«Juhu, endlich ist wieder Montag»

  11.08.2021 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft

Was, endlich Montag? Wer könnte sich denn schon über den Wochenbeginn freuen? Den meisten von uns wird es wohl wie dem Kultkater Garfield mit seiner Einstellung «Ich hasse Montage» gehen. Nicht so Anne Dominique Glaus. Die 29-Jährige lebt seit fast zwei Jahren in der Stadt La Paz, dem Regierungssitz von Bolivien, auf rund 3600 Metern über Meer. «D’REGION» berichtete im Oktober 2019 bereits über die Vorbereitungen der Burgdorferin auf ihren Entwicklungseinsatz. Was man damals natürlich noch nicht wusste: Das Coronavirus war im Anmarsch. Auch Bolivien wurde von COVID-19 getroffen und die Politik reagierte unter anderem mit harten Quarantänemassnahmen. So kam es, dass man über Wochen nur an bestimmten Tagen beziehungsweise Tageshälften das Haus verlassen durfte. Für Anne Dominique Glaus war dies jeweils der Montagmorgen – ein Stück Freiheit, welches sie – verständlicherweise – jeweils kaum erwarten konnte.

Der richtige Umgang mit Emotionen
Normalerweise berichtet diese Zeitung über alles, was in unserer Region – in einem Radius von ungefähr zehn Kilometern um Burgdorf – so geschieht. Vor Kurzem unterhielt sich «D’REGION» mit einer jungen Frau, die ungewohnt weit weg von der Region Burgdorf wohnt. Denn über 10 000 Kilometer entfernt lebt und arbeitet die Burgdorferin Anne Dominique Glaus im Rahmen eines Entwicklungseinsatzes für die NGO Comundo, die führende Schweizer Organisation für personelle Entwicklungszusammenarbeit (PEZA). Zusammen mit der Direktion für Gleichstellungspolitik der Stadtverwaltung (Einheit Gewaltprävention) in La Paz führt die studierte Psychologin an Schulen Workshops zum Thema «Emotionale Intelligenz» durch. Das Team bringt einheimischen Schülerinnen und Schülern wie auch Lehrpersonen und Eltern näher, wie man eigene Emotionen erkennen und besser mit ihnen umgehen kann. Anne Dominique Glaus erzählt, dass man bereits bei früheren Projekten in La Paz festgestellt hat, wie wichtig der Umgang mit dem Thema Emotionen ist.

Geografische und kulturelle Unterschiede
Ein Problem für viele Besucherinnen und Besucher des südamerikanischen Landes ist der enorme Höhenunterschied, der sie in bestimmten Gebieten Boliviens erwartet.  La Paz liegt mit 3600 Metern über Meer auf dem Altiplano (Hochebene), welcher sich von Argentinien bis Peru erstreckt. Aus diesem Grund besuchte Anne Dominique Glaus 2019 zuerst für drei Wochen einen Spanischkurs im tiefer gelegenen Cocha­bamba (auf «nur» 2500 Metern über Meer), bevor es weiter nach La Paz ging. «Von der Höhe habe ich aber kaum etwas gemerkt. Doch durch den Jetlag bin ich nachts schon erwacht. Man hat mir geraten, zu grosse Anstrengungen oder Stress zu vermeiden. In La Paz hatte ich die ersten zwei Tage nur leichte Kopfschmerzen und ab und zu Druck auf den Ohren, aber sonst ging alles gut», erzählt Dominique Glaus. Spannend sind die kulturellen Unterschiede im Vergleich zur Schweiz, welche Anne Dominique Glaus in Bolivien erlebt. «Auch wenn es dort verboten ist, sieht man immer wieder Kinder, die arbeiten und beispielsweise Süssigkeiten verkaufen oder Schuhe putzen», so Glaus. «Oft sieht man alte Menschen noch arbeiten und zum Teil schwere Sachen tragen. So etwas ist man sich in der Schweiz nicht gewöhnt.» Die Burgdorferin schildert auch die spannenden einheimischen Bräuche und Traditionen, etwa rituelle Opfergaben für die Pachamama (Mutter Erde). Besonders der August als einer der kältesten Monate im Jahr in der bolivianischen Hochebene steht ganz im Zentrum der Pachamama.

