Ein schauriger Kriminalfall aus der Vergangenheit

  01.03.2022 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft

Vor 320 Jahren sorgte der Prozess gegen den Wasenmeister Johannes Hotz und seinen siebzehnjährigen Sohn Heinrich in Burgdorf und Umgebung für grosses Aufsehen. Für ihre Verbrechen endeten die beiden am 19. Oktober 1702 am Galgen.

Mysteriöses Viehsterben
Um das Jahr 1700 verendeten in Burgdorf und der umliegenden Landschaft plötzlich auf mysteriöse Weise zuvor kerngesunde Nutz- und Haustiere. Die betroffenen Bauern standen vor einem Rätsel. Die gefürchtete Maul- und Klauenseuche grassierte in jener Zeit nicht. Hatte man es etwa mit einer neuartigen, äusserst gefährlichen Krankheit zu tun? Oder trieb in der Gegend ein Tiermörder sein Unwesen? Um diese Fragen zu beantworten, wurde eine amtliche Untersuchung eingeleitet. Das beunruhigende Ergebnis: Alle Indizien liessen auf Tod durch Vergiftung schliessen. Als dann in den Jahren 1701 und 1702 auf den Weiden, Feldern und Allmenden von Burgdorf, Lyssach, Mötschwil, Hasle und Umgebung immer mehr Kühe, Pferde und andere Tiere starben, verbreitete sich in der Bevölkerung Angst und Schrecken. Die Wogen der Empörung schlugen hohe Wellen. Johann Heinrich Steiger (1661 – 1724), Landvogt auf Schloss Burgdorf und regierender Schultheiss der Stadt und Grafschaft Burgdorf, liess Wachen aufstellen und Kontrollen durch Land­jäger durchführen. Zudem wurden die geschädigten Bauern einvernommen. Doch trotz all dieser Massnahmen kam man der Täterschaft vorerst nicht auf die Spur.

Durch Unvorsichtigkeit ins Visier der Obrigkeit geraten
Schliesslich geriet Johannes Hotz, Wasenmeister in Burgdorf, ins Visier der Obrigkeit. Unvorsichtigkeit brachte ihn zu Fall. Gemeinsam mit seinem zweitältesten Sohn Heiri suchte er die Besitzer erkrankter Tiere auf, um ihnen heilende Arzneimittel feilzubieten. Als auffällig erwies sich vor allem, dass Hotz teilweise mit seinen Tränken und Pulvern bei den Bauern vorsprach, noch bevor bei den Tieren erste Krankheitssymptome auftraten. Kurz nach seinem Erscheinen brach die vermeintliche Seuche dann aus. Es verwundert also kaum, dass im Schloss Burgdorf verschiedene Meldungen eingingen, welche den Verdacht auf Hotz und seinen siebzehnjährigen Sohn lenkten.

Dem Wasenmeister haftet die Anrüchigkeit seines Gewerbes an
Auf einflussreiche und wohlhabende Freunde, die ein gutes Wort für ihn eingelegt hätten, konnte Hotz nicht zählen. Aufgrund seines Gewerbes stand er in einem äussert schlechten Ruf. Als Wasenmeister oblag ihm die Tötung kranker Tiere und die Beseitigung von Tierkadavern. Er zerlegte diese und vergrub oder verbrannte, was sich nicht mehr verwerten liess. Die Entsorgung der Überreste erfolgte meist auf Wiesen, altdeutsch Wasen – aus diesem Wort leitet sich die Berufsbezeichnung ab. Allein schon wegen der Geruchsbelästigung und der Seuchengefahr wurden die sogenannten Abdeckereien stets etwas abseits angelegt und dienten oftmals auch als Schlupfwinkel für Verbrecher. Die Ausübung des Wasenmeisteramts zählte genauso wie die Tätigkeit als Scharfrichter zu den verachteten und als ehrlos angesehenen Berufen. Es erstaunt daher kaum, dass in einzelnen Regionen Scharfrichter- und Wasenmeisterdynastien entstanden, die immer wieder untereinander heirateten. Das weitverbreitete Scharfrichter- und Wasenmeistergeschlecht Hotz war unter anderem in Bern, Herzogenbuchsee, Büren an der Aare und Aarau ansässig.
Johannes Hotz war als junger Ehemann nach Burgdorf gezogen. Er lebte mit seiner Familie ausserhalb der Stadtmauern in einem kleinen Häuschen in der Waldegg und erhielt von der Stadt für seine Tätigkeit ein bescheidenes Entgelt. Er pflegte kaum gesellschaftlichen Umgang und galt als Sonderling. Bereits einige Jahre vor Beginn des mysteriösen Tiersterbens war gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet worden. Damals verschwand auf dem Gut Binzberg auf unerklärliche Weise eine Kuh – lediglich eine Blutlache am Waldrand blieb von ihr übrig. Der Verdacht fiel auf Hotz, welcher in die Stadtschreiberei geführt und dort verhört wurde. Er beteuerte entschlossen seine Unschuld und mutmasste, ein Wolf habe das Tier gerissen – obwohl in der Umgebung von Burgdorf seit Langem keine Wölfe mehr gesichtet wurden. Da die Befragung von Hotz aber zu keinem Ergebnis führte, konnte er wieder in sein kleines Heim zurückkehren. Das grundsätzliche Misstrauen gegen ihn blieb jedoch bestehen.

