So kommt trotz Shutdown keine Langeweile auf

  26.01.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Gesellschaft, Region

Anna Seilerin
In diesem historischen Roman von Therese Bichsel wird das Leben der Anna Seilerin nachgezeichnet. Dabei stützt sich die Autorin auf bestehende Quellen und recherchiert die Zeit im mittelalterlichen Bern im 14. Jahrhundert genau.
Anna wird in eine reiche Kaufmannsfamilie hineingeboren. Bereits bei der Geburt verliert sie ihre Mutter und ihre Tante wird zu ihrer Ersatzmutter. Ihr Vater hat viel Verständnis für Anna und behandelt sie als Heranwachsende fast ein bisschen wie einen Sohn und lässt sie bilden. Sehr jung und unerfahren, wie es eben üblich war, heiratet sie Heinrich Seiler, einen älteren, reichen Geschäftspartner des Vaters. Oft fühlt sie sich als Ehefrau und Hausfrau überfordert und fremd, auch wenn es Heinrich nicht schlecht mit ihr meint. Ihren Mann, der als Spitalvogt amtet, begleitet sie oft ins Spital und sie lernt dabei Krankheit, Schmerz und Armut kennen. Nach einer Totgeburt bleibt das Paar kinderlos, weshalb Heinrich zu ihr auf Distanz geht. Als er unerwartet stirbt, steht die junge Witwe allein da und muss ihr Leben selber in die Hand nehmen. Als verwitwete Frau muss sie sich der Entscheidung stellen, wieder zu heiraten oder ins Kloster einzutreten. Beides sind für Anna keine Optionen.
Obwohl die Berner bei Laupen die Schlacht gewinnen, strömen viele Verletzte in die Stadt zurück, die man kaum unterbringen und verarzten kann. Da entschliesst sich Anna, Verwundete in ihrem Haus aufzunehmen und mit­hilfe von Ordensfrauen zu pflegen. Dies ist der Anfang ihrer Berufung. Als später die Pest in Bern wütet, zeigt Anna grossen Mut, weil sie ihre Bettenzahl vergrössert und ohne zu zögern Pestkranke aufnimmt und pflegt. Als Frau schafft sie es, mithilfe guter Freunde und Berater ihr Testament so abzufassen, dass der grösste Teil ihres Vermögens in die von ihr gegründete Anna-Seiler-Stiftung fliesst und so ihr Lebenswerk fortbestehen kann.
Das Buch habe ich aus verschiedenen Gründen gerne gelesen. Einerseits, weil mich Anna Seilerin mit ihrem Wirken beeindruckt und mich die Geschichte anschaulich ins mittelalterliche Bern mitgenommen hat. Andererseits, weil ich die damalige Zeit mit dieser schrecklichen Seuche, der Pest, auch mit unserer Zeit der Coronapandemie gedanklich vergleichen konnte. Dabei ist mir bewusst geworden, wie nahe der Tod den Menschen im Mittelalter stets war und wie selbstverständlich wir Menschen des 21. Jahrhunderts uns auf die Spitzenmedizin verlassen können.

Rosette Graf (Bibliothek Affoltern i. E.) stellt «Anna Seilerin» (Therese Bichsel, Zytglogge Verlag) vor.
 

Das Leben ist ein wilder Garten
Carlo ist einem gleich sympathisch, er ist Landschaftsgärtner, Mitte vierzig und sein Leben verläuft etwas chaotisch. Seine Frau Ana hat ihn verlassen. Er liebt sie noch immer, vermisst sie sehr. Die gemeinsame Tochter Mina hat sich zudem plötzlich auch noch verändert. Sie ist vom Kind zur Frau geworden und lebt nun als Kunststudentin in London. In seinem Angestellten Agon hat Carlo einen besten Freund gefunden. Der derbe, massige Kosovare hat eine feine Seele, ist intelligent und belesen. In Agons Schrebergarten kann Carlo Ruhe finden. Eines Tages verschwindet Carlos Mutter aus dem Altersheim. Sie hat in ihrer Jugend als Bäckerstochter Luxushotels in der Umgebung mit Waren beliefert. Im letztverbliebenen Hotel findet man sie, keinesfalls gewillt, in ihr Heim zurückzukehren. Im Schrebergarten wird derweilen Agon überfallen und muss ins Krankenhaus. Dort begegnet Carlo seiner Ana wieder. Die beiden beschliessen, gemeinsam die erste Ausstellung ihrer Tochter in London zu besuchen. Erneut flammt Hoffnung in Carlo auf, Ana möge zu ihm zurückkommen, was aber nicht geschieht. Die Ausstellung ist ein herausforderndes Erlebnis für die Eltern. Sie verstehen das Exponat ihrer Tochter nicht und deren Veränderung überfordert sie. Wieder zu Hause will sich Carlo erneut seiner Mutter widmen. Diese lebt nach wie vor im Grand Hotel und nennt sich dort Madame Weiss. Noch immer ist sie eine anmutige, eigenwillige Frau. Als Carlo im Hotel eintrifft, wartet er vergebens auf seine Mutter. Sie ist mittlerweile in ihrem Hotelzimmer verstorben. Durch einen alten Freund seiner Mutter erfährt Carlo noch einiges über ihr Leben. Doch vieles bleibt ihm für immer verborgen. Nach seiner Frau und seiner Tochter verliert Carlo nun auch seine Mutter. Agon jedoch bleibt treu an seiner Seite und begleitet ihn weiterhin mit seinem aufrichtigen, verlässlichen Wesen.
Roland Buti beleuchtet in seinem Roman «Das Leben ist ein wilder Garten» die Höhen und Tiefen des Lebens. Liebevoll befasst er sich mit den Themen des Abschiednehmens, der Freundschaft und der Liebe zur Natur.