Sieben Monate ohne «freies» Wochenende
Die Coronapandemie hat auch das Leben von Anne Dominique Glaus deutlich verändert. Als Massnahme zur Bekämpfung der Pandemie wurde in Bolivien eine harte Quarantäne eingeführt, wie Anne Dominique Glaus berichtet: «Über acht Wochen konnten wir nur einen halben Tag pro Woche raus. Für mich war das jeweils der Montagmorgen.» Auch wenn sich Glaus natürlich auf diesen Tag gefreut hat, konnte sie ihn kaum geniessen: «Ich habe immer gedacht ‹Juhu, es ist wieder Montag, ich darf raus›. Beim Supermarkt musste man aber anstehen und der ganze Körper wurde desinfiziert. Bis man dann fertig war, musste man schon fast wieder nach Hause.»
Nach und nach haben sich die Regeln gelockert und die Ausgangszeiten wurden immer länger. Doch viele der Einschränkungen blieben über längere Zeit bestehen. So konnte Anne Dominique Glaus etwa die arbeitsfreie Zeit am Wochenende auch nicht so richtig geniessen: «Sieben Monate lang durften wir am Wochenende unser Haus nicht verlassen.» Dabei geholfen hat Anne Dominique Glaus, dass sie mit einer Comundo-Kollegin zusammenwohnt. «Wir haben zusammen gekocht, Filme geschaut und viel geredet», erzählt Glaus. Auch habe sie viel mit der Familie und Freunden telefoniert und – da sie als leidenschaftliche Kletterin und Boulderin nicht nach draussen gehen durfte – zu Hause Sport gemacht.
Die Arbeit der 29-Jährigen wurde durch die Coronapandemie angepasst. Zwar war bereits davor der Onlinekurs zu emotionaler Intelligenz vorgesehen, doch mussten die drei Präsenzmodule wie auch die Workshops vor Ort in den Schulen abgesagt werden. Die Workshops wurden virtuell durchgeführt und seit diesem Jahr erneut modular (drei Module mit je drei Lektionen). Von den neun geplanten  Schulen wurden bisher sechs erreicht. 2021 fanden ausserdem die Bürgermeisterwahlen in La Paz statt, nach welchen oft Leitungspositionen im Verwaltungsapparat ausgetauscht werden. «Wir hoffen, dass wir in einem ähnlichen Rahmen weitermachen können», sagt Anne Dominique Glaus.

«Das Land der Blockaden»
Als wäre die Coronapandemie noch nicht genug, wurde Bolivien in den vergangenen zwei Jahren auch politisch durchgeschüttelt. Kurz einige Hintergründe: Ende 2019 wurde der bisherige Präsident Evo Morales nach Unregelmässigkeiten bei der Präsidentschaftswahl zum Rücktritt gezwungen. Evo Morales ging nach Mexiko ins Exil und Jeanine Áñez wurde temporär zur Präsidentin ernannt. Es kam zu Protesten und Blockaden, unter anderem durch Korruptionsskandale in der Regierung und weil der Wahltermin durch die Pandemie weiter verschoben wurde. Die Präsidentschaftswahl 2020 wurde schliesslich im Oktober durchgeführt und von Luis Arce gewonnen. Im Frühling 2021 wurde ausserdem die ehemalige Interimspräsidentin Áñez festgenommen.
Anne Dominique Glaus erzählt, dass sie von den politischen Turbulenzen nicht sehr viel mitbekommen habe. Als Mitarbeitende von Comundo dürfe sie auch gar nicht politisch aktiv werden und etwa an Demonstrationen teilnehmen. Doch spürbar waren die Auswirkungen der Unruhen dennoch. So musste die erste Teamsitzung nach der Ankunft von Anne Dominique Glaus in La Paz aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Nicht zu Unrecht nennt man Bolivien «das Land der Blockaden». Glücklicherweise war Glaus bisher noch nie selbst von solchen Strassensperren betroffen, doch sind ihr in Supermärk­ten halb leere Regale aufgefallen, da durch die Blockaden Warenlieferungen nicht nach La Paz transportiert werden konnten.

