Auf den Spuren von Wilhelm Tell
12.04.2022 Aktuell, Sport, Foto, GesellschaftDie Armbrust verfügt über eine lange Geschichte. Vor über 2000 Jahren soll sie entstanden sein und wurde in vielen Kriegen und Kämpfen als tödliche Fernwaffe genutzt. Doch schon im Mittelalter soll die Armbrust nicht mehr ausschliesslich für Leid gesorgt haben, sondern für sportliche Wettkämpfe genutzt worden sein. Und dann ist da noch der allen Schweizerinnen und Schweizern bekannte Mythos von Wilhelm Tell, welcher einen Apfel, platziert auf dem Kopf seines Sohnes Walter, mit dem Pfeil seiner Armbrust getroffen haben soll. Solche Präzision spielt im Hobby von Michael Gerber eine wichtige Rolle. Und eines vorneweg: Der Utzenstorfer würde einen Apfel mit der Armbrust ebenfalls locker treffen, wie er schmunzelnd versichert. Doch wie kam er zu diesem Hobby mit der Fernwaffe mit langer Tradition?
Familiär und kollegial
«Die Antwort darauf ist simpel. Ich kam durch meine Familie zum Armbrustschiessen. Mein Onkel war beispielsweise lange Zeit Präsident des hiesigen Armbrustschützenvereins. Daher war ich von klein auf involviert», erzählt Michael Gerber. Er sei schon früh im Schiesssport tätig gewesen. So erstaunt es nicht, dass er auch schon bei den Jungschützen aktiv war und daher bereits in jungen Jahren Ziele anvisierte und seine Treffsicherheit prüfte. Letztlich nahm aber die Freude am Armbrustschiessen die Überhand. Gerade familiäre, kollegiale Aspekte machen den Sport für ihn aus. «Den Sport lernen die meisten aufgrund ihrer Familie schätzen. Man bekommt das quasi vererbt. Das Kollegiale ist etwas sehr Schönes. Im Armbrustschiessen kennt letztlich jeder jeden. Man kommt zudem herum und so konnte ich Ecken der Schweiz sehen, welche ich sonst wohl nie kennengelernt hätte», meint der Utzenstorfer.
Talent, Technik und das Mentale
Michael Gerber verfügt über viel Talent, hat ein genaues Auge und ist treffsicher. Doch Talent allein sei nur einer von drei wichtigen Teilen, welche für Erfolg oder Nichterfolg letztlich entscheidend sind: «Meiner Meinung nach sind es Talent, Technik und das Mentale, welche beim Armbrustschiessen entscheidend sind. Gerade Letztgenanntes ist wie in allen anderen Sportarten von grosser Bedeutung und wird hie und da immer noch unterschätzt», sagt er.
Gerber debütierte im Alter von 16 Jahren in der Nationalmannschaft, etwa zwei Jahre später wurde er in der Kategorie U23 Vizeweltmeister. «Diese Medaille hat mich umso ehrgeiziger gemacht», meint Michael Gerber, ehe er auch gleich sein grosses Ziel ankündigt: «Ich möchte gerne einmal Weltmeister werden und so erfahren, dass an einem bestimmten Tag niemand treffsicherer Armbrust geschossen hat als ich.»
Das Auge für den Sport hat er, die Technik ist erlernt – was gibt es denn da noch zu trainieren? Denn drei- bis viermal pro Woche widmet sich der gelernte Baumaschinenmechaniker und Landwirt seinem Hobby. Ausdauer und Kondition sind, auch wenn auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich ersichtlich, von grosser Bedeutung. Dass ein weiteres Hobby von Michael Gerber der Laufsport ist, kommt ihm folglich zugute. Ein ruhiger Puls und Ausdauer können bei Wettkämpfen, welche um die drei Stunden dauern können, ein wichtiger Vorteil sein.
Der Sport Armbrustschiessen
Geschossen wird mit der Armbrust auf unterschiedlichen Distanzen und in unterschiedlichen Stellungen. In der Regel sind es 30 Meter, bei Feldschiessen 70 Meter, entweder kniend, stehend oder beides abwechslungsweise, wie dies beim Matchschiessen der Fall ist. Die Scheibe ist dabei dieselbe wie etwa beim Luftgewehrschiessen, ein schwarzer Kreis mit der maximalen Punktzahl von zehn Punkten. Der Durchmesser dieser Maximalpunktzahl liegt bei sechs Millimetern.
Michael Gerber trifft diese so oft, dass er einen von 16 Nationalmannschaftskaderplätzen innehat. Vom Sport leben kann er jedoch nicht. Internationale Wettkämpfe werden vom Verband bezahlt. «Es ist letztlich ein Hobby», meint der leidenschaftliche Armbrustschütze. Doch gerade diese internationalen Wettkämpfe konnten in letzter Zeit nicht stattfinden. «Die Weltmeisterschaft in Lettland musste aufgrund der Coronapandemie verschoben werden. Der Wettkampf wurde aufgrund der Ukraine-Krise, leider auch in diesem Jahr abgesagt.» Für den Armbrustsport sei dies katastrophal. «Viele Schützinnen und Schützen haben mit dem Sport aufgrund dieser mehrmaligen Ausfälle aufgehört», bedauert Michael Gerber. Ein Trost für die ausgefallenen internationalen Wettkämpfe findet vom 7. bis 17. Juli 2022 statt: In Neuwilen im Kanton Thurgau wird das Eidgenössische Armbrustschützenfest ausgetragen. «Um Ostern beginnt jeweils die Saison, das ‹Eidgenössische› ist dabei definitiv das diesjährige Highlight», freut sich Michael Gerber.
Entschleunigt und ruhig
Auch der Armbrustschützenverein von Michael Gerber kämpft gegen Mitgliederschwund. Die Nachwuchssituation gestalte sich als schwierig. Momentan sind es noch acht aktive Personen beim Verein aus Utzenstorf. Dabei sei das Armbrustschiessen gerade bei einem stressigen Alltag ein perfekter Ausgleich, findet Michael Gerber. «Es ist ein ruhiger, konzentrierter und entschleunigter Sport. Ich schätze dabei auch das ‹Digital Detoxing›. Beim Ausüben des Sports bin ich frei von digitalen Einflüssen.» Auch der Abschuss des Pfeiles, anders als bei Pistolen oder Gewehren, ist ruhig. Deshalb ist Michael Gerber beim Ausüben seines Hobbys nicht an bestimmte Schiesszeiten gebunden, sondern kann zeitlich flexibel im Armbruststand üben.
Wer selbst gerne mal in die Fussstapfen von Wilhelm Tell treten möchte und einen Pfeil mit der Armbrust schiessen will, darf sich gerne bei Michael Gerber melden. «Wir empfangen Interessierte mit offenen Armen», versichert er. Ihm selbst ist eine erfolgreiche Saison zu wünschen, in der er nicht einen roten Apfel, sondern möglichst oft ins Schwarze der Scheibe trifft.
Joel Sollberger