Ein Steinadler zu Besuch in der Wildstation

  22.04.2020 Aktuell, Foto, Utzenstorf

Der für die Region zuständige Wildhüter Ruedi Kunz war von Gabi Speck, Projektleiterin Umweltbildung im Naturpark, zu einem besonderen Fall gerufen worden: In einem Waldstück, im Naturpark Diemtigtal, läge ein Steinadler und könne nicht wegfliegen. Auf dem Abendspaziergang hatte sie das hilflose Tier auf dem Rücken liegend entdeckt. Wird der «König der Lüfte», in diesem Fall ein mehrjähriges Weibchen, erst einmal in solch schlechtem Zustand aufgegriffen, handelt es sich immer um einen Notfall. Normalerweise lassen sich die imposanten Greifvögel mit wehrhaften Krallen und einer Flügelspannweite von über zwei Metern nicht einfach von einem Menschen «einsammeln». In diesem Fall war also Eile geboten, ein medizinisches Problem war anzunehmen und je nach Ursache, kann nur die schnelle Behandlung das Leben des Tieres retten.
Obwohl er als der Charaktervogel der Alpen gilt, ist der Steinadler doch nicht allzu häufig anzutreffen. Die hierzulande lebenden 350 bis 360 Paare werden in der Roten Liste gefährdeter Arten als verletzlich ausgewiesen und machen etwa ein Viertel der Gesamtpopulation dieser Adlerart aus.
Der Wildhüter entschied schnell und umsichtig und brachte das Tier nach Utzenstorf in die Wildstation. Sogleich wurden alle Untersuchungen, vor allem die des Blutes eingeleitet. Die Verantwortlichen der Wildstation hatten die Befürchtung, dass die Schwäche, die Verkrampfung und die Anzeichen, die auf eine Beteiligung des zentralen Nervensystems hinwiesen, durch eine Bleivergiftung entstanden sein könnten. Blutproben wurden sofort verschickt und das Adlerweibchen mit Notfalltherapie in der Intensivstation untergebracht und überwacht. Nebst einer Bleivergiftung, bei der sich die Greifvögel über munitionshaltiges Fleisch angeschossener Beutetiere vergiften, können natürlich auch Unfälle oder Infektionen, wie zum Beispiel nach einem Revierkampf, zu ähnlichen Krankheitsanzeichen führen.
Das Adlerweibchen schien unverletzt, nur einige kleine Schrammen liessen die Vermutung zu, dass es sich auch um einen Unfall gehandelt haben könnte, in dessen Folge der Vogel eine Art «Gehirnerschütterung» erlitt.
Nach zwei Tagen hatte sich das schöne Tier so weit erholt, dass es in die 300 Quadratmeter grosse Flugvoliere auf dem Gelände der Wildstation umziehen konnte. Mit einem Ring versehen, der bei einem allfälligen Wiederfund dieses Tier identifizieren würde, nahm sie sogleich Anlauf und das Team der Wildstation war sehr erleichtert zu sehen, dass sie wieder flugfähig war. Die Resultate der Blutproben liessen alle aufatmen: Eine Bleivergiftung wurde ausgeschlossen. Die Hinweise verdichteten sich, dass das Weibchen, vielleicht während der Balz, einen Unfall erlitten hatte.
Nach einigen Tagen guter Fütterung und Stabilisierung war nun der Weg frei für die «Heimreise» ins angestammte Revier. Steinadler sind monogam und bewohnen ihre Reviere ganzjährig und lebenslang. Daher ist es auch ganz wichtig, dass dieses Weibchen so schnell wie möglich wieder zurückkehren kann – nun, zum Beginn der Brutzeit.
Jeder Patient, der geheilt in die Natur zurückkehren kann, ist ein Erfolg für die Tierwelt und für die Wildstation Landshut als «Wildtierspital», die als rein spendenfinanzierte Stiftung fungiert und nicht von öffentlichen Stellen finanziert wird. Über 2000 einheimische Wildtiere – krank, verletzt oder verwaist – werden jedes Jahr nach Utzenstorf gebracht. All jene Tiere werden hier von Fachpersonen betreut, denn die Behandlung von über 115 Tierarten jährlich erfordert nicht nur eine erhebliche Logistik (Vorhalten von verschiedenen Volieren, Intensivbetreuungsabteilen und Gehegen, spezifische Einrichtung der Volieren und das jeweils benötigte Material dafür, das richtige Futter), sondern auch das nötige Fachwissen der Zoo- und Wildtierpfleger, der Zoologin und der beiden spezialisierten Tierärzte.
Dieser Steinadler steht als Beispiel dafür, dass es sehr schätzenswert ist, wenn sich die Menschen um die heimische Tierwelt – und somit um ein Stück der Natur vor der eigenen Haustür – sorgen und bemühen, diese Patienten melden oder in die Wildstation bringen. Es zeugt von grossem Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung gegenüber der Natur. zvg

Weitere Informationen auf der Website der Stiftung www.wildstation.ch.


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote