Ersatzstrand oder Lebensraum?
08.06.2022 Aktuell, Foto, RegionInfolge der lang anhaltenden Trockenheit mit sommerlichen Temperaturen und wenig Niederschlag nehmen die Sand- und Kiesbänke in der Emme rasant zu.
Des einen Freud, des anderen Leid: Immer mehr Einzelpersonen, Pärchen und Familien zieht es an sonnigen Tagen an die Emme, wo zahlreiche «Strände» sowie Kiesbänke zum Verweilen einladen. Immer öfter kräuseln sich Rauchwolken über mit Schwemmholz aufgeschichteten Grillstellen. Cervelats, Koteletts und andere Leckereien werden grilliert. Gross und Klein geniessen die vorgezogenen Sommertage am Wasser und freuen sich über «Gratisferien» am (Emme-)Strand.
Des einen Freud, des andern Leid
Weniger komfortabel sieht es nach der extrem regenarmen Zeit und dem wärmsten Mai seit vielen Jahrzehnten für Wasserbewohner aus. Die Rinnsale für die Fische verlieren an Breite und Tiefe. Die Unterstände in den Schwellen und am Ufer sind die letzten Rückzugsmöglichkeiten, wenn Raubvögel über dem Wasser kreisen oder die Wassertemperatur zu hoch wird. Streckenweise sind in gewissen Flussabschnitten keine Fische mehr zu beobachten.
Zuständig für die Emme und deren Probleme sind die Schwellenkorporationen in den jeweiligen Gemeindeabschnitten des Flusses. Laut Raymond Weber, Gemeindepräsident von Hasle, kümmert sich in seiner Gemeinde die Schwellenkorporation um alle die Emme betreffenden Fragen. Ihm sind keine Vorkommnisse bezüglich Badegewohnheiten von Einheimischen oder Problemen wegen Niedrigwasser der Emme bekannt.
Eine Anfrage bei Urs Lüthi, Direktor Sicherheit und Einwohner, hat wie bei anderen Gemeinden ergeben, dass die Vorgenannten zuständig sind. «Allerdings machen wir als Serviceleistung für die Bevölkerung von Zeit zu Zeit mit Inseraten im Amtsanzeiger darauf aufmerksam, dass beim Verweilen an und beim Baden in der Emme gewisse Regeln einzuhalten sind. Das nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen. Bisweilen vergessen feiernde oder badende Personen, dass nach Gewittern oder Regenschauern flussaufwärts plötzlich Hochwasser auftreten kann.» Daneben gelten auch an der Emme die üblichen Vorschriften bezüglich Feuer machen, Lärmemissionen und Abfallentsorgung. «Jeder Platz wird so sauber verlassen, wie man ihn angetroffen hat.»
Derzeit leben rund 400 Flüchtlinge aus der Ukraine in Wohnungen am Uferweg Burgdorf. Sie sind auf Anregung der Gemeindeverwaltung durch die betreuende ORS Service AG in ukrainischer Sprache auf Gefahren und Verhaltensregeln rund um die Emme aufmerksam gemacht worden.
Paradiesische Zustände
Reto Bracher, bis 2021 Präsident des Fischereiverbandes an der Emme Burgdorf, kennt sich dank zehn Jahren als FVB-Präsident und vorherigen 15 Jahren als Grundkursleiter für angehende Fischer mit allen Fragen rund um die Emme und die Fischerei bestens aus. «Die heutigen Fischbestände in der Emme können keinesfalls mit solchen von vor 50 Jahren verglichen werden. Damals müssen paradiesische Zustände geherrscht haben. Ein Fischer erzählte von früher, als er mit seinen Kollegen gegen 3000 Forellen pro Jahr aus der Emme gezogen habe. Heute erzielen sämtliche Fischer an der Emme nicht mehr dieses Jahresergebnis.» Dazu kommt, dass die Bevölkerung früher viel weniger an die Emme zum Baden, Grillieren und Relaxen gepilgert ist.
«Heute geht es den Fischen in der Emme wirklich nicht mehr gut», fasst Bracher zusammen. «Dabei weist die Emme bei Burgdorf und in der näheren Umgebung mindestens die zehnfache Wassermenge auf wie bei Bätterkinden. Das und der dortige Fischbestand präsentieren sich wesentlich prekärer als rund um Burgdorf, und der ist schon nicht gut.»
