Frauen im Justizvollzug – damals und heute

  20.10.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Gesellschaft, Region, Hindelbank

In Hindelbank findet zurzeit ein ganz besonderes Jubiläum statt. Das Schloss Hindelbank wurde vor 300 Jahren erbaut und seit 125 Jahren wird es vom Kanton Bern genutzt – zuerst als Armenanstalt für Frauen, später als Gefängnis. Dass Feierlichkeiten zum Jubiläum einer Strafvollzugsanstalt aber eine zwiespältige Angelegenheit sind, war sich Annette Keller, Direktorin der JVA Hindelbank, beim Medienanlass vergangene Woche bewusst: «Jede Gesellschaft wünscht sich, dass es keine Straftaten mehr geben würde und somit auch keine Gefängnisse braucht. Aber es braucht sie noch. Also feiern wir trotzdem, und es lohnt sich.» Hindelbanker Gemeindepräsident Daniel Wenger fand auch viele lobende Worte: «Für den Gemeinderat war sofort klar, dass wir das Projekt unterstützen. Für uns Hindelbanker gehören das Schloss und die Anstalt einfach dazu.»

Eine vielschichtige Ausstellung
Gefeiert werden die Jubiläen von Schloss und Justizvollzugsanstalt mit einer Ausstellung im Schloss Hindelbank. Zur Ausstellung ist auch das Buch «Hindelbank. Das Schloss. Die Anstalt. Das Dorf – 1721 bis heute» erschienen, in welchem auf rund 300 Seiten die Geschichte um das historische Gebäude und den betroffenen Menschen aufgearbeitet ist. Das Buch kann bei der Ausstellung im Schloss bezogen werden. Für die Ausstellung wird dabei das Schloss Hindelbank, welches noch bis 1960 als Wohn- und Arbeitsort für die Insassinnen diente und heute als Verwaltungsgebäude genutzt wird, vom Rest des Justizvollzugs getrennt. «Der normale Betrieb soll ungestört weiterlaufen», so Annette Keller. «Die aktuelle JVA ist bewusst kein Teil des Jubiläums. Die Frauen sollen nicht das Gefühl haben, ausgestellt zu werden.» Trotzdem erhalten Besucherinnen und Besucher beim Besuch der Ausstellung auch einen kleinen Einblick in das Leben hinter Gittern heutzutage. Per VR-Brille wird in einem mehrminütigen Video eindrücklich ein typischer Tagesablauf in der JVA Hindelbank präsentiert. Zusätzlich liefern einige aktuelle Insassinnen bei der Ausstellung Einblicke in ihre Wünsche und Träume.

Recht und Unrecht
In der Ausstellung wird ausserdem greifbar, wie sich der Justizvollzug im Laufe der vergangenen 125 Jahre deutlich verändert hat. Einen besonders dunklen Fleck in dieser Geschichte bildet dabei die sogenannte «administrative Versorgung», welche erst 1981 eingestellt wurde. In solchen Fällen wurden Personen, welche von der damals geltenden Normvorstellung abwichen, eingesperrt und, wie etwa in Hindelbank, mit Strafgefangenen zusammengelegt. Die betroffenen Personen wussten teilweise nicht einmal, wie lange sie überhaupt in den Anstalten verbleiben würden. Auch das wird in der Ausstellung thematisiert, wie Annette Keller erklärt: «Es ist aus unserer heutigen Sicht unverständlich, wie man damals mit diesen Frauen umgegangen ist und wirft auch Fragen auf, wie künftige Generationen unsere heutige Praxis als Justizvollzugsanstalt beurteilen werden.»
Ein Besuch im Schloss lohnt sich aber nicht nur für Personen, welche sich für die Geschichte des Justizvollzugs interessieren. «Das Schloss gilt als eines der schönsten Barockschlösser der Schweiz», so Keller. «Es ist auch gut, wenn sich Bürgerinnen und Bürger selbst ein Bild machen können, wie der Strafvollzug, welcher ja eine öffentliche Aufgabe des Staates ist, genau abläuft und was sich verändert hat.» «Die wenigsten, die das Schloss jeden Tag sehen, waren schon einmal hier», weiss Christoph Reichenau, Projektleiter der Jubiläumsausstellung. «Hier heisst es nicht ‹Aus den Augen, aus dem Sinn›, sondern wir zeigen, wie der Strafvollzug heute und wie vor 100 Jahren praktiziert wurde.» Am vergangenen Freitag wurde die Vernissage gefeiert. Bis Ende November 2021 kann die Ausstellung kostenlos besucht werden.

David Kocher

Ausstellung im Schloss Hindelbank. Bis 27. November 2021. Mittwoch bis Freitag, 13.30 bis 17.30 Uhr, Samstag und Sonntag, 10.00 bis 17.00 Uhr. Öffentliche Führungen jeden Samstag und Sonntag um 11.00 Uhr. Das Buch kostet in der Ausstellung 40 Franken (48 Franken im Buchhandel).


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