Stadtfinanzen geben keinen Anlass zur Euphorie

  30.06.2020 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft, Politik

Nach der Stadtratssitzung im Mai 2020 unter Ausschluss der Öffentlichkeit waren im Juni 2020 Gäste wieder willkommen. Aussergewöhnlich war die Anzahl der 23 Trak­tanden. Von den Stadträtinnen und -räten waren hohe Konzentration und Rededisziplin gefordert.
Der Stadtratspräsident Peter von Arb begrüsste SP-Mitglied Debra Marti zu ihrer ersten Stadtratssitzung. Sie folgt auf George Burkhard. Für Stadtrat Andreas Rössler, der von der Präsidialdirektion der Stadt Burgdorf zum Digital Officer gewählt wurde, bestimmte die BDP Carmen Baumeler-Stoll als Nachfolgerin.

Geplante und ausgeführte Strassensanierungen
Die Kreditabrechnung für die Sanierung der Abwasserleitungen an der Bahnhofstrasse Nord wurde genehmigt. Gleichzeitig sanierte die Localnet AG die Werkleitungen Gas und Wasser. Auch die Kreditabrechnung für das erste Teilstück der Strassen im Bahnhofquartier, die Lyssachstrasse beim Neumarkt, fand Zustimmung.
Die Planung der Sanierung und Umgestaltung der Thunstrasse und der Umgebungsgestaltung des Bahnhofs Steinhof sind abgeschlossen und budgetiert. Die Kosten belaufen sich für jedes Projekt auf rund 1,23 Millionen Franken und wurden genehmigt. Das Projekt Thunstrasse bot jedoch einigen Gesprächsstoff: Karin Fankhauser (FDP) und Esther Liechti-Lanz (EVP) hätten sich eine kostengünstigere Lösung gewünscht.

Die Stadtfinanzen sind kein Grund zur Euphorie
Dies war das Fazit des Geschäftsberichts, erläutert durch Thomas Gerber von der Geschäftsprüfungskommission (GPK). Die Jahresrechnung schliesse in der Erfolgsrechnung mit einem Überschuss von ungefähr 0,1 Millionen Franken ab, also leicht besser als budgetiert, jedoch ein wenig schlechter als im Vorjahr. Auch das operative Ergebnis von plus 4,2 Millionen Franken sei positiv, das betriebliche Ergebnis jedoch neutral. Es bestehe kein Grund zur Euphorie, denn Prognosen seien ebenso schwierig wie Vorhersagen über kantonale Abgaben und den kantonalen Lastenausgleich. Auch die Auswirkungen von COVID-19 seien schwer zu prognostizieren. Gabriela Bannwart (SP) ergänzte, dass sich die Rechnung gut präsentiere, weil nicht investiert werden konnte. Doch nun sollte investiert werden, denn die Stadt habe die Mittel, sie habe Bedarf und das Gewerbe sei darauf angewiesen. Andreas Stettler (FDP) erklärte, man hätte zwar unter Budget abgeschlossen, doch die Sparbemühungen sollten intensiviert werden. Die Stadt rechnet mit Steuerausfällen von ein bis zwei Millionen Franken. Der Geschäftsbericht wurde von allen Parteien genehmigt.
Weitere Abstimmungen in Sachen Finanzen: Das Reglement «Spezialfinan-
zierung Schwankungsreserve» wurde angenommen. Es tritt am 1. Januar 2021 in Kraft. Der Stadtrat ernannte die BDO AG als Revisionsstelle der Stadt Burgdorf. Dieses Jahr kann das Mandat erstmals für vier Jahre vergeben werden.

