Lachen und Staunen noch nicht verlernt

| Di, 15. Mär. 2022

BURGDORF: Am vergangenen Wochende fand die 15. Ausgabe des Burgdorfer Kleinkunstfestivals «Die Krönung» statt. Die Freude auf und vor der Bühne ist greifbar, Kunstschaffende und Publikum sind begeistert. red

Zwei Abende lang wählt das Publikum demokratisch und ausschliesslich nach persönlichem Gutdünken einen König samt Hofstatt. 16 nationale und internationale Neuentdeckungen stellen sich am Kleinkunstfestival der Wahl  und geniessen die Krönungsfeierlichkeiten in vollen Zügen.
Nach der Begrüssung durch Co-Organisatorin Nicole D. Käser, die in den Nationalfarben der Ukraine (hellblauer Hosenanzug mit gelbem Einstecktuch und gelbem Gurt) gekleidet ist, zündet Moderatorin Anet Corti am Bühnenrand eine ebenfalls in blau-gelb gehaltene Kerze mit Friedenstaube an und weist kurz auf die Vorkommnisse im nahen und vom Krieg erschütterten Land hin.

Feuerwerk an Überraschungen
Acht Highlights stehen am Freitag auf dem Programm. Als neuntes kann man problemlos die Moderation von Anet Corti bezeichnen, die mit umwerfenden Einlagen und Überraschungen wie einem funkelnden Lichterumhang samt selbst fahrendem Untersatz über die Bühne wirbelt. Oder ihr selbst komponiertes Lied vorträgt, das aus einem grausam schrillen an- und abschwellenden Ton besteht. Das Publikum ist hingerissen.
Den Auftakt machen Enrico Lenzin & Andi Pupato (CH, Ritter), die ein breit gefächertes Konzertprogramm mit Alphorn, Kuhglocken, Milchkannen, Schlagzeug, Gummi-Säuli/-Entli und vielem mehr präsentieren. Es gelingt ihnen, sogar die Stimmen des Urwaldes auf der grün beleuchteten Bühne ertönen zu lassen.
Als König der Kleinstadt bringt Valerio Moser (CH, Hofnarr) in kurzhosigem Pyjama und Brokatmantel dem Publikum existenzielle Bedürfnisse, Sorgen und Freuden seiner Mitbewohner näher und erklärt Ängste des wegen Mitgliederschwundes zum Aussterben verurteilten Fritze-Vereins.

Keine «Dubeli» wählen
Benedikt Meyer (CH, Scharfrichter) will seine Ausführungen als Historiker als die eines Mannes verstanden wissen, «der bei den wichtigen Vorkommnissen nicht dabei war und trotzdem alles genau weiss». Das gilt für die Anfänge der Eidgenossenschaft mit ihren Legenden genauso wie für die kürzliche Abstimmung zu Richterwahlen, wobei die Verantwortlichen unabhängig von der Parteizugehörigkeit einfach keine «Dubeli» wählen sollten.
Vanessa Maurischat (D, Prinzessin) trägt Baumwollunterwäsche und ist Passivmitglied im Fitnessstudio. Sie widmet sich Amor und Psyche, wobei Amor viel mit Amok zu tun hat und zahlreiche Leidensgenossen ein Lied davon singen können. Sie empfiehlt, sich vermehrt mit weissen Taschentüchern zuzuwinken.

Dank Salz zur Krone
Den zweiten Block startet Roger Stein (CH, König) mit «Alles vor dem Aber ... ist egal!», indem er sich multiinstrumental und wortgewaltig, voll Sehnsucht und Humor unter Verzicht auf Füllmaterial und Nebensächlichkeiten auf das wahre Leben stürzt. In seiner Ode auf das Salz bringt er die nötige Würze in sein Programm und warnt eindrücklich vor der Bequemlichkeit, dem grössten Feind des Glücks. Letzteres ist ihm hold, Anet Corti setzt ihm die Königskrone aufs Haupt.
Eine verbale Delikatessenorgie servieren die drei Multitalente von SiJamais (CH, Gräfinnen), wenn sie mit Handschellen an den Handgelenken ihr tristes Dasein im Gefängnis und ihre Vorstellungen von kulinarischen Ausschweifungen besingen. Virtuos sind ihre Fertigkeiten an Klavier, Bass, Saxofon und Klarinette.
Andreas Krenzke (D, Herzog) seziert alles und jeden mit messerscharfem Blick und hintergründigem Humor und empfiehlt in Krisenzeiten als Nebenverdienst die Vertretung in einer Schule. Manches im Leben kostet nichts, aber man bezahlt mit seinen Nerven.
«Trennkost ist kein Abschiedsessen», klärt Daniel Helfrich (D, Barde) auf und empfiehlt: «Trenn dich, denn es ist trendig.» Es kann schmerzhaft, befreiend oder urkomisch sein wie beispielsweise bei der wöchentlichen Entschlackung als «Erste-Welt-Problem». Auch Erkenntnisse am Klassentreffen, wenn aus dem angebeteten Schwarm eine verfettete Reihenhaus-Maus geworden ist, sind erleuchtend.

