Leben mit dem Tod

  20.01.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Gesellschaft, Region, Rüegsbach

Als Luc Conrad führte Mike Müller von 2013 bis 2019 den Schweizer Fernsehzuschauern das dramatisierte Leben eines Bestatters vor Augen, welcher sich als ehemaliger Polizist auch an den Aufklärungen von aussergewöhnlichen Todesfällen beteiligte. Zu den besten Zeiten lockte die Serie «Der Bestatter» fast eine Million Schweizer vor die Fernseher der Nation.
Einer, der sich im Geschäft ebenfalls bestens auskennt, ist Fritz Stalder, Bestatter aus Rüegsbach in vierter Generation. Auch für ihn gehörte die beliebte Serie zur Pflicht: «Ein Freund und ich haben es immer geschaut, sozusagen als ‹Weiterbildung›», lacht der 57-Jährige. Besonders aufgefallen sei ihm, dass sich die Verantwortlichen der Serie Mühe gemacht haben, den Tod und den damit zusammenhängenden Beruf würdevoll darzustellen. Ein Lob, welches etwa auch die Schweizer Bischofskonferenz teilte.
Während der Ausstrahlung des «Bestatters» hatte es immer wieder Anrufe an den Schweizerischen Verband der Bestattungsdienste gegeben, wie Fritz Stalder erzählt: «Menschen haben angerufen, die sich zum Beruf des Bestatters berufen gefühlt haben. Man darf so eine Serie aber nur als Unterhaltung werten.» So weiss Fritz Stalder aus jahrelanger Erfahrung, was auch sonst zur Realität des Berufes gehört. Nach einigen Schilderungen hätten sich viele Interessenten die ganze Sache noch einmal genau überlegt.

Ein über 100-jähriger Familienbetrieb
«Im Emmental und Oberaargau war es Tradition, dass der Dorfschreiner auch die Särge hergestellt hat und für die Bestattungen zuständig war», erklärt Fritz Stalder. So wurde diese Tradition auch in Rüegsbach gelebt: 1914 baute sein Urgrossvater Alfred Stalder-Meis­ter im Rinderbach seine Schreinerei und Zimmerei und stieg somit auch direkt ins Bestattungsgeschäft ein. In den 1930er-Jahren wurden die Schreinerei und Zimmerei getrennt – die Schreinerei übernahm Grossvater Fritz Stalder. Diese brannte 1942 jedoch nieder und musste neu aufgebaut werden. 1964 folgte mit Alfred Stalder-Heiniger die Übergabe an die nächste Generation und 1994 schliesslich an Fritz Stalder, welcher die Schreinerei weiterhin in der vierten Generation führt. Etwas hat sich aber schon seit längerer Zeit verändert: Seit den 1970er-Jahren werden die Särge nicht mehr in der hauseigenen Schreinerei hergestellt. So bezieht das Bestattungsunternehmen die mittlerweile normierten Särge (aus Schweizer Holz) in verschiedenen Längen- und Breitenmassen von anderen Schweizer Herstellern. Auch in anderen Bereichen hat sich das Bestattungsgewerbe stark verändert. «Als ich das Unternehmen übernommen habe, haben sich die Bestattungen auf zwei Drittel Erdbestattungen und einen Drittel Kremationen aufgeteilt», führt Fritz Stalder aus. «Heute ist die Kremation fast selbstverständlich. Bei 30 Bestattungen kommen wir etwa noch auf eine Erdbestattung.» Diese würden hauptsächlich noch aus religiösen Gründen vollzogen oder auf speziellen Wunsch der verstorbenen Person – wenn diese zu Lebzeiten etwa schlechte Erfahrung mit Feuer gemacht hatte. Diesen Wechsel zu mehr Kremationen kann sich der erfahrene Bestatter gut erklären, schliesslich bringe er verschiedene Vorteile mit sich. «Die Kremation gilt als Feuerbestattung. Danach hat man mehr Zeit und ist viel freier, wie man die Urnenbeisetzung gestalten möchte. Die Urne kann man auch nach Hause nehmen.» Auch Kostengründe könnten für diese Entwicklung eine Rolle spielen: Eine Kremation in Burgdorf kostet knapp 700 Franken, eine Erdbestattung mindestens das Doppelte.