Susanne Leuenberger Marti (Gemeindebibliothek Rüegsau) stellt «Das Leben ist ein wilder Garten» (Roland Buti, Paul Zsolnay Verlag) vor.

 

Zugvögel
Franny, die junge Ornithologin, hat ihr ganzes Leben am Meer verbracht. Die wilde Strömung und die Vögel zieht sie den Menschen vor. Doch nach und nach verschwinden die gefiederten Gefährten und sie beschliesst, den letzten Zugvögeln zu folgen.
Es gelingt ihr, auf einem Fischerboot anzuheuern. Inmitten der exzentrischen Crew macht sie sich auf den Weg in die Antarktis. Es beginnt ein wildes Abenteuer, schutzlos ist die junge Frau den Naturgewalten ausgeliefert. Als Kompass dienen der Mannschaft die Vögel, welche mit einem Peilsender versehen worden sind. Wo sie sind, gibt es auch Fische.
Doch so weit Franny auch reist, ihrer Vergangenheit kann sie nicht entfliehen. Der raubeinige Kapitän Malone ahnt schnell, dass mit der einnehmenden Vogelkundlerin etwas nicht stimmt. Wer ist die Frau, die mit falschem Pass reist, nachts von Alpträumen geplagt wird und Briefe an ihren Mann schreibt, sie aber nie abschickt?
Ahnungslos navigiert die Schicksalsgemeinschaft inmitten der tosenden Wellen des Ozeans in ein lebensbedrohliches Abenteuer zum äussersten Rand der Welt.
Charlotte McConaghys Roman ist eine Ode an die bedrohten Geschöpfe der Erde, eine Geschichte über die Wege, die wir gehen für die Menschen, die wir lieben. Franny, eine Heldin, deren Trauer zu Tränen rührt. Emotional und tiefgründig, traurig und gleichzeitig wunderschön. Eine bewegende Geschichte, die in Erinnerung bleiben wird. Ein unglaublich tolles Buch, das mich im Sturm erobert hat.

Trix Niederhauser (Buchhandlung am Kronenplatz) stellt «Zugvögel» (Charlotte McConaghy, S. Fischer Verlag) vor.

 

Liebe mich, töte mich
Georgina Shaw, genannt Geo, und Angela Wong sind beide 16 Jahre alt und die besten Freundinnen.
Nach einer Party verschwindet Angela spurlos. Auch die grossangelegte Suchaktion ist erfolglos, Angela bleibt verschwunden. Erst 14 Jahre später werden im Wald in der Nähe von Geos Elternhaus die sterblichen Überreste von Angela gefunden. Bald werden weitere Opfer, welche auf ähnliche Weise ermordet wurden, aufgefunden. Detective Kaiser Brody übernimmt die Ermittlungen und die Spur führt zu Calvin James. Calvin war die erste grosse Liebe von Geo und in der Nacht von Angelas verschwinden mit den Mädchen zusammen. Jetzt muss auch Geo dazu stehen und sich verantworten, denn sie hat all die Jahre das Geheimnis über jene Nacht für sich behalten. Geo und Calvin werden verurteilt und müssen ins Gefängnis. Calvin gelingt die Flucht und bleibt unauffindbar. Nach fünf Jahren Haft wird Geo entlassen. Kurz darauf folgen erneut Verbrechen, welche Calvin zugeschrieben werden könnten. Zudem hinterlässt der Killer Nachrichten, welche klar an Geo gerichtet sind. Ist Geo jetzt auch in Gefahr?
Dieser etwas düstere Thriller und erste Titel von Jennifer Hillier auf Deutsch ist sehr interessant, spannend und sehr flüssig erzählt. Das Buch ist in fünf Teile gegliedert und wechselt in der Erzählung immer wieder zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Ab dem zweiten und dritten Teil erfährt der Leser immer mehr Details, doch erst im letzten Teil erhält man das entscheidende Puzzleteil und entdeckt die überraschende Wahrheit. Deshalb kann man das Buch fast nicht auf die Seite legen, es lässt einen gefesselt weiterlesen.