Viele verkaufte Tickets
Auch am Samstag sind die Reihen am Kleinkunstfestival sehr gut besetzt, wie die Organisatoren Nicole D. Käser und Tobias Kälin erfreut feststellen. Leider liegt die eine Hälfte des Moderatoren-Duos coronabedingt zu Hause auf der Couch, sodass Reto Zeller allein durchs Programm führt. Aber das gekonnt, mit viel Charme und guten Darbietungen.
Trummer (CH, Barde) analysiert seine Gegenwart, indem er die Vergangenheit seiner Eltern minutiös auseinandernimmt und als Beispiel für viele und vieles darstellt. Sein Familienalbum präsentiert er als wortgewandter Mundart-Singer, dessen Leben als 33-Jähriger mit 30 noch nicht vorbei war.

Lügen schlagen auf die Augen
Von Pro Helvetia erhält das Trio Gold Grueb (CH, Burgfräulein) den Auftrag, bekanntes Schweizer Liedgut neu zu beackern. Verzweifelt bemühen sich drei fähige und einfallsreiche Frauen, Ramseiers beim Grasen zu unterstützen, warnen vor dem Küssen angriffslustiger Kühe und schluchzen zur tragischen Geschichte vom Aargauer Meitli und Büebli.
Joël von Mutzenbecher (CH, Hofnarr) hangelt sich durch die Besonderheiten und Kuriositäten verschiedener Berufe, stichelt gegen Migros und Versicherungen und erinnert an seinen Vater, der seine Lügen immer mit dem Spruch «beim Augenlicht meines Sohnes» versieht. Der Sohn ist inzwischen fast blind.
Sebastian Krämer (D, Scharfrichter) singt Liebeslieder für die Tante seiner Angebeteten und versichert: «Ich mag, wie du bist und isst.» Die Mettwurststulle wird gebührend gefeiert, der Weltschmerz auch. Schliesslich weist Krämer das Publikum zur Ordnung: «Ihr lacht ja wirklich über alles.»
Auch am Samstag trifft man sich in der grossen Pause im Stadthauskeller zu einem Teller Risotto und Getränken, bevor Friedrich & Wiesenhütter (D, Herzöge) als musikalische Alltagspoeten aus Berlin ihre Schelmenmelancholie ausleben.
Elli Bauer (A, Gräfin) fordert auf, seinen Traum zu leben und nicht lebenslang zu träumen, wobei das Wandern das Einzige ist, was einen rauf und runter bringt. Sie empfiehlt gegen Einsamkeit Horrorfilme, «denn dann hast du immer das Gefühl, einer steht hinter dir.»

Saalfüllende Präsenz
Cenk (CH, König) kommt mit leeren Händen auf die Bühne, spielt kein Instrument und singt auch nicht. Dennoch ist seine Präsenz saalfüllend, das Publikum ob seiner Sprüche hingerissen. Als der Wortkünstler mit persischen Wurzeln, aufgewachsen in Winterthur, eine orientalische Hochzeit mit Hunderten Beteiligten in einer lokalen Turnhalle beschreibt, biegen sich alle vor Lachen. Seine 20 Minuten sind viel zu kurz für seine Sprüche.
Christine Schütze (D, Prinzessin) schätzt männliche Kompetenz: «Frage: Wie hat dir ihr Programm gefallen? Er: Mir wäre sie zu dünn.» Auf der Suche nach dem normalen Mann besingt sie wortgewaltig ihren Mister Perfect, um den sie alle beneiden. Schliesslich jagt sie ihn aus dem Haus und sucht  einen Mann mit Fehlern. Sie singt ein sehr engagiertes, zorniges Lied an Putins Adresse und wünscht sich zehn Minuten Klitschko und Putin im selben Raum.
An beiden Abenden dankt das Publikum sämtlichen Kunstschaffenden, den Organisatoren und Moderatoren mit anhaltendem Applaus. Die zwei Könige geben ihre verdienten Sondervorstellungen.

Gerti Binz

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