«Mich begeistert die Vielseitigkeit der Pilze»

  22.10.2020 Aktuell, Foto, Kultur, Region

Was gibt es Schöneres, als vor dem Wintereinbruch durch die herbstlichen Wälder zu streifen und Pilze zu sammeln? Bei der Pilzkontrollstelle in Rüegsau herrscht deshalb gegenwärtig rege Betriebsamkeit. Junge Erwachsene, Seniorinnen und Senioren sowie Familien mit Kindern finden sich regelmässig bei der Militärküche im Gemeindehaus mit ihren Körbchen ein, um die in Wäldern und auf Wiesen erbeuteten Schätze begutachten und prüfen zu lassen. Sorgfältig und aufmerksam nimmt Pilzkontrolleur Bruno Schär jeweils Pilz für Pilz «unter die Lupe», sucht nach ungeniessbaren oder gar giftigen Exemplaren und trennt diese von den Speisepilzen. Parallel dazu beantwortet er Fragen, verrät Tipps und Tricks für die Suche im Wald, erklärt, durch welche Merkmale sich der wegen seines bitteren Geschmacks nicht essbare Gallenröhrling vom begehrten Steinpilz unterscheidet und gibt vieles von seinem Fachwissen preis.

Pilzfunde von Experten kontrollieren lassen
Dank Kontrollstellen wie jener in Rüegsau dürfen sich auch unerfahrene und unsichere Sammlerinnen und Sammler entspannt und sorgenlos auf eine exquisite Pilzmahlzeit freuen, ohne sich vor unliebsamen Überraschungen fürchten zu müssen. Denn die Verwechslungsgefahr zwischen Speise- und Giftpilzen, die sich optisch oft kaum voneinander unterscheiden lassen, ist gross. Die Zahl der Vergiftungsfälle stieg in den letzten Jahren markant an. Selbst der Verzehr von kleinsten Mengen des weissen Knollenblätterpilzes, der teuflischerweise beinahe wie ein wohlschmeckender Champignon aussieht, kann tödlich enden. Pilz-Apps bieten bei der Bestimmung ebenfalls keine sichere Gewähr, wie jüngst ein Test der TV-Sendung «Kassensturz» eindrucksvoll unterstrich. Auch Bruno Schär warnt davor, sich einzig und allein auf die Bestimmungsvorschläge der digitalen Ratgeber zu verlassen: «Bei einem kleinen Experiment identifizierte eine Pilz-App den Weinroten Purpurröhrling, der heftige Magenverstimmungen hervorrufen kann, als Speisepilz.» Bruno Schär rät allen – auch den vermeintlich erfahrenen – Sammlerinnen und Sammlern deshalb eindringlich, ihre Funde zur Sicherheit von einer Expertin oder einem Experten prüfen zu lassen: «Dabei gilt es Folgendes zu beachten: Unbekannte Pilze sollten nicht mit Speisepilzen in Berührung kommen. Zu Bestimmungszwecken empfiehlt es sich, jeweils den ganzen Fruchtkörper herauszudrehen, sodass alle Merkmale erkennbar sind. Informationen über den Fundort sind sicher auch nützlich.» Der 39-jährige Bruno Schär, der in Burgdorf lebt und am Gymnasium in der Zähringerstadt Mathematik unterrichtet, ist sich der grossen Verantwortung, die auf den Schultern der Pilzkontrolleure lastet, natürlich nur allzu bewusst. Er erläutert: «Wichtig ist es, stets Ruhe zu bewahren, immer aufmerksam zu sein und sich nie ablenken zu lassen. Bei der Ausbildung zum Pilzkontrolleur wird man natürlich gezielt auf diese Tätigkeit vorbereitet und systematisch darin geschult, Giftpilze zu erkennen. Dennoch beschlich mich in der Nacht nach meiner ersten Kontrolle ein mulmiges Gefühl und ich wachte schweissgebadet auf. Mit zunehmender Routine wird man natürlich abgeklärter.» Den Anfängerinnen und Anfängern, die sich auf die Pilzsuche begeben, empfiehlt Schär, sich nach Möglichkeit einer erfahrenen Person anzuschliessen, ein gutes Pilzbuch anzuschaffen und Mitglied eines Vereins zu werden, in dem regelmässig Pilzbestimmungs­abende stattfinden.

