Urologische Notfälle – nicht nur Männersache!
13.02.2024 Aktuell, Foto, GesellschaftAkute Blutvergiftung durch eine Infektion im Harntrakt, akuter Hodenschmerz, Blut im Urin, Kolikschmerzen wegen abgehender Nierensteine bis hin zum Harnverhalt oder Traumata – urologische Notfälle treten akut auf und müssen dementsprechend rasch behandelt werden, da sonst eventuell gravierende und bleibende Schäden am Harnsystem entstehen können. Am Donnerstag, 22. Februar 2024, beschreibt Dr. med. Hans Schudel in seinem Vortrag «Urologische Notfälle – nicht nur Männersache!» die bedeutendsten urologischen Notfälle. Der Chefarzt der Klinik für Urologie des Spitals Emmental erläutert, welche Massnahmen vonseiten der Patientinnen und Patienten ergriffen werden sollten und welche Schritte der Behandlung in professionelle Hände gehören.
«D’REGION»: Beim Stichwort Urologie denken viele zuerst an einen Arzt für Männer. Doch Ihre Fachrichtung ist auch für Frauen da. Mit welchen Beschwerden wenden sich Frauen an einen Urologen?
Hans Schudel: Die häufige Annahme, der Urologe sei der «Männerarzt», ist falsch. Die Urologie ist die Disziplin, die sich neben den männlichen Genitalorganen mit dem Harntrakt befasst und damit durchaus auch Frauen betrifft. Zum einen gibt es Leiden, die gleichermassen Männer und Frauen betreffen, wie zum Beispiel Nierensteine oder bestimmte Krebserkrankungen wie Nieren- und Blasentumore. Da behandelt der Urologe zusammen mit anderen Spezialisten sowohl Männer als auch Frauen. Harnwegsinfektionen treten zwar insgesamt öfter bei Frauen auf, verlaufen aber eher gerade bei Männern kompliziert und sind oft dringender behandlungsbedürftigt. Weiterhin können sich bei Frauen wie Männern Urinabflussstörungen im Harntrakt entwickeln, die sekundär zu Eingriffen oder zu Bestrahlungen auftreten und einer Intervention durch den Urologen bedürfen. Auch die ganze Traumatologie kann Männer und Frauen betreffen, da geht es meistens um Läsionen der Nieren infolge von Unfällen oder um Läsionen des äusseren Genitales, die eine Beurteilung durch den Urologen erfordern.
Typische Frauenbeschwerden, die zum Aufsuchen des Urologen führen können, sind wiederholte Harnwegsinfektionen, die nicht auf die Therapie ansprechen, sowie Inkontinenzbeschwerden. Letztere ergeben sich entweder durch eine Reizblase oder eine Beckenbodenschwäche, sei es als Alterserscheinung, als Folge von Schwangerschaften oder Krankheiten. Da gibt es natürlich Überschneidungen mit der Arbeit der Fachkolleginnen und -kollegen der Gynäkologie. Unter anderem auch aus diesen Gründen sind mir die Zusammenarbeit mit anderen Kolleginnen, Kollegen und die Interdisziplinarität als Grundprinzip in meinem Handeln als Arzt wichtig.
«D’REGION»: Männer gehen nicht besonders gerne zum Urologen, selbst bei Problemen im Genitalbereich. Weshalb scheuen sie diesen Besuch?
Hans Schudel: Ich denke, die Hemmung, den Urologen aufzusuchen, ist vor allem altersabhängig. Ältere Männer haben häufig urologische Probleme, die meistens mit der Prostatavergrösserung einhergehen. Dieses «gemeinsame Schicksal» schweisst sie auf eine Art zusammen, sodass sie häufig miteinander auch darüber reden und die Betreuung durch den Urologen als «Normalfall» betrachtet wird. Bei jüngeren Männern sind die Themen meistens heikler und der Weg zum Arzt hängt vor allem vom Leidensdruck ab. Leider erfolgt der Arztbesuch dann in manchen Fällen zu spät: Zum Beispiel bei Hodenschmerzen muss eine Hodentorsion so schnell wie möglich ausgeschlossen werden, weil die Gefahr eines Absterbens des Hoden besteht. Auch bei einseitiger schmerzloser Vergrösserung eines Hoden sollte der Urologe möglichst schnell aufgesucht werden, weil dahinter eine bösartige Erkrankung stecken könnte.
«D’REGION»: Und weshalb ist es für Männer trotzdem wichtig, dass sie einen Urologen aufsuchen?
