Die schwimmende Legende zu Besuch an den Schulen Fraubrunnen
09.11.2022 Aktuell, Foto, Gesellschaft, Bildung / SchuleLeider war es Axel Mitbauer nie vergönnt, einen Weltrekord zu brechen oder an den Olympischen Spielen teilzunehmen – aber mit seiner unglaublichen Flucht durch die kalten Fluten der Ostsee ist er 1969 mutig in seine Freiheit aufgebrochen.
In der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen, wurde Axel Mitbauer mit acht Jahren als Schwimmtalent entdeckt und entsprechend mit 13 Schwimmeinheiten pro Woche und strammen Trainingsmethoden gefördert. Bereits im Alter von zwölf Jahren zählte er zum nationalen Schwimmteam und konnte, dank seiner physischen Voraussetzungen und damit verbunden den hervorragenden Leistungen, bei den Erwachsenen starten. So weit verlief das Märchen des talentierten Schwimmers quasi wie am Schnürchen. Oder in den Worten von Axel Mitbauer: «Ich hatte eine gute Kindheit und Jugend und genoss viele Privilegien.»
Missfallen am System
Das politische System der DDR missfiel dem jungen Athleten jedoch immer stärker – ganz besonders die regelmässigen «Rotlichtbestrahlungen» – Austauschtreffen und Sitzungen, in denen die Vorzüge des Sozialismus überhöht und unkritisch proklamiert wurden.
Mit 18 Jahren fragte er bei einem Wettkampf in Rom einen westlichen Schwimmer und dessen Trainer um Unterstützung, um aus der DDR flüchten zu können. Die Fluchtpläne, konkret ein an Axel Mitbauer adressierter Brief, wurden vereitelt und er wurde vom Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) festgenommen. Es folgten sieben lange Wochen mit Einzelhaft und regelmässiger Folter. Eine Beteiligung respektive ein Schuldgeständnis konnten die Peiniger jedoch nie aus Axel Mitbauer herauspressen. Als Strafe wurde er jedoch mit einem lebenslangen Start- und Sportstättenverbot in allen Sportarten belegt. Ebenso wurde ihm mitgeteilt, dass man ihn bei allen beruflichen Ausbildungswünschen maximal behindern würde. Unter dieser Voraussetzung war für den jungen Sportler klar: «Ich muss hier weg.»
Anfang August 1969, Mitbauer war 19-jährig, bestieg er den Zug in Leipzig mit dem Ziel Rostock / Boltenhagen, die Spitzel der Stasi waren stets hinter ihm her. Um diese abzuschütteln, sprang Axel Mitbauer bei Schwerin gar vom fahrenden Zug und legte die verbleibende Strecke nach Boltenhagen zu Fuss und per Anhalter fort.
Die Flucht via Ostsee
In Boltenhagen angekommen campte er unangemeldet auf einem Zeltplatz in der Boltenhagener Bucht und nahm sich Zeit, die Grenzbefestigung sowie die routinemässigen Wachablösungen auszukundschaften.
Dabei bemerkte er, dass alle Dreiviertelstunde die Scheinwerfer auf den Wachtürmen für eine Minute erloschen, um die heissen Glühbirnen abkühlen zu lassen und die damals erforderlichen Kohlebrennstäbe ersetzen zu können. Diese eine Minute sollte sein Ticket in die Freiheit werden.
In der dunklen Nacht vom 17. August 1969 schmierte sich Axel Mitbauer, einzig mit einer Badehose bekleidet, mit 30 Tuben Vaseline ein. Diese sollte als Kälteschutz für die 18 Grad kalte Ostsee dienen. Als die Scheinwerfer ausgingen, rannte er in die rauen Fluten der Ostsee. Gezielt schwamm er über die ersten beiden untiefen Sandbänke hinweg und schon leuchteten die Schweinwerfer wieder auf. Um nicht doch noch entdeckt zu werden, tauchte er anfänglich so viel wie möglich unter Wasser. Mithilfe der Sterne orientierte er sich am klaren Nachthimmel und schwamm circa 25 Kilometer in Richtung des westlichen Ufers. Immer wieder änderte er dabei seinen Schwimmstil, um nicht zu ermüden. Er wusste nicht, wie lange er unterwegs gewesen und wie stark er unterkühlt war, als er im Dunkeln die Leuchtboje 2A erblickte.
Er stieg die Leiter der Leuchtboje empor und versuchte sich an der Glühbirne etwas zu wärmen. Dies mit dem Plan, sich am kommenden Morgen von der Sonne noch weiter aufwärmen zu lassen, bevor er die verbleibende Strecke zurücklegen wollte.
Um 7.14 Uhr morgens erblickte ihn ein Passagier der Fähre Nordland, woraufhin das Schiff wendete und Axel Mitbauer an Bord holte. Mit nichts mehr als seiner Badehose, der darin eingenähten Münze und einem Ring startete Axel Mitbauer anschliessend sein neues Leben im Westen.
Leben in der Schweiz
Axel Mitbauer lebt heute in der Schweiz, wo er viele Jahre als Schwimmtrainer gearbeitet hat. Gelegentlich besucht er auch Schulklassen: «Ich bin ein Zeitzeuge und will meine Erlebnisse erzählen, diese politische Bildung ist wichtig für junge Menschen.»
Aktuell wird über Axel Mitbauer ein Dokumentarfilm gedreht «Der Schwimmer», welcher voraussichtlich im Frühjahr 2023 an die Filmfestspiele in Cannes eingereicht wird.
zvg