Die Faszination der Bienen

  06.05.2020 Aktuell, Foto, Kultur, Jegenstorf

Den April 2020 wird man nicht so schnell vergessen. Praktisch jeden Tag spannte sich ein stahl­blauer Himmel über leuchtend gelbe Rapsfelder, blühende Sträucher und Bäume. Auf Matten und Gärten konnte man eine wahre Farborgie verschiedenster Blüten betrachten, welche um diese Jahreszeit in dieser Pracht eher ungewöhnlich war. Ein gemächlicher Spaziergang durch unsere schöne Landschaft wurde zu einem speziellen Erlebnis. Man spürte die unglaubliche und wundersame Kraft der Natur, welche sich keinen Deut um die aktuellen Sorgen der Menschheit kümmert.
Auch für Bernhard Käser ist dieser Frühling eine spezielle Erfahrung. Seit über fünfzig Jahren befasst er sich leidenschaftlich mit der Imkerei. Als ehemaliger Bieneninspektor ist er also mit Sicherheit ein Fachmann mit grossem Wissen über die Bienen, deren Gesundheit und die Zusammenhänge mit den verschiedenen Wettersituationen in unserer Gegend. Oder präziser gesagt, zeigen ihm die Auswirkungen eigentlich seine Bienenvölker. Dieser Frühling hat seine Bienen zu aussergewöhnlicher Aktivität angetrieben und sie lieferten bereits eine ansehnliche Menge Honig.

Faszination seit der Kindheit
Der Ursprung von Bernhard Käsers Leidenschaft findet sich in seiner Kindheit. Damals auf dem heimischen Bauernhof hatte der Vater während der Heuernte oft keine Zeit für die Betreuung seiner Bienenvölker. Also musste Bernhard diese Aufgabe übernehmen. Wie das Schicksal so spielt, musste ein älterer Lehrer für seinen erkrankten Kollegen kurzfristig das Lehramt übernehmen. Dass Bernhard zu Hause zu den Bienen schauen musste, blieb ihm nicht verborgen und bald gab er dem Jungen seine wertvollen Erfahrungen weiter. Später ermunterte er Bernhards Vater, seinen Sohn zu Imkerkursen zu schicken. Seither hat die Faszination Bienen unumstösslich ihren Platz in Käsers Leben gefunden. Zum Glück gibt er heute seine Erfahrungen zum Thema Bienen an Interessierte und auch an Schulen weiter.
Wenn man dem Vollblutimker zuhört, wird eines schnell klar. Das ist bestimmt kein Hobby wie das Briefmarkensammeln. Nichts ist gegen diese Leidenschaft einzuwenden, aber wenn man keine Lust mehr hat, schiebt man die Sammlung einfach ins Regal zurück. Eine seriöse Imkerei erfordert eine ganz andere Zuwendung. Hier geht es um Lebewesen, welche auf Jahreszeiten, Wettereinflüsse und auch auf Krankheiten reagieren. Ein sorgsamer Umgang mit den Bienenvölkern und viel Zeitaufwand sind eine wichtige Voraussetzung für den späteren Erfolg: gesunde Bienen und die Gewinnung von Honig!
Schwer zu sagen, wann der Mensch die gezielte Bienenzucht entwickelt hat. Anfänglich hat man einfach die Waben mit dem süssen Gold aus dem Stock, Bienenkorb oder einer Baumhöhlen herausgeschnitten, ausgepresst und verspiesen. In den Klöstern war neben dem Honig vor allem Bienenwachs ein gefragtes Gut. Ohne Wachs kein Kerzenlicht.
Honig entsteht hauptsächlich aus Nektar, einem zuckerartigen Saft von Blütenpflanzen und dem Honigtau, einer Ausscheidung von Blatt-, Schild- und Baumläusen, die sich an Ahorn, Eichen, Fichtennadeln ernähren. Dieser Ausgangsstoff wird von den Arbeiterinnen gesammelt und in der Honigblase heimgeflogen. Im Stock erfolgt von den Bienen eine komplexe Weiterverarbeitung, wobei verschiedene Enzyme beigemischt werden, was schliesslich den einzigartigen Honig ergibt.