Auf der Suche nach seltenen Pilzarten
Bruno Schär schloss die Ausbildung der VAPKO (Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz) im Jahr 2017 mit Erfolg ab und amtet seit 2019 als Pilzkontrolleur in Rüegsau. Seine Faszination für Pilze reicht allerdings bis in seine Kindheit im Emmental zurück. «Mit meinem Vater streifte ich als Knabe oft durch die Wälder auf der Suche nach Speisepilzen und versuchte, unbekannte Exemplare anhand ihrer Merkmale zu identifizieren. Bereits damals lernte ich die lateinischen Namen der verschiedenen Arten auswendig.» Nachdem das Interesse an der exotischen Welt der Pilze, die neben den Tieren und Pflanzen das dritte grosse Reich der eukaryotischen Lebewesen bilden, vorübergehend einschlief, zieht er heute wieder regelmässig durch die Wälder. «Mich begeistert die Vielseitigkeit der Pilze, die unterschiedlichen Farben und Formen der Fruchtkörper, ihr Geschmack und Geruch. Sehe ich einen Pilz, will ich diesen unbedingt bestimmen können. Oftmals liefert erst die mikroskopische Untersuchung völlige Klarheit.» Der Fund von Speisepilzen wie Maronenröhrlingen oder Eierschwämmchen ist für Schär eher ein schöner Nebeneffekt – in seinem Fokus liegen insbesondere untypische Ausprägungen und seltene Arten. «Ein Höhepunkt bildete für mich im August 2020 die Entdeckung eines gelben Schuppenwulstlings an der Emme, der extrem rar ist. Auf der ganzen Welt wurden bisher erst rund 50 Exemplare verzeichnet.» Den streng geschützten Pilz hat Bruno Schär natürlich stehen lassen. Die Fundstelle wird kartiert – die möglichst genaue Erfassung der Pilze dient dem Aufbau von Wissen über ihr räumliches und zeitliches Vorkommen.

Ein Eldorado für Pilzsammlerinnen und -sammler
Das Emmental bezeichnet Bruno Schär, der Mitglied des Vereins für Pilzkunde Burgdorf / Oberburg ist, als kleines Eldorado für Sammlerinnen und Sammler. In der Region wachsen rund 2000 verschiedene Arten. Infolge des Klimawandels wandern zudem auch neue Pilzarten in unsere Breitengrade ein, etwa giftige Röhrlinge, die bisher vor allem in südlicheren Gefilden beheimatet waren. Kürzlich wurden in der Schweiz auch Exemplare des parfümierten Trichterlings gesichtet, dessen Verzehr zu Hautausschlägen und extrem starken Schmerzen führen kann.  
Der Höhepunkt der Pilzsaison neigt sich allmählich dem Ende zu. Aufgrund der tiefen Temperaturen in der Nacht dürften Steinpilze kaum mehr, Maronenröhrlinge nur noch selten zu finden sein. «Es ist aber durchaus denkbar, dass man noch bis Ende November Speisepilze wie den rauchblättrigen Schwefelkopf, Trompetenpfifferlinge und verschiedene Schnecklinge entdecken kann. Zudem erscheinen in Kürze bereits Winterpilze wie der Samtfussrübling oder der Austernseitling», erläutert Bruno Schär. Die Pilzkontrollstelle in Rüegsau, in der seit vergangener Woche die Maskenpflicht gilt, ist noch bis Ende Oktober 2020 geöffnet. Die nächste Pilzsaison kommt aber bestimmt!


Markus Hofer


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