Hans Schudel: Es ist wichtig, dass der Urologe aufgesucht wird, weil potenziell gefährliche und komplikationsträchtige Verläufe dadurch vermieden werden können, wie zum Beispiel im Fall der Hodentorsion. Durch Früherkennung können heutzutage auch viele Krebserkrankungen unter Umständen besser behandelt werden. Selbstverständlich kann und soll eine geeignete Therapie unabhängig vom zugrunde liegenden Leiden auch zur Symptomlinderung führen, allein deswegen kann es sich lohnen, zum Arzt zu gehen.
«D’REGION»: Das Thema Ihres Vortrages ist «urologische Notfälle». Welches sind die häufigsten Notfälle und wie behandeln Sie diese?
Hans Schudel: Zu den häufigen und gleichzeitig bedrohlichen urologischen Notfällen gehören sicher die obstruierenden Pyelonephritiden. Dieses akute Krankheitsbild entwickelt sich, wenn eine Urinabflussstörung vorliegt und es zu einer Harnstauungsniere mit darauffolgender Infektion kommt. Bei solch einer Infektion kann es häufig und sehr rasch zu einer Blutvergiftung kommen, sodass die Betroffenen schwer krank sind und manchmal auch intensivmedizinische Massnahmen brauchen. Da gilt es, die Abflussstörung so früh wie möglich zu beheben. Genau das ist die Aufgabe des Urologen. Der Harnabfluss kann mit der Einführung eines dünnen Katheters durch die Harnblase in das Harnableitungssystem wieder gewährleistet werden. Wenn die endoskopische Behandlung nicht gelingt, kann die gestaute Niere auch von aussen punktiert und entlastet werden. Zur Behandlung solcher Krankheitsbilder bedarf es natürlich auch einer antibiotischen Therapie, diese ist aber alleine nicht ausreichend. Ein anderer häufiger Notfall ist die bereits erwähnte Hodentorsion. Der Patient präsentiert sich meistens mit Schmerzen im Skrotum oder mit Unterbauchschmerzen. Das Bild bezeichnet man als «akutes Skrotum». Bei einem akuten Skrotum kann eine operative Freilegung des Hoden notwendig sein, damit im Fall einer Torsion der Hoden wieder korrekt positioniert und fixiert werden kann und seine Blutversorgung sichergestellt werden kann. Blutungen des Harntraktes und die akute Harnverhaltung sind weitere Notfälle, die immer wieder vorkommen.
«D’REGION»: Bei welchen Symptomen sollten Betroffene in eine urologische Sprechstunde kommen?
Hans Schudel: Für all die Probleme/Beschwerden, die ich bis jetzt erwähnt habe, kann die urologische Sprechstunde besucht werden. Eine besondere und fachspezifische Beratung kann zum Beispiel auch im Fall von unerfülltem Kinderwunsch oder bei Beschwerden, die mit der Sexualfunktion einhergehen (Potenzstörungen usw.), nötig sein. Die Andrologie ist die Sparte der Urologie, die sich besonders damit befasst. Auf der anderen Seite kann nach abgeschlossener Familienplanung eine Beratung bezüglich definitiver Verhütungsmethoden wie die Vasektomie gewünscht sein.
Blut im Urin, besonders wenn sonst keine Zeichen einer akuten Harnwegsinfektion vorliegen, muss unbedingt zeitnahe weiter abgeklärt werden, weil dahinter ebenso eine bösartige Tumorerkrankung stecken könnte.
«D’REGION»: Ein urologischer «Klassiker» ist die Nierenkolik. Wie äussert sich diese, was steckt dahinter und wie sieht die Behandlung aus?
Hans Schudel: Eine Nierenkolik ist ein sehr schmerzhafter Zustand. Meistens ist die Ursache hierfür ein abgehender Nierenstein. Der Stein, oft nur wenige Millimeter gross, kann den Urinabfluss aus der Niere beeinträchtigen und zu einer Harnstauung in der Niere führen, was mit einem äusserst schmerzhaften Druckanstieg in der Niere einhergeht. Typischerweise treten dann wellenförmige, intensive Schmerzen in der betroffenen Flanke auf. Je nach Grösse des Harnsteines gelingt es dem Körper nicht, den Stein auszustossen, oder es kann eine Nierenentzündung hinzukommen. In diesem Fall braucht es meistens einen urologischen Eingriff. Die spezifische Behandlung von Nierensteinen ist eine Wissenschