Wie krank machender Stress zu vermeiden ist
08.09.2020 Aktuell, Wirtschaft, Region, Burgdorf, KulturWegen Corona führt das Spital Emmental momentan keine Publikumsvorträge in den Spitalräumlichkeiten der Standorte Burgdorf und Langnau durch. Stattdessen werden die Vorträge per Videoübertragung durchgeführt. Der Link wird jeweils am Ausstrahlungstag um 19.00 Uhr auf www.spital-emmental.ch aktiviert. Ein solcher Vortrag findet kommenden Donnerstagabend, 10. September 2020, 19.00 bis 20.15 Uhr, statt. Dr. med. Verena Merki widmet sich dem Thema «Psychosomatik: Wenn Stress krank macht».
«D’REGION»: Kommenden Donnerstagabend gestalten Sie den Vortrag «Psychosomatik: Wenn Stress krank macht». Worauf werden Sie den Fokus an diesem per Video übertragenen Anlass legen?
Dr. Merki: Ich werde den Fokus auf die körperlichen Folgen von Stress legen und darüber sprechen, wie dieser zu vermeiden ist.
«D’REGION»: Werden Ihnen Patientinnen und Patienten primär vom Hausarzt oder von der Hausärztin zugewiesen, wenn keine nachweisbaren körperlichen Ursachen gefunden wurden und diese Leute in ihrem Umfeld fälschlicherweise vielleicht sogar als Simulanten bezeichnet werden?
Dr. Merki: Ja. Hausärzte haben ein breites medizinisches Wissen und viel Erfahrung. Das sind gute Voraussetzungen für die Beurteilung oder Einschätzung von Beschwerden. Entsprechend weisen sie die Patienten zu, bei denen es schwierig ist, die Symptome zuzuordnen. Manchmal erfolgt die Zuweisung direkt mit dem Anliegen für eine spezifischere Therapie. Überhaupt möchte ich betonen, dass die Zuweisung dringend über den Hausarzt beziehungsweise die Hausärztin erfolgen muss – Patienten können sich nicht direkt bei mir anmelden.
Meist sind die notwendigen körperlichen Abklärungen im Vorfeld bereits erfolgt, was in meiner Sprechstunde dann die Fokussierung auf die psychosomatischen Aspekte erlaubt.
«D’REGION»: Zu den psychosomatischen Beschwerden, die Sie zu behandeln haben, zählen Schmerzen, Stress, Panikattacken, Müdigkeit und Verdauungsprobleme. Welche der genannten Beschwerden sind die häufigsten, mit denen Patientinnen und Patienten zu Ihnen kommen?
Dr. Merki: Ich sehe in der Sprechstunde viele körperliche Stressfolgen und chronische Schmerzkrankheiten.
«D’REGION»: Im Juli-Spital-Magazin «Gesundheit Emmental» sind Sie zu sehen, wie Sie mit einer Wäscheklammer das Schmerzempfinden einer Patientin messen. Das tönt einfach. Ist es das auch – oder gibt es weitere Utensilien beziehungsweise Geräte, die Sie in der Psychosomatik verwenden?
Dr. Merki: Ja, so ist es. Medizin kann auch einfach sein. Obwohl das Wort Psychosomatik sehr kompliziert tönt, geht es bei der psychosomatischen Medizin darum, dem subjektiven Anteil des Leidens sowie den Umständen, in denen sich das Leiden bildet und erstreckt, die korrekte Beachtung beziehungsweise Gewichtung zu geben. Und dazu braucht es keine hoch spezialisierten technischen Geräte. Ein weiteres «einfaches», aber wertvolles Instrument, welches zur Ersteinschätzung gehört, ist die Schmerzzeichnung. Um einen besseren Überblick zu bekommen, wird der Patient aufgefordert, die Lokalisation seiner Beschwerden auf einem Körperschema aufzuzeichnen. Diese Zeichnungen können aufgrund bestimmter Kriterien interpretiert werden und helfen dadurch, mehr über die Art der Schmerzen zu erfahren.
«D’REGION»: Wie sieht es bezüglich Alter Ihrer Patientinnen und Patienten aus – sind es oft Leute, die im Berufsleben stehen und hier von Stress und Ängsten mit daraus resultierenden nächtlichen Schlafstörungen sowie entsprechender täglicher Müdigkeit zu kämpfen haben?
Dr. Merki: Das Alter meiner Patienten mit psychosomatischen Beschwerden ist sehr unterschiedlich. Ich sehe viele junge, berufstätige Menschen, junge Menschen, die in der sensiblen Übergangsphase zum Erwachsenenleben stehen und auch ältere Menschen. Oft ist der Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der aktuellen Lebenssituation oder früher im Leben gemachten Erfahrungen erkennbar.