Die Motion FDP/GLP/SVP-Fraktion betreffend «Einführung einer Finanzkommission» erhitzt die Gemüter
Finanzen hatten an dieser Stadtratssitzung einen hohen Stellenwert: Mit ihrer Motion verlangte die FDP/GLP/SVP-Fraktion die Einführung einer ständigen Finanzkommission (Fiko)mit sieben Mitgliedern. Dieser Schritt sei angesichts der angespannten finanziellen Lage sowie der hohen Verschuldung angebracht. Die Motion erfordere Änderungen von Reglementen, was im Zuständigkeitsbereich des Stadtrats bzw. der Stimmbürger/innen liege. Gemeinderätin (GR) Beatrice Kuster Müller erklärte, die verlangte Kompetenzregelung sei weitgehend identisch mit den Aufgaben der GPK, was zu Doppelspurigkeiten führen würde. Zudem hätten sich die Abschlüsse der letzten Jahre positiv entwickelt. Eine zusätzliche Prüfung durch eine Finanzkommission verlange, dass die Verantwortlichen früher in den Budgetprozess einsteigen müssten und die Zahlen somit ungenauer würden. Die Kostenentwicklung sei ein Grund, um hinter die Kulissen zu schauen, zeigte sich Jürg Kämpf (FDP) überzeugt. Fabian Käsermann (SP) lehnte eine Fiko ab, weil der Stadtrat bereits jetzt Mitspracherecht habe. Eine unabhängige Kommission benötige juristische Beratung, was vermutlich mehr kosten würde als die Einsparungen, die eine Fiko herbeiführen könnte. Auch Esther Liechti-Lanz (EVP) äusserte sich dagegen, weil finanzpolitische Diskussionen im Stadtrat (SR) bleiben sollten. Philipp Schärf (GLP) befürwortete die Fiko als langfristiges Instrument, weil sie dem SR mehr Gewicht in Finanzgeschäften ermögliche. Mit 17 Ja- und 17 Neinstimmen bei fünf Enthaltungen lag die Entscheidung beim Stadtratspräsidenten von Arb, der gegen die Einführung einer Fiko votierte.

Überparteilicher Auftrag BDP und GLP betreffend «Stopp dem automatischen Lohnanstieg!»
Die automatischen Lohnerhöhungen der Stadtangestellten würden zu steigenden Ausgaben führen und sich im Vergleich zum Lohnindex überproportional entwickeln, argumentierten die BDP und GLP. Die Auftraggebenden sind der Meinung, dass die wirtschaftliche Situation bei der Lohnentwicklung beachtet werden sollte, damit sich die Löhne wie im Vergleichsmarkt entwickeln.
Stefan Berger erklärte, dass jede Partei in der nicht ständigen Kommission Gehaltsentwicklung vertreten sei, welche die Gehaltsprozesse analysiere. Die Resultate würden an der Informationsveranstaltung des Stadtrates im August 2020 präsentiert. Der Antrag sollte darum abgelehnt werden. Die Abstimmung ergab 17 Ja- und 17 Neinstimmen bei fünf Enthaltungen. Das Zünglein an der Waage oblag erneut Stadtratspräsident von Arb, welcher den Auftrag ablehnte.

Dringliche Interpellationen betreffend Coronakrise
Die SVP-Fraktion stellte Fragen zu deren finanziellen Auswirkungen auf die Stadt Burgdorf. Der GR erklärte, es seien steuerliche Mindereinnahmen zu erwarten, beruhigte aber gleichzeitig. Die Stadt Burgdorf sei durch Steuerrückstellungen von über 3,6 Millionen Franken auf solche Einbussen vorbereitet und könne diese zur Kompensation einsetzen.
Zur dringlichen Interpellation der FDP-Fraktion betreffend Corona-Auswirkungen in der Stadt Burgdorf erklärte der GR, der Budgetprozess 2021 sei eben erst angelaufen. Anpassungen würden in allen Produktgruppen durch die Verantwortlichen berücksichtigt. Der GR informiere laufend über Website, Anzeiger, Plakatierung, Medienmitteilungen oder Informationen im Stadtrat über die aktuelle Situation sowie Auswirkungen und Massnahmen. Thomas Grimm (FDP) war nur teilweise zufrieden mit diesen Erklärungen des GR. Er verstehe zwar, dass finanzielle Einschätzungen schwierig seien, da das Virus noch aktiv sei. Ihn würde interessieren, wie viele Betriebe in Burgdorf Kurzarbeit angemeldet hätten und wie viele Arbeitnehmende davon betroffen seien. Er werde diese Fragen erneut stellen, wenn die Pandemie abgeklungen sei.
Die Grünen Burgdorf erhielten Auskunft auf ihre Fragen über Mietzins­erlass für Mieter von stadteigenen Gewerberäumen. Für die neun Gewerbebetreibenden, die während des Lockdowns in stadteigenen Räumen waren, und die Vereine, die aufgrund der Verbote die Anlagen nicht nutzen konnten, wurde die Miete erlassen. Für solche, die Kurzarbeitsentschädigungen erhielten, werden Zinsreduktionen überprüft.