Unterstützung im Todesfall
Der schlimmste Fall ist eingetreten eine geliebte Person ist verstorben. Was muss man nun überhaupt tun? Auch hier bietet das Bestattungsunternehmen Hilfe. Auf der Website www.stalder-bestattungen.ch hilft etwa eine Checkliste, wie bei einem Todesfall gehandelt werden soll und welche Behörden kontaktiert werden müssen. Das Bestattungsunternehmen ist für Beratungen auch 24 Stunden am Tag erreichbar. «Wenn man dazu nicht bereit ist, für andere da zu sein, dann gehört man nicht in diesen Job», weiss Fritz Stalder. Zur Arbeit gehört auch persönlicher Verzicht. Fritz Stalder berichtet davon, wie er im Dezember 2020 an drei aufeinanderfolgenden Nächten ausrücken musste. «Natürlich würde man in solchen Momenten lieber etwas anderes tun, aber das gehört dazu und es ist selbstverständlich, dass man immer hingeht.» Auch bei Themen wie Floristik und Drucksachen (Leidzirkulare) wird man beim Bestattungsunternehmen unterstützt. «Wer zu uns kommt, der weiss beim Verlassen des Gebäudes, wann die Beerdigung bei welchem Pfarrer stattfindet und wie dekoriert wird», so Fritz Stalder. Diese ganze Arbeit bewältigt Fritz Stalder aber nicht alleine: Neben ihm und seiner Frau Ursula Stalder arbeiten noch Urs Lüthi und Nadine Steffen im Unternehmen mit. Alle vier besitzen den eidgenössischen Fachausweis. Das Familienunternehmen beschäftigt auch einige Aushilfen. Fritz Stalder erklärt: «Bestatter sind immer zu zweit unterwegs, denn wir können nicht erwarten, dass die Angehörigen ihre Verstorbenen selber aus dem Haus tragen müssen.» Zur Arbeit gehören auch das Einkleiden, Einsargen und Aufbahren. Aufgaben, welche durch die Coronapandemie zusätzlich komplexer geworden sind. «Die erhöhte Sicherheit und Durchsetzung von Hygienevorschriften sind für uns selbstverständlich», so Stalder. Im vergangenen Jahr gab es deswegen Zeiten, in welchen auch Trauerfeiern nicht mehr normal durchgeführt werden konnten. Heute sei dies aber wieder möglich, wie Stalder sagt, auch mit offenem Sarg.
Um den Hinterbliebenen grössere Sorgen zu ersparen, ist es ausserdem möglich, seine Bestattung schon zu Lebzeiten zu regeln. Per Anordnung können etwa bestimmte Wünsche festgelegt werden. Bei einem Bestattungsvorsorgevertrag werden auch schon die Bestattungskosten miteinbezogen. Diese werden im Voraus berechnet und bezahlt, gehen aber nicht an den Bestattungsdienst selbst. Fritz Stalder erklärt das System: «Bei einer Vorauszahlung wird der Betrag an die Sterbevorsorgekasse des  Schweizerischen Verbandes der Bestattungsdienste überwiesen und dort hinterlegt. Bei der Bestattung selbst wird dann noch genau abgerechnet. Falls dabei Geld übrig bleibt, ist dies auch bereits im Vorsorgevertrag geregelt. Dieses kann etwa gespendet werden oder an die Erben gehen.» Mit diesem System wird gewährleistet, dass kein Geld verloren geht und die bezahlte Leistung auch vollzogen wird.

Belastende Arbeit
Im Durchschnitt kümmert sich Fritz Stalder drei Mal in der Woche um Bestattungen. «An viele Dinge dieser Arbeit kann man sich nicht gewöhnen. Ich bin auch froh, dass es nicht zur Routine wird.» Auch den erfahrenen Bestatter lässt die Arbeit nicht kalt: «Es spielt auch nicht wirklich eine Rolle, wie alt die verstorbene Person war. Irgendjemandem fehlt die verstorbene Person immer.» Auf die Frage, wie dieser Beruf den eigenen Umgang mit dem Tod verändert, überlegt Fritz Stalder einen kurzen Moment und antwortet: «Wenn man regelmässig mit dem Tod zu tun hat, wird einem bewusst, dass man auch selbst diesem nicht entfliehen kann. So habe ich auch die Einsicht gewonnen, dass das Leben zu kurz ist, um es zu ‹verzangge›. Man sollte das Leben lieber geniessen.»

Bestatter mit Wiedererkennungswert
Grosse Auswirkungen hatte die Coronakrise auf das Bestattungsunternehmen bisher keine. Dieses Jahr hatte Fritz Stalder bisher nur zwei Todesfälle betreut, in der Altjahrswoche im vergangenen Jahr waren es aber über zehn. «Unter dem Strich ist es ein Erwerbszweig», so Fritz Stalder. «Aber wir sind natürlich auch nicht traurig, wenn mal während zwei Wochen kein Todesfall eintritt.» Als Balance und Ausgleich dient besonders die Arbeit in der Schreinerei. Als regionales Unternehmen gehen ihm die Einsätze besonders nahe, viele der Verstorbenen kannte er auch selbst. Wenn ein solcher Todesfall ihn besonders mitnimmt, kann sich Fritz Stalder bei der Arbeit in der Schreinerei gut ablenken: «Es wäre ja auch schlecht, wenn es mir nicht nahe gehen würde.»
Dass Fritz Stalder in der Region schnell erkannt wird, liegt unter anderem an seinem Bestattungswagen: Als einziges Bestattungsunternehmen in der Umgebung besitzt er eine Limousine. So freut es ihn, dass er auch ohne Beschriftung am Wagen immer schnell erkannt wird. «Wir haben kein Logo und auch keine religiösen Symbole auf unserem Fahrzeug. Das ist auch wichtig, da wir auf alle Glaubensrichtungen Rücksicht nehmen wollen.» Wer also im Gebiet von Burgdorf, Heimiswil, Affoltern i. E., Lützelflüh, Rüegsau, Hasle und Oberburg die silbergraue Mercedes-Limousine auf der Strasse sieht, der weiss, dass Fritz Stalder im Einsatz ist. Vielleicht nicht wie Mike Müller, um einen Mord zu lösen, doch um Verstorbenen und ihren Angehörigen einen würdigen Abschied zu ermöglichen. Und das ist ja mindestens genau so wichtig.


David Kocher


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