Was passiert eigentlich in einem Bienenstock und wie viele Bienen zählt das Volk einer Königin?
Ein Bienenvolk zählt 20 000 bis 40 000 Arbeiterbienen und je nach Jahreszeit bis zu 500 Drohnen (männliche Bienen). Im Winter leben keine Drohnen im Volk. Diese werden spätestens im Herbst aus dem Stock geworfen und sterben ohne Futter und Wärme ab. Im Frühling/Sommer werden neue Drohnen aufgezogen, gehätschelt und gefüttert. Ihre Funktion ist eigentlich nur die Begattung junger Königinnen. Die Begattung von Königinnen erfolgt im Flug, wobei die junge Königin während einigen Tagen mehrmals ausfliegt. Von acht bis fünfzehn kurzfristigen Partnern, die bei der Begattung sterben, erhält die König einen Samenvorrat, den sie während ihrem etwa dreijährigen Leben auf wundersame Weise verwendet. Eine Woche nach der Paarung werden die ersten Eier gelegt (je nach Jahreszeit täglich über 1000 Stück). Mit ihrem weichen Legeapparat kann sie sozusagen das Geschlecht der Brut bestimmen. Ein befruchtetes Ei ergibt nach 21 Tagen eine Arbeiterin, aus dem unbefruchteten Ei schlüpft nach circa 24 Tagen eine Drohne. Wenn eine kleine Made anfänglich von Arbeiterinnen mit dem Königinnenmuttersaft «Gelée royale» gefüttert wird, wächst eine neue Königin heran. Das Wunder von «Gelée royale» ist die erstaunliche Verlängerung der Lebenserwartung einer Königin, welche als Made mit dem besonderen Saft gefüttert wurde. Sie lebt ungefähr drei bis vier Jahre, während eine Arbeiterin in den Sommermonaten kaum sechs Wochen überlebt!
Der Entscheid, eine neue Königin nachzuziehen, wird durch den Verlust/Tod einer Königin im Stock bestimmt oder wenn sich das Bienenvolk aus einem natürlichen Trieb heraus teilen möchte. Bevor eine neue Königin schlüpft, schwärmt die alte Königin mit einem Teil ihrer Anhängerschaft aus dem Stock und gründet anderswo eine neue Bienengemeinschaft. Sollten mehrere junge Königinnen im Stock sein, bekämpfen sie sich, bis nur noch eine übrig bleibt. Mit der neuen jungen Königin beginnt ein neuer Zyklus. Sie wird von Drohnen begattet, die Arbeiterbienen putzen Zellen, pflegen die Brut, bauen Waben, schieben Wache und beginnen mit ihrer für die Natur so oft unterschätzten Arbeit. Durch den Besuch der Blüten bilden sich Früchte und Samen aller Art. Die Bienen holen bei ihren Flügen Pollen (Blütenstaub), Nektar und Wasser. Die Pollen sind das Eiweissfutter für die Aufzucht, der Nektar ist der eigentliche Treibstoff zum Fliegen und zum Heizen in kühlen Zeiten, das Wasser brauchen sie für das Stockklima, damit die Brut nicht austrocknet. Die Bienen haben zeitlich begrenzte, unterschiedliche Aufgaben. Während für die im Frühling/Sommer geschlüpften Bienen nebst den Arbeiten im Volk die Sammelflüge zur Hauptaufgabe gehören, sind die «Herbstgeschlüpften» für das Überwintern des Volkes zuständig.

Die Wabe
Der Bau einer Wabe ist ein weiteres Wunderwerk. Die jungen Bienen erleben verschiedene Phasen in ihrem Dasein. Anfangs überwiegt eine Art von Putztrieb, das heisst Reinigen der Brutzellen, dann wird Futtersaft für die Brut produziert, also eine Art Ammendienst, und später aktivieren sich die Wachsdrüsen. Mit den ausgeschwitzten Wachsplättchen werden die neuen Waben aufgebaut. Die sechseckige Form verhindert die Entstehung von Zwischenräumen, ist ideal für den Wärmehaushalt und passt sich in der Natur ideal jeder Höhlung an. Die Zellentiefe misst genau vierzehn Millimeter, in welche die Eier, die Pollen und das Futter eingelagert werden. Die Dicke einer Zellwand in der Wabe wird beim Bauen mit dem Anklopfen der Fühler gemessen. Der gefühlte Schall zeigt den Arbeiterinnen die Wanddicke an. Die Bienen haben eine sogenannte Blütenkonstanz. Sie besuchen bei einem Ausflug nur gleichartige Blüten, z. B. Kirschen, Zwetschgen, Äpfel, Birnen usw. Die Pollen einer Apfelblüte auf einer Kirschblüte ergeben keine Früchte. Die Biene ist das einzige Insekt, welches diese genaue Auslese befolgt, und sie ist es auch, die dank Domestizierung in grosser Anzahl bereit ist, während der Hauptblütezeit im Frühling die wichtige Aufgabe der Bestäubung bei ihren Sammelflügen gleich mitzuerledigen. Wildbienen und andere Blütenbesucher haben meist als Einzelinsekt überwintert und müssen sich neben dem Blütenbesuch um ihren Volksaufbau oder die Vermehrung kümmern.

Was macht der Imker?
Unsere Bienen sind vom Menschen domestiziert worden und haben sich den Breitengraden und Höhen angepasst. Der genetische Lebenszyklus ist auf die jeweilige Region abgestimmt. Der Imker hegt und pflegt die Bienenvölker. Er überwacht den Futtervorrat, die Gesundheit seiner Bienen, schützt sie vor den Varroamilben und anderen Krankheiten. Die vorgefertigten rechteckigen Waben dienen dem Imker zur effizienten Bewirtschaftung. Im unteren Teil eines Bienenstocks befindet sich der Brutbereich, wo auch Pollen und Futter eingelagert werden. Im oberen Teil wird die Reserve (Honig) eingelagert. Die Bienen versiegeln jede mit Honig gefüllte Zelle zum Schutz und zur Frischhaltung mit einem Wachsdeckel. Diesen muss der Imker vor der Honigernte «abdeckeln».
Bernhard Käser überlässt seinen Bienen natürlich einen Teil des gesammelten Honigs. Im Herbst wird den Bienen ihr Futtervorrat mit Zuckersirup ergänzt, welchen sie eindicken und somit vor einer Gärung schützen. Die leeren Honigwaben werden dem Volk erst bei Einsetzen der Tracht (Honigeintrag) aufgesetzt und spätestens zu Beginn der Fütterung wieder entnommen. Damit wird vermieden, dass Honig und Futter vermischt werden. Bei der Honigernte werden bei den Honigwaben die Wachsdeckel mit einer breiten Gabel entfernt und dann in die Zentrifuge gestellt. Der ausgeschleuderte Honig fliesst durch ein Doppelsieb in einen Eimer. Die bereitgestellten Gläser werden befüllt, verschlossen und schliesslich etikettiert. Natürlich werden sie mit der gesetzlich verordneten Los-Nummer, dem Ablaufdatum und weiteren Informationen versehen. Gut zu wissen: Der in Pharaonengräbern als Grabbeigabe aufgefundene Honig soll nach der Öffnung der Gefässe noch in erstaunlich gutem Zustand gewesen sein!

Henry Oehrli

Weitere Infos unter www.bienen.ch.


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