das kann erreicht werden, da die unterschiedlichen Güter in den Hubs gesammelt und die Routen in die Innenstädte effizienter geplant und ausgeführt werden. Der Einsatz von erneuerbaren Energien ist vorgesehen. «So können rund 40 000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.»
Sutterlüti erläutert die drei Komponenten des CST-Systems: erstens ein Tunnelsystem zwischen städtischen Ballungsgebieten und Logistikzentren, zweitens eine effiziente städtische Feinverteilung sowie drittens eine nahtlos integrierte IT-Lösung für einen vollautomatisierten Betrieb.
Bis 2030 soll ein erster Tunnel Härkingen-Niederbipp und Zürich verbinden, wofür 66,7 km unterirdische Strecke sowie zehn Haupthubs und mehrere Direktanschlüsse vorgesehen sind. Von den Baukosten in Höhe von circa 3,55 Milliarden Franken fliessen 71 Prozent in den Tunnelbau.
Auf einer Karte erläutert Sutterlüti den vorgesehenen Ausbau des unterirdischen 500 km langen Transportsystems, das nach Fertigstellung 2050 unter Anbindung von Strasse, Wasser, Schiene und Luft von Genf über Lausanne bis St. Gallen und von Basel nach Luzern mit einem ergänzenden Ast von Bern nach Thun reichen wird.
Der Anlass wird musikalisch aufgelockert vom Trio Buri aus Lyssach; die drei Schwestern erhalten viel Applaus. Beim delikaten Apéro-Buffet diskutieren die Anwesenden engagiert mit Peter Sutterlüti über die CST-Pläne.
Gerti Binz