Plötzlich Homeschooling in der ganzen Schweiz

  20.04.2020 Aktuell, Foto, Burgdorf, Bildung / Schule, Gesellschaft, Region

Viele Kinderherzen schlugen vor Freude höher, als der Schulbetrieb ausgesetzt wurde. «Keine Schule» bedeutete bis anhin «Ferien», und das hiess Freundinnen und Kameraden treffen, Ausflüge machen oder an einen fremden Ort verreisen. Diesmal war es anders. Der Lockdown schloss nicht nur Schulen, sondern auch Läden, Museen, Kinos, Sportplätze und sogar Landesgrenzen. Und die Schulschliessung bedeutete, daheim weiterzu­arbeiten. Diese Situation war eine grosse Unbekannte für alle Betroffenen. Lehrpersonen mussten umdenken und Familien ihren Alltag auf den Kopf stellen.

Eine Burgdorfer Familie lässt hinter ihre Kulissen blicken
Die Eltern sind beide berufstätig. Chris­tian arbeitete schon vor der Coronakrise einen Tag pro Woche im Homeoffice. Da der Elektroingenieur in einer internationalen Firma tätig ist, waren auch Videokonferenzen nichts Neues. Sein Büro zu Hause wurde lediglich durch einen grösseren Bildschirm aufgerüstet, denn nun erledigt er alle seine Aufgaben von zu Hause aus.
Die Pflegefachfrau Kathrin arbeitet in einem Teilpensum in einer gastroenterologischen Praxis. Für sie wurde Kurzarbeit angemeldet, denn die Ärzte durften lediglich Notfälle und dringliche Eingriffe vornehmen. Das hat zu einer Arbeitsreduktion geführt. In ihrem Beruf ist Homeoffice nicht vorstellbar, ausser das gelegentliche Erledigen von kleinen, administrativen Arbeiten.
Die zwölfjährige Sara besucht normalerweise die sechste Klasse, der zehnjährige Nils die vierte. Während der ersten schulfreien Tage haben die Eltern ihnen Aufgaben gegeben. Sie erledigten diese nach einem selbstgestalteten, schlankeren Stundenplan. Im Schulfach NMG (Natur-Mensch- Gesellschaft) durften sie beispielsweise eine Präsentation über ein Land ihrer Wahl oder über einen Kontinent vorbereiten. Buchhandlungen bestätigen, dass während dieser ersten Woche viele Eltern Übungsbücher oder -hefte kauften, um ihre Kinder in den Hauptfächern zu beschäftigen.
Ende der ersten Woche konnten die Schülerinnen und Schüler in Kleinstgruppen bei ihren Lehrpersonen einen Wochenplan und sämtliches Schulmaterial aus ihren Pulten nach Hause holen. In jedem Fach hatten sie nun verschiedene Aufgaben zu lösen und konnten das Erledigte auf einer Liste ankreuzen. Nicht jedes Kind muss dasselbe Pensum erledigen. Es soll sich jedoch an die Zeiten halten, die je nach Schulstufe variieren. In der vierten Klasse sind das beispielsweise drei Stunden täglich, davon je 45 Minuten Deutsch und Mathematik, 30 Minuten Lesen, und je eine Viertelstunde Französisch und Sport und als Zusatz fünfzehn Minuten Gestalten, NMG oder Sons­tiges. Nils spielt gerne Fussball im Garten, Sara macht Übungen im Haus oder draussen auf einer Turnmatte. Beide durften zusätzlich gelegentlich einen Film auf SRF MySchool anschauen. Diese Lernfilme wurden gleichzeitig mit den Schulschliessungen angeboten.
Sara erzählte, sie hätte selbst einen Stundenplan gemacht, diesen jedoch nicht eingehalten. Der Vorteil an der Schule zu Hause sei nämlich, dass sie immer das machen könne, wonach sie am meisten Lust habe. Sieben Tage nach Erhalt des Wochenplans gaben die Kinder ihre gelösten Aufgaben ab und bekamen eine neue Arbeitsmappe. Zum Teil mussten sie diese Lösungen fotografieren und an die Schule schicken. Viele Kinder haben innert kurzer Zeit ihr Wissen und die Geschicklichkeit im Bedienen des PCs erweitert.

Nach den Ferien soll sämtliches Schulmaterial elektronisch an die Schülerinnen und Schüler gelangen
Einigen Familien wird dies Schwierigkeiten bereiten, denn wenn Eltern und Kinder online arbeiten, braucht jede Person einen Arbeitsplatz, also einen PC oder ein Tablet. Die Kinder werden zur Selbstständigkeit angehalten, doch das fällt nicht allen leicht. Nicht jeder Schüler und jede Schülerin bringt die nötige Konzentration auf. Einige lassen sich ablenken durch elektronische Geräte, durch ungewohnte Geräusche, durch das schöne Wetter, das förmlich nach Bewegung im Freien ruft.
Eltern sind gefordert, müssen erklären, zurechtweisen, motivieren und animieren. Das wiederum setzt ihre Gegenwart voraus. Christian lobt die Selbstständigkeit von Sara und Nils beim Lernen. Doch wenn Kathrin arbeite, sei er zuständig für das Homeschooling, was ihn schon ablenke. Weder er noch Kathrin beklagen sich, denn es ist ihnen klar, dass ihre Kinder ein ideales Alter haben, um relativ selbstständig zu arbeiten. Da seien Eltern mit kleineren Kindern stärker gefordert, denn diese brauchen ständige Präsenz, fortwährende Aufsicht. In jedem Fall sei Planung wichtig, damit immer jemand zuständig sei. Das Gefühl, dass man Beruf und Familie nicht gerecht werde, könne da schon gelegentlich aufkommen.

Nicht überall sind die Bedingungen einfach
Schwierigere Situationen entstehen vor allem an Orten, wo grosse Familien in relativ kleinen Wohnungen zusammenleben, oder wenn keine Möglichkeit besteht, auf einen Balkon oder in einen Garten auszuweichen. Für Kinder mit Schulschwierigkeiten oder für fremdsprachige Familien können zusätzlich die schriftlichen Anweisungen der Schule zum Problem werden. Viele verstehen unsere Sprache nicht genügend, um schwierige Aufgabenstellungen ihren Kindern erklären zu können. Die Lehrpersonen waren aus diesem Grund zu festgelegten Zeiten erreichbar, damit Eltern, Schülerinnen und Schüler Rückfragen stellen konnten.
Die Situation, die Homeschooling mit sich bringt, bedeutet für alle Seiten eine Art Experiment. Welche Spuren dieses hinterlässt, wird sich zeigen. Auf alle Fälle bringt es neue Lebenserfahrungen, neue Gemeinschaftserlebnisse und hoffentlich den Wunsch aller Kinder, dass sie bald wieder zur Schule gehen dürfen.

Helen Käser


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