Die Lage entspannt sich
Über die Organisation Comundo wurden die ausländischen Fachleute wie Anne Dominique Glaus regelmässig über den Stand der Dinge bezüglich der Coronapandemie informiert. «Ich wusste auch, dass die Möglichkeit besteht, in die Schweiz zurückzukehren», erzählt Anne Dominique Glaus. «Das habe ich aber nicht als notwendig erachtet.»
Im Dezember 2020 konnte Anne Dominique Glaus in ihren Ferien sogar in die Schweiz fliegen und kehrte (mit etwas Verspätung durch abgesagte Flüge) Mitte Januar 2021 wieder nach Bolivien zurück. Auch in Bolivien selbst konnte sie – teilweise vor der Pandemie, teilweise nach den Lockerungen – verschiedene Teile des Landes bereisen. Begeistert erzählt sie etwa von Ausflügen zum Nationalpark Sajama, ins wärmere Santa Cruz de la Sierra, nach Sucre oder zum Titicacasee, der etwa 15-mal so gross ist wie der Bodensee. «Die Weite  und Vielfalt der Landschaft in Bolivien schätze ich besonders», schwärmt die Burgdorferin. So sei die Landschaft oft noch unbefleckt und weit und breit kein Haus zu sehen. Mittlerweile ist die Lage im Land wieder relativ normal. «Das Leben ist auf die Strassen zurückgekehrt, aber in meinem Quartier sind beispielsweise deutlich weniger Marktfrauen vor Ort als früher. Draussen gilt zwar eine allgemeine Maskenpflicht, aber es halten sich nicht alle daran», schildert Anne Dominique Glaus.

Vertrag bis 2022
Vor Kurzem hat Anne Dominique Glaus ihren Vertrag mit Comundo bis Ende September 2022 verlängert. «Danach geht es aber zurück in die Schweiz», meint die Burgdorferin. «Ich finde das Thema Gewaltprävention sehr wichtig und könnte mir gut vorstellen, auch in der Schweiz mit diesem Thema zu arbeiten.» Natürlich vermisst Anne Dominique Glaus auch vieles aus ihrem Leben in der Schweiz: Besonders weit oben auf der Liste stehen Freunde, Familie und mit ihrer Schwester und Freunden an Konzerte ihres Bruders zu gehen. Doch auch Unerwartetes fehlt in La Paz: «Ich vermisse die Jahreszeiten. Hier sind die Temperaturschwankungen tagsüber grösser als über das Jahr gesehen», erzählt die 29-Jährige. «Auch der ÖV in der Schweiz, mit dem man einfach schnell in die Berge fahren kann, fehlt mir. Für solche Ausflüge braucht man hier einfach ein Auto.»
Doch wird Anne Dominique Glaus in Zukunft auch so einiges aus Bolivien vermissen. «Ich habe hier tolle Leute kennengelernt, die mir fehlen werden. Toll finde ich auch die Spontanität und Gastfreundschaft der Leute, die einfach geben, ohne etwas dafür zu erwarten.»  
Mit einem Rundbrief informiert Anne Dominique Glaus alle paar Monate über ihre Arbeit und Erfahrungen in La Paz. Dieser Rundbrief und weitere Informationen können unter www.comundo.org/glaus">www.comundo.org/glaus eingesehen werden.


David Kocher

 

Comundo – Fachleute im Entwicklungseinsatz
Comundo ist eine spendenfinanzierte Non-Profit-Organisation aus der Schweiz, die einen Beitrag zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO leistet. Mit über hundert Fachleuten verbessert sie die Lebensbedingungen von Menschen in Lateinamerika und Afrika mit einem Fokus auf Kinder, Jugendliche sowie alte Menschen.  Mit personeller Entwicklungszusammenarbeit verbindet Comundo den Austausch von Wissen und Erfahrung mit lokalen Partnerorganisationen, mit Vernetzung und mit der Förderung von gegenseitigem Lernen. Comundo-Einsatzleute verpflichten sich jeweils für ein bis drei Jahre für ihre Einsätze. zvg

www.comundo.org


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