Zwang zu mehr Nachhaltigkeit als Chance

  24.11.2021 Aktuell, Foto, Wirtschaft, Region, Politik

Zahlreiche Mitglieder der Regionalkonferenz Emmental (RKE), des Handels- und Industrievereins Kanton Bern, Sektion Burgdorf-Emmental (HIV), sowie von weiteren Institutionen und Verbänden im Emmental folgen den Ausführungen von Präsident Walter Gerber (Netzwerk Wirtschaft Emmental NWE und HIV), der am Herbstanlass 2021 bei der Begrüssung in der Ilfishalle Langnau i. E. «nach der unerwarteten Ablehnung des CO2-Gesetzes mit 51,6 Prozent vom Zwang zu mehr Nachhaltigkeit» spricht. «Die Verminderung von Treibhausgas-Emissionen muss für uns alle auch ohne Gesetz Motivation und Ansporn sein», fasst er zusammen. «Andernfalls sind wir auf dem besten Weg, unseren Globus an die Wand zu fahren.»
Ermutigend findet er, dass das Berner Stimmvolk am 26. September 2021 mit 63,9 Prozent deutlich Ja gesagt hat zur Verankerung des Klimaschutz-Artikels in der Verfassung.

Rohstoff Holz 100-prozentig nutzen
Holzbauingenieur FH Stefan Zöllig, Gründer und Mitglied der Geschäftsleitung von Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, spricht über den Holzbau im Wandel und entsprechende Chancen für neue Geschäftsmodelle. Im Fokus stehen mehr und grössere Holzbauten, das Erreichen und Halten von guter Qualität, der Wandel in der Planung und schliesslich Gebäude als reine CO2-Speicher. Eine wichtige Frage ist: Haben wir genug Holz und wie können wir es effizienter (das heisst vollständig inklusive Äste und Rinde) nutzen? Am Schluss seiner Ausführungen erklärt er, dass heute nur 30 Prozent eines gefällten Baumes für Brettschicht- und Sperrholz verarbeitet werden. Derzeit entwickelt Timbatec mit grossem finanziellem Aufwand Forschungsprojekte, wie das gesamte Holz gemäss der «Scrimber»-Idee als lange Faserstränge zu gepressten und verleimten Elementen geformt werden kann. Bei allen Entwicklungsprojekten gelte es, die 3-T-Formel zu berücksichtigen: Time (die Zeit im Griff haben), Talent (Fähigkeiten der ausgebildeten Mitarbeiter) und Treasury (Geld dank vorhandener Glaubwürdigkeit).
Peter Jakob von Jakob Rope Systems in Trubschachen informierte mit einen Film über die Tätigkeit der in Vietnam und die Einweihung der neuen Produktionsstätte vor zwei Jahren. Jakob informiert, wie das kommunistische Regime von Vietnam mit der Coronakrise umgegangen ist: Mangels Impfstoffe trifft es die Bevölkerung mit voller Wucht, alles geht ab Mitte Juni 2020 zu. Bei Jakob Rope Systems wird die Belegschaft nicht entlassen, sondern in Kurzarbeit geschickt. Später darf nur arbeiten, wer geimpft ist. Die anderen bleiben ohne Lohn zu Hause. «Die Schweiz hat ein Wohlstandsproblem der besonderen Art», fasst Jakob die derzeitige Situation mit endlosen Demonstrationen und ausufernden Beschimpfungen zusammen.

Ökologisches Wirtschaften gleich Wachstum
Markus Vögeli, Co-Geschäftsleiter der gleichnamigen 110-jährigen «Traditionsdruckerei» im Emmental (vierte Generation), erläutert das Konzept von zukunftsfähigen Kommunikationsmitteln und erklärt, warum ökologisches Wirtschaften auch Wachstum bedeutet. Mit verschiedenen Tabellen, Zahlen, Fotos usw. erklärt er, dass «nur durch die Transformation zur Kreislaufwirtschaft unser Wirtschaftssystem konkurrenzfähig bleibt». Das heisst in den Sektoren Verpackungen, Papier, Druckmaterialien usw.: Produktion, Produkt, Verwendung, biologische Zersetzung, biologische Nährstoffe, Pflanzen und dann beginnt der Kreislauf von Neuem. Nichts wird verschwendet, alles genutzt.
Laut Vögeli wird das Prinzip «Cradle to Cradle» (vom Ursprung zum Ursprung) seit Jahren bei Vögeli praktiziert. Cradle-to-Cradle-Produkte sind demnach solche, die entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder als «technische Nährstoffe» kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden können. «Diesbezüglich hat Vögeli bereits vor Jahren erst die Silber-, später die Gold-Zertifizierung erhalten, absolut positiv für Mensch und Umwelt.»

Fachkräftemangel beheben
Jana Schiendorfer, Projektkoordinatorin bei TecLab Burgdorf, spricht über die zwei Ziele beim Nachhaltigkeitsmodell des TecLab: Minderung des Fachkräftemangels durch Förderung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) sowie die Zusammenarbeit mit Unternehmen bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung. Anhand von Beispielen weist sie darauf hin, dass in Anbetracht der immer noch praktizierten Geschlechterrollen bei der Berufswahl schon im Kindergarten damit begonnen werden müsse, Buben und Mädchen für alle nur denkbaren Berufe begeistern zu können. Die Anstrengungen müssen während der Schulzeit, Ausbildung und den Jahrzehnten der Berufsausübung fortgesetzt werden, um eine passende Berufswahl und Weiterbildungen zu gewährleisten.
Laut Schiendorfer fehlt in den MINT-Fächern seit Langem der Nachwuchs, weshalb auf dessen Förderung besonderer Wert gelegt wird. «Wir arbeiten auf eine breite Basis hin, betreiben keine Eliteförderung von Multitalenten, votieren für Problemlösungen und suchen Interessierte mit Kompetenzen.»

Packt an, setzt um
FDP-Ständerat Damian Müller (LU) fordert die anwesenden Wirtschaftsvertreter auf, nach seinem Leitspruch «Packt an, setzt um» zu handeln, um dem Emmental den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, der ihm gebührt. «Und dass Ihr das könnt, habt Ihr schon vielfach bewiesen.» Er bedauert die eingetretene Planungsunsicherheit nach dem ablehnenden Volksentscheid zur CO2-Abgabe, aber «die Förderabgaben sind bis 2024 verlängert worden». Bezüglich CO2-Abgaben fragt Müller, ob die Anwesenden realisiert haben, dass «in den letzten Wochen der Benzinpreis um 20 Rappen pro Liter gestiegen ist». Er spricht verschiedene Optionen betreffend des Verzichts auf Gas, Öl und Kohle an, die dringend nötige Reduktion von jährlich 47,2 Megatonnen CO2-Ausstoss in der Schweiz und die Notwendigkeit von nachhaltigen Geschäftsmodellen.
Bei der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum votieren alle für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, was die Wertschöpfung in sämtlichen Branchen steigern würde. Die CO2-Abgaben sollten nicht erhöht werden, der Gebäudebau müsse deutlich energiesparender erfolgen. Die Gespräche gehen beim Apéro in die nächste Runde.

Gerti Binz


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