Der Gebrauch der Folter wird
empfohlen

Angesichts der weitaus gravierenderen Vorfälle reagierte die Obrigkeit nun deutlich schärfer. Landvogt Steiger liess Vater und Sohn Hotz am Morgen des 12. Oktobers 1702 verhaften und auf das Schloss bringen. Zuvor setzte Steiger die Gnädigen Herren in Bern detailliert über den Fall in Kenntnis und erbat sich Weisungen für das weitere Vorgehen. Der Kleine Rat wies ihn an, die beiden in Gewahrsam zu nehmen, zu verhören und auch nicht vor Gebrauch von Folterinstrumenten zurückzuschrecken, um die Wahrheit herauszufinden beziehungsweise die Angeschuldigten zu einem Geständnis zu bewegen. Die übrigen Mitglieder der Familie Hotz sollten ebenfalls vorgeladen werden.

Das Geständnis
Bei der ersten Befragung stritten Johannes Hotz und sein Sohn die vorgebrachten Anklagen vehement ab. Beim zweiten Verhör am Nachmittag geriet der Wasenmeister, konfrontiert mit Zeugen und Geschädigten, allerdings ins Wanken. Zögerlich gestand er einzelne Vorwürfe, verteidigte sich aber in anderen Punkten und verstrickte sich dabei in Widersprüche. Sein Sohn beteuerte weiterhin seine Unschuld.
Landvogt Steiger liess Johannes und Heinrich Hotz über Nacht in voneinander getrennte Zellen einsperren. Den beiden war nur allzu bewusst, dass ihnen am nächsten Tag die Folter, die sogenannte peinliche Befragung drohte. Zu den gebräuchlichen Methoden gehörte das Anlegen von Daumenschrauben sowie das Aufziehen an den Händen, wobei die Füsse zusätzlich mit Gewichten beschwert wurden. Die Ausweglosigkeit der Situation und die Angst vor unerträglichen Schmerzen liessen am nächsten Morgen zunächst den Vater, später auch den unter Druck geratenen Sohn einknicken: Beide brachen zusammen und legten ein umfassendes Geständnis der begangenen Verbrechen ab. Gemäss ihren Aussagen streuten sie an den Tatorten ein giftiges Pulver aus in der Absicht, ihr Einkommen durch den Verkauf eines geeigneten Heilmittels für das erkrankte Vieh aufzubessern. Dummerweise stellte sich aber heraus, dass die Arznei keine Wirkung zeigte – auch behandelte Tiere verendeten. Pikanterweise gehörte auch Landvogt Steiger zu den Geschädigten: Er verlor durch die perfiden Giftanschläge zwei Jagdhunde, eine Kuh und mehrere Schweine. Der Burgdorfer Arzt und Apotheker Dr. David Grimm mutmasste in einem Gutachten, dass die Substanz Strychnos nux vomica, die Brechnuss oder das Krähenauge, für das Tiersterben verantwortlich sei. Diese entfalte – richtig dosiert und angewendet – bei Menschen eine heilende Wirkung. Grimm erinnerte sich, der Familie Hotz das Mittel öfters verkauft zu haben.
Weiter gab Hotz Senior während des Verhörs zu, die dem Binzberg-Pächter vor einigen Jahren abhanden gekommene Kuh mit einer Axt getötet und das Fleisch teils verkauft, teils mit seiner Familie verzehrt zu haben. Der Wolf war an ihrem Verschwinden also gänzlich unschuldig.