Beatrix Diriwächter (Bibliothek Regio Koppigen) stellt «Liebe mich, töte mich» (Jennifer Hillier, Penguin Verlag) vor.

 

Effi Briest
Der Roman beleuchtet das Schicksal von Effi Briest, einer jungen Frau von eingangs 17 Jahren, die als unbeschwertes, wohlbehütetes Mädchen dargestellt wird. Dass sie zustimmt, sich mit dem doppelt so alten Baron von Instetten zu vermählen, wirkt umso pikanter, als es sich bei dem Mann um den ehemaligen Verehrer ihrer Mutter handelt. Die komplexe Dreiecksgeschichte mag hier schon angedeutet sein, folgt aber erst mit dem Auftritt von Major Crampas. Diesen lernt Effi in Kessin an der Ostsee kennen, wohin sie nach der Hochzeit mit ihrem Mann gezogen ist. Da der Baron viel auf Dienstreisen ist, fühlt sich Effi auch nach der Geburt ihrer Tochter einsam. Die Spukgeschichten über einen Chinesen, die ihr der Baron über ihr neues Zuhause erzählt, berauben sie zusätzlich ihrer Unbeschwertheit. Der so charmante wie leichtlebige Crampas, den der Baron vom Militär kennt, ist Effi eine willkommene Abwechslung. Daraus entwickelt sich eine Affäre.
Doch auf Dauer ist Effi nicht gemacht für die Heimlichtuerei und erleichtert, als ihr Mann nach Berlin berufen wird, um dort seine Karriere vorwärtszutreiben. Weitere sechs Jahre geht alles gut.
Dann entdeckt der Baron im Nähkästchen seiner Frau die Liebesbriefe, die ihm die Affäre eröffnen. Er sieht sich ausserstande, anders als gemäss Konvention zu handeln. Er fordert seinen ehemaligen Widersacher Crampas nicht nur heraus und tötet ihn im Duell, sondern lässt sich von Effi scheiden, die damit alle sozialen Ansprüche verliert. Die Verstossung durch ihre Eltern und ein schmerzhaftes Wiedersehen mit ihrer Tochter, der sie mittlerweile fremd geworden ist, lassen sie einen schweren Zusammenbruch erleiden. Als Folge davon wird sie zwar von ihren Eltern wieder aufgenommen, aber nur, um daheim zu sterben.
Mit der dem Realismus geschuldeten Nüchternheit beschreibt Fontane Effis Schicksal aus der für ihn typischen Distanz. Sein Roman steckt voller Leitmotive, Anspielungen und kritischer, aber nicht moralisierender Fingerzeige, die auch einer wiederholten Lektüre keinen Abbruch tun.

Andrea Grichting (Stadtbibliothek Burgdorf) stellt «Effi Briest» (Theodor Fontane, Klett Verlag) vor.

 

Meine ferne Schwester
1937–1939: Im ersten Teil des Buchs geht es um die Geschichte des Vaters und um dessen Töchter Rowan und Thea. Die beiden Schwestern stehen sich sehr nahe, da Rowan Thea bei einem Unfall, bei dem ihre Mutter ums Leben kam, das Leben rettete. Im ersten Teil kommen leider schon einige Geheimnisse ans Licht, die viel vom Buch preisgeben. 1940–1944: Im zweiten Teil schildert die Geschichte die verschiedenen Leben der beiden unterschiedlichen Schwestern während des Zweiten Weltkriegs. In parallel laufenden Erzählsträngen geht es um Schicksalsschläge, aber auch erfreuliche Erlebnisse im Leben von Rowan und Thea. Über weitere Personen, die mit der Familie verknüpft sind, werden Hintergründe und detaillierte Beschreibungen erzählt. Das ganze Kriegsgeschehen hat Einfluss auf den weiteren Verlauf beider Familiengeschichten. Auf ganz unterschiedliche Art erleben und erfahren alle Beteiligten diese Zeit. 1945–1946: Im dritten Teil versuchen beide Schwestern, trotz Krieg und Entbehrungen einen Platz im Leben zu finden. Das Geschehene scheint verarbeitet und das Leben geht weiter.
Obwohl das Buch für mein Empfinden manchmal etwas sehr detailliert beschreibt, zeigt es einen guten Einblick in eine Familiengeschichte. Für mich ist bei einigen Details fragwürdig, ob das während der Zeit um den Zweiten Weltkrieg so wirklich möglich gewesen wäre. Aber schlussendlich ist es eine Geschichte, die sich flüssig liest und bei der vieles nachvollziehbar ist. Sicher nicht das beste Werk von Judith Lennox, aber dennoch lesenswert.

Renate Ruch-Knuchel (Bibliothek Bätterkinden) stellt «Meine ferne Schwester» (Judith Lennox, Pendo Verlag) vor.


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