«D’REGION»: Wie häufig kommen bei Ihren Patientinnen und Patienten funktionelle Schmerzsyndrome wie das Reizdarmsyndrom, Tinnitus – also Ohrensausen – und Essstörungen vor?
Dr. Merki: Viele, wenn nicht fast alle meiner Patienten haben neurofunktionelle Symptome – also Symptome, welche mit einer über- oder unterregulierten Steuerung oder Wahrnehmung des zentralen Nervensystems zu tun haben. Somit begegnen mir häufig Patienten mit Tinnitus, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Verdauungsbeschwerden und Herzklopfen.
Essstörungen sind sehr komplexe Krankheiten, welche ich in Langnau nicht behandeln kann.
«D’REGION»: Können Verdauungsstörungen auch durch Situationen und Gedanken ausgelöst werden, die jemandem wortwörtlich «schwer im Magen liegen»?
Dr. Merki: Ganz klar. Wir haben in unserer Sprache viele Redewendungen, welche die Zusammenhänge zwischen Körper und unserem Befinden veranschaulichen. So führt die Alarmbereitschaft bei Stress dazu, dass das durch die Nebenniere ausgeschüttete Stresshormon Cortisol zu einer messbaren Abnahme der Dehnungskapazität des Magens führt, was ein Völlegefühl bei der Nahrungseinnahme hervorruft. Gleichzeitig wird über andere Rezeptoren eine vorschnelle und gehäufte Darmentleerung begünstigt, die viele Menschen in akuten Stresssituationen gut kennen. Ich möchte damit auch sagen, dass psychosomatische Beschwerden, also funktionelle Körpersymptome, ganz normal und alltäglich sein können.
«D’REGION»: In welchen Fällen setzen Sie in der Psychosomatik auch Medikamente ein, wann nicht?
Dr. Merki: Ich versuche, wenn immer möglich, über Erklärungen und Verhaltensänderungen eine anhaltende Verbesserung der Symptome zu erreichen. Manchmal braucht es aber trotzdem eine medikamentöse Unterstützung – zum Beispiel bei Schlafstörungen oder bei depressiver Stimmungslage, welche sowohl als Haupt-, aber oft auch als Begleitsymptome auftreten.
«D’REGION»: Haben Sie wertvolle Tipps bezüglich Vorbeugung und Rehabilitation dieser Leiden auf Lager?
Dr. Merki: Ich werde am Ende des Vortrags über die gesunde «Balance» sprechen. Ich muss aber aus eigener Erfahrung sagen, dass es nicht immer einfach ist, diese zu halten. Ein kleiner Tipp ist dieser: Pflegen Sie Hobbys!
«D’REGION»: Wie steht’s mit der Erfolgsquote – finden Sie die Ursachen der Beschwerden meist heraus?
Dr. Merki: Die Zusammenhänge lassen sich häufig eruieren. Das Problem liegt mehr bei der Behandlung. Handelt es sich um lang anhaltende Zustände ist die Behandlung besonders anspruchsvoll. Langjährige Denk- und Verhaltensmuster zu durchbrechen ist Schwerarbeit, welche letztlich jeder für sich selber tun muss. Ich kann lediglich bei der Motivation helfen.
«D’REGION»: Ihre Sprechstunden führen Sie am Standort Langnau des Spitals Emmental durch. Wann genau?
Dr. Merki: Mein Sprechstundentag ist der Donnerstag. Den Rest der Woche bin ich fest im Klinikalltag der Inneren Medizin eingebunden, wo ich meine psychosomatischen Kenntnisse natürlich auch einsetzen kann. Die Spezialisierung auf psychosomatische und psychosoziale Medizin ist übrigens nur ein Schwerpunkttitel und kann von jedem Arzt zusätzlich zu seinem Facharzttitel erworben werden. Das Wissen und die Erfahrung der Hausärzte helfen, jene Patienten zu selektionieren, welche eine Spezialbeurteilung/Behandlung benötigen.
Zur Person
Dr. med. Verena Merki: Start der ärztlichen Weiterbildung (Facharztausbildung) im Spital Burgdorf. Im Verlauf verschiedene Stationen in der Stadt Bern, eine Hausarztpraxisrotation in Biglen und die vertiefte Ausbildung in der psychosomatischen Medizin am Inselspital Bern und am Unispital Basel. Seit 2016 fest im Emmental tätig. Hier ist sie Leitende Ärztin Medizin. Sie ist 37 Jahre alt, verheiratet und wohnhaft in Oberburg. Ihr Hobby: Querflöte spielen.
Hans Mathys