Das Urteil der Gnädigen Herren
Am 16. Oktober 1702 gaben die Gnädigen Herren in Bern, von Steiger über das Ergebnis des Verhörs informiert, ihr Urteil bekannt. Da sich die meisten Verbrechen ausserhalb der Stadt Burgdorf zugetragen hatten, fiel der Urteilsspruch in ihre Zuständigkeit. Gnade zeigten die Rechtsprechenden keine. Das Verdikt lautete Tod durch Erhängen. Die Todesstrafe diente der Vergeltung und Abschreckung. Sie sollte den Untertanen die Konsequenzen unlauterer Handlungen drastisch vor Augen führen, um weiteren Verbrechen vorzubeugen. In der schriftlichen Mitteilung des Urteilsspruchs steht geschrieben: Zuerst soll Heiri Hotz, «in Gegenwart und Zuschauwen seines schlimmen Vatters, mit dem Strangen vom Leben zum Todt hingerichtet, der Vatter dann nachwärts gleichmässig am Hochgericht erwürget und beide daselbst bis zu ihrer Verwesung hangen gelassen werden». Da der Scharfrichter in Bern ein Schwager des Burgdorfer Wasenmeisters war, musste für die geplante Exekution in aller Eile ein Stellvertreter organisiert werden, der nach Burgdorf gesandt wurde, um das blutige Urteil zu vollziehen.

Das letzte Stündlein von Vater und Sohn Hotz
Um abzuschrecken, wurden Hinrichtungen generell in der Öffentlichkeit vollzogen. Zum Exekutionsritual gehörte der Weg der Verurteilten zur Richtstätte, den sie entweder zu Fuss oder in einem Karren zurücklegten – in Begleitung von Magistraten, Uniformierten und Geistlichen, welche für ihre unsterbliche Seele beteten. Dem Tross, dem auch Landvogt Steiger angehörte, folgte jeweils eine Vielzahl von Schaulustigen aus nah und fern, die sich das blutige Spektakel um keinen Preis entgehen lassen wollten. Beim Klang des «Armesünder-Glöckleins» traten Vater und Sohn Hotz am Donnerstag, den 19. Oktober 1702, ihren letzten Gang an, der sie vom Schloss über den Armsünderweg zum Schönebüeli führte, wo bereits der Galgen auf sie wartete. Die leichte Anhöhe ist auch als Galgenhubel bekannt. Die Richtstätte musste zum einen gut erreichbar sein, wegen des Gestanks aber dennoch etwas abseits liegen. Nach einer Ansprache Steigers und der Verlesung des Urteils wurde die Exekution vollzogen. Zunächst hauchte Heinrich Hotz sein Leben unter den Augen des Vaters und des Publikums aus – danach begann Johannes’ Todeskampf. Die Leichen wurden den Raben zum Frass überlassen.

Das Schicksal der Angehörigen
In der Annahme, auch die übrigen Familienmitglieder der Hingerichteten seien ein «schlimmes Gezücht», sprachen die Gnädigen Herren in Bern einen Bannstrahl aus und verwiesen Hotz’ Frau Anna Maria sowie ihre Kinder des Landes. Sollten sie jemals wieder den Boden der Republik Bern betreten, hätten sie mit schweren Strafen zu rechnen. In einem Brief verteidigte Landvogt Steiger die zwei Söhne und vier Mädchen des Wasenmeisters, die bis auf den ältesten Knaben alle noch minderjährig waren und vor­übergehend im Spital der Stadt verpflegt wurden. Der neu anzustellende Wasenmeister könne sich möglicherweise ihrer annehmen. Anna Maria Hotz allerdings habe Burgdorf bereits verlassen – «sie sei ein sehr schlimmes Weib und eine liederliche Haushalterin». Möglicherweise, mutmasste Steiger, hätte sie die Hingerichteten zu ihren Freveltaten verleitet.
Die Kinder blieben tatsächlich in Burgdorf. Das Schicksal der Anna Maria Hotz bleibt im Dunkeln. Gerüchte, sie sei im Kanton Bern gesehen worden, bestätigten sich nicht. Die Fahndung nach ihr blieb ergebnislos.


Markus Hofer

Quellen: Kohler, K. A., Vater und Sohn am Galgen, in: Burgdorfer Jahrbuch 1936, S. 59-84; Burgerarchiv Burgdorf, Turmbuch des Schlosses Burgdorf (1646-1756), Signatur BAB J 30.


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