Alltag eines Pfarrers in der Coronazeit

  14.05.2020 Aktuell, Foto, Region, Gesellschaft

Diese Woche erleben die Schweizer/ -innen die Öffnung vieler Geschäfte und Betriebe und spüren damit einen Hauch von Freiheit. Nach wochenlangen Einschränkungen bleiben aber die Hygiene- und Abstandsregeln bestehen. Diese sind in Berufen, bei denen die Menschen Zuwendung und Trost brauchen, oft schwierig einzuhalten.
Seit knapp drei Jahren führen Tobias Zehnder und seine Frau Jasmin gemeinsam die Pfarrei Krauchthal. Wie wichtig den beiden der Kontakt zu den Gemeindemitgliedern ist, bewiesen sie bereits in den ersten Wochen ihrer Amtszeit. Sie besuchten Vereine und Institutionen und bauten ein Netz von Freiwilligen auf. Dass sich dieser Einsatz gelohnt hat, zeigt sich nun während des Lockdowns: Die mobilen Boten und Botinnen erledigen für Leute aus den Risikogruppen Einkäufe und fahren sie zum Arzt oder zur Therapie. Mit dem Wissen, dass viele ältere Menschen nicht übers Internet kommunizieren können oder wollen, wurden mit einem Flugblatt alle Einwohner der Gemeinde aufgefordert, sich bei Problemen direkt zu melden oder die Seelsorge-Hotline zu nutzen. Obwohl die Leute im Dorf gut vernetzt sind, wurde eine Telefongruppe «Ü80» aufgebaut. Freiwillige Personen aus der Kirchgemeinde erkundigen sich bei den Senioren/-innen regelmässig nach ihrem Wohlergehen. So fühlen sich ältere Menschen wahrgenommen. Die Hemmschwelle, in einem solchen Gespräch Probleme anzusprechen, sinkt beträchtlich. Bei grösseren Notlagen übernimmt eine Pfarrperson die Seelsorge.

Die mobile Kirche bietet Losungen statt Gottesdienste
In Zeiten, wo Gottesdienste und andere Zusammenkünfte mit mehr als fünf Personen untersagt sind, bieten Zehnders aktuelle Impulse für diese spezielle Zeit an. Einige wenige Worte aus der Bibel geben Gedankenanstoss
und unterstützen im Alltag. Die Pfarrleute schicken diese sogenannten Losungen zusammen mit ein paar persönlichen Gedanken zu den Bibelversen täglich per WhatsApp oder wöchentlich per Post. An Ostern veröffentlichten sie per Video eine kurze Osterbotschaft. Täglich läuten um 17.00 Uhr die Kirchenglocken, bevor eine der Pfarrpersonen in der Kirche das «Vaterunser» betet und danach das «Kyrie» singt. Sie sind bei diesem Abendgebet allein im Kirchenraum, doch viele Pfarreimitglieder sitzen zu dieser Stunde in ihrem Wohnzimmer und weilen in Gedanken in der Kirche, was sie oftmals mit kleinen Botschaften kundtun.
Vor dem Kircheneingang, unter der Laube, befinden sich die Gottesdienste «to go». In einem Briefumschlag finden sich eine Anleitung, ein besinnlicher Text und die Aufforderung, eine Kerze anzuzünden. Im Inneren der Kirche liegen auf dem Taufstein einige Gebetsvorschläge auf. Solche Aktivitäten fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl und bieten Heimat.

Religiöse Rituale verlangen Kreativität und Anpassung
Ostern ohne ein Zeichen der Kirchgemeinde wäre in Krauchthal unvorstellbar. Freiwillige und ihre Kinder bastelten 450 Osternester, die von der Einwohner- und der Kirchgemeinde bestückt und verteilt wurden. Heimbewohnende und alle «Ü65», egal welcher Konfession, bekamen eine solche Osterüberraschung geschenkt.
Die Konfirmationen mussten verschoben werden. Mit Rücksicht auf alle, die im August eine neue Lehre antreten, findet dieser Anlass erst im Oktober 2020 statt. Trauungen dürfen stattfinden, falls die Hygienevorschriften eingehalten werden. Die Ausmessung des Kirchenraumes hat ergeben, dass höchstens 35 Personen erlaubt sind. Eine Verbindung von zwei Menschen zu feiern, wenn Distanz und Abstand im Mittelpunkt stehen, scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein. Gemeinsam mit den Paaren suchen die Pfarrleute nach gangbaren und befriedigenden Lösungen, ebenso bei Taufen, die momentan verschoben werden. Bei diesem Sakrament sind Distanzvorschriften nicht einhaltbar.

Trauergespräche und Beerdigungen können nicht aufgeschoben werden
Auch während des Lockdowns erlebten die Pfarrleute Todesfälle. Normalerweise finden Trauergespräche bei den Angehörigen zu Hause statt, in den vergangenen Wochen jedoch in Räumlichkeiten der Kirchgemeinde. Die Beerdigungen wurden in kleinen Gruppen abgehalten. Bei Urnenbeisetzungen, die normalerweise nur eine Viertelstunde dauern, hat der Pfarrer zusätzlich eine kurze Predigt gesprochen und/oder einen Lebenslauf am Grab vorgelesen. Einige Angehörige zogen es in Betracht, eventuell zu einem späteren Zeitpunkt eine Abschiedsfeier nachzuholen. Zehnder riet ihnen, dies nicht im Moment zu planen, sondern sich später dafür oder dagegen zu entscheiden. Das Abschiednehmen sei ein langer Prozess und niemand wisse, ob eine weitere Feier in einigen Wochen noch stimmig sei. Für alle, die gerne bei einer Beerdigung hätten dabei sein wollen, sei der Ewigkeitssonntag am 22. November 2020 eine Möglichkeit. An diesem Tag wird aller im vergangenen Kirchenjahr Verstorbenen gedacht.
Abschliessend meinte Zehnder, sein Beruf hätte sich während des Lockdowns deutlich verändert. Beinahe täglich verlangen neue Weisungen nach Entscheidungen. Er und seine Frau seien dankbar für die grossartige Unterstützung des Kirchgemeinderats, der bei Anpassungen und Veränderung stets beratend zur Seite stehe. Obwohl vieles aktuell nicht möglich sei, glaube er zu spüren, dass man sich in dieser Zeit trotz Distanz nähergekommen
sei.

Helen Käser


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