Ein Fluss versinkt
Bracher erklärt eine Eigenart der Emme, die bei extrem wenig Niederschlag und Niedrigwasser im Bereich Aefligen unterirdisch circa zwei bis drei Meter unter die Flusssohle absinkt, ein völlig trockenes Flussbett zurücklässt und erst beim flussabwärts liegenden Stauwehr wieder an die Oberfläche zurückkehrt. «Momentan ist es noch nicht so weit, aber viel fehlt nicht mehr. 2019 und 2020 mussten wir bei Aefligen Notabfischungen vornehmen, um den dortigen Fischbestand zu retten», erinnert er sich. «Damals fing es bei der Kirchberger Autobahnbrücke an und ging bis Schalunen, wo die Emme beim dortigen Schalunen-Wehr wieder zurück ins Flussbett floss.»
Um die Wasserversorgung in den der Emme zufliessenden Bächen sicher zu stellen, sind die Schwellenkorporationen zuständig.
Vereinzelte Fluchtmöglichkeiten
Der Fisch wandert mit dem Wasser und sucht sich bei Niedrigwasser tiefere Löcher. Wenn das Wasser jedoch auch hier zurückgeht und kein Durchfluss mehr vorhanden ist, bleibt der Fisch gefangen und verendet kläglich. «Weder der Kormoran noch der Gänsesäger (Entenvogel) fressen verendete Fische. Hier bedienen sich eher Fuchs und Marder. Erstere schlagen zu, so lange die Fische noch zappeln», sagt Bracher.
Im oberen Bereich der Emme gibt es eine grössere Anzahl an Bächen, die Wasser zuführen. In Zeiten von Niedrigwasser bedeutet das eine Fluchtmöglichkeit für Fische, die sich dorthin zurückziehen. Leider versperren immer noch nicht überspringbare Wehre (ab 50 bis 60 Zentimeter Höhe) diese Möglichkeit für Forellen.
«Seitdem die Emme vermehrt renaturiert wird, beginnt sie zu mäandern und bildet Bögen und Buchten. Das passiert rund alle 150 bis 300 Meter. Wenn sie die Seite wechselt und ans gegenüberliegende Ufer prallt, entstehen dort bis zu drei Meter tiefe Ausschwemmungen», erläutert Bracher. «Ideal für Fische, die sich dorthin zurückziehen können. Bei den Wehren finden sie durchs Aufwirbeln sauerstoffreiches und kühleres Wasser, weshalb die dortigen Tosbecken mit extra grossen Zementblöcken und
Steinen so beliebt bei den Fischen sind.»
Stresstod der Fische
Laut Hans Peter Oberhänsli, dipl. Bauingenieur aus Lyssach, ist der Kanton Bern Besitzer der Emme. Je nach Gemeindegebiet, dass sie durchfliesst, gehört das angrenzende Land Besitzern wie der Burgergemeinde, Landwirten, Firmen, Privaten und so weiter. Bisweilen werden ein bis drei Meter Ufergelände noch zum Flussbereich gerechnet. Seit Jahren verfolgt er die Niedrigwasser der Emme und die sich ergebenden Probleme für die Fische. Er bestätigt: «Kaltes Grundwasser und Sauerstoff bei den Schwellen stellen die Lebensversicherung für die Fische dar.»
Völlig anders als mit ausreichend kaltem Wasser und Sauerstoff bei den Wehren präsentiert sich die Emme beim Schwingersteg neben der Kunsteisbahn Burgdorf, wo die Emme auf voller Breite das Flussbett ausfüllt und an warmen Tagen mit geringer Wasserhöhe und zu hohen Temperaturen dahinfliesst. Wenn die Wassertemperatur über 18 Grad steigt und zusätzlich Badegäste und Strandbesucher den Lebensraum einengen, bedeutet das enormen Stress für die Fische: Sie sterben den Stresstod.
Schlechter als besser
Die Zukunftsprognosen stimmen nicht zuversichtlich: «Die Emme verfügt über keine Reservoirs für kontinuierliche Wasserzufuhr. Der letztjährige Schnee ist bereits geschmolzen und die Stauseen sind nicht gefüllt. Zudem fiel bedeutend weniger Schnee als in vergangenen Jahren. Den meisten ist klar, dass die Klimaerwärmung die Situation extremer, schwerer und unberechenbarer machen wird.» Dazu kommt, dass während der Coronapandemie die Besucherzahlen an der Emme markant in die Höhe geschnellt sind und so bleiben werden: nah, gut erreichbar, baden, grillieren, chillen; alles gratis und zum Nulltarif.
Oberhänsli mahnt dringend, den Abfall von solchen Anlässen unbedingt wieder mitzunehmen. «Alles andere ist unverantwortlich. Am letzten Mai-Wochenende haben die Mitarbeiter vom gemeinsamen Werkhof Lyssach/Alchenflüh zehn Maxi-Abfallsäcke mit Müll vom Emmestrand eingesammelt. So etwas sollte es nicht geben!»
Gerti Binz