Bewährte Technologien für über­regionales Holzheizkraftwerk fehlen
EVP und Grüne beauftragten den Gemeinderat, gemeinsam mit der Localnet AG, der Burgergemeinde Burgdorf als grösste Waldbesitzerin (96 Prozent) sowie weiteren Partnern, die Realisierung eines Blockheizkraftwerks zu prüfen. Sie wünschen, dass in verschiedenen Wärmeverbünden der Localnet AG einheimisches Holz (alles aus Wäldern von Burgdorf) anstelle von Gas als primärer Energieträger eingesetzt wird. Der Gemeinderat und die Localnet AG sind der Meinung, dass die entsprechenden Technologien noch nicht serienreif und darum störungsanfällig seien. Um lückenlose, störungsfreie und preislich attraktive Wärme zu garantieren, vermeide die Localnet AG unsichere Technologien.
Tabea Bossard-Jenni (EVP) meinte, die Borkenkäferproblematik müsse nach zwei heissen Sommern im Auge behalten werden. Die einheimischen Wälder sollten genutzt werden.

Auftrag SP-Fraktion betreffend ökologisches Laubkonzept
Der Gemeinderat wurde aufgefordert, ein ökologisches Laubkonzept unter Berücksichtigung von Biodiversität, Energie und Nachhaltigkeit zu erarbeiten. Eine detaillierte Prüfung des Anliegens ergab, dass die personellen Ressourcen der Baudirektion die Erarbeitung eines Handbuchs «Ökologisches Laubkonzept» nicht ermöglichen. Die Stadt ist jedoch bestrebt, das Thema Laubentsorgung und den Einsatz von Elektro-Kleingeräten in öffentlichen Freiräumen zu berücksichtigen. Einige der im Auftrag erwähnten Forderungen seien im Zusammenhang mit dem Auftrag «Klimanotstand und Einsetzung der Klima Force» im Bereich Biodiversität und ökologische Flächen mit Artenvielfalt bereits umgesetzt worden. Sybille Zingg Righetti (SP) erklärte, die Partei sei mit der Erklärung des GR einverstanden, werde die Situation jedoch beobachten.

Andere Themen in Kürze
Eine Interpellation der GLP-Fraktion verlangte Auskunft über die Finanzkennzahlen im Budgetierungsprozess der Stadt Burgdorf, um das Budget der Stadt mit anderen ähnlichen Gemeinden vergleichen zu können. Für Ian Thompson (GLP) waren die Angaben des GR zu wenig detailliert und aufschlussreich.
Der Gemeinderat wird beauftragt, im Rahmen des neuen Reglements über die Kurtaxe die Finanzierung der Entwicklung von touristischen Angeboten wie beispielsweise einem Burgdorf-­Ticket vorzusehen und dem Stadtrat eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten.
Der GR erklärte auf die parlamentarische Anfrage der BDP-Fraktion betreffend gesundes und finanzierbares Wachstum, dass Burgdorf bis 2025 auf den aktuell in der Entwicklung stehenden Arealen zwischen 850 und 1050 Wohnungen geplant habe. Ab 2000 hat die Bevölkerung jeweils alle zehn Jahre um rund 1000 Personen zugenommen. Wie sich das Bevölkerungswachstum auf die Infrastrukturanlagen auswirkt, kann nicht exakt beantwortet werden. Neue Anforderungen durch Gesetzgebungen, neue politische Vorgaben oder neue technische oder organisatorische Möglichkeiten werden im Rahmen von Unterhaltsarbeiten umgesetzt.
Stefan Berger erklärte, der GR hätte Bewilligungen für mehr Aussenplätze in der Gastronomie in Absprache mit der GPK und den Parteien erteilt. Das Schloss bringe viele Personen in die Stadt und die Buchungen in der neuen Jugendherberge seien vielversprechend. In der Oberstadt sei bereits nach dieser kurzen Zeit mehr Betrieb.
Die provisorische Bauabrechnung des Casino Theaters liege unter dem Budget, erklärte GR Kuster erfreut. Deshalb werde nun während der Spielpause zusätzlich das Bühnenhaus erhöht, was das Hochziehen der Kulissen ermögliche, sodass verschiedene Aufführungen im selben Zeitfenster gespielt werden können.
Nach fast vierstündiger Sitzungszeit mit anspruchsvollen Sachgeschäften, angeregten Diskussionen und persönlichem Einsatz für die Stadt und deren Bevölkerung, verabschiedeten sich die Stadt- und Gemeinderäte/-innen in die Sommerpause. Die nächste Stadtratssitzung findet am 14. September 2020 statt.

 

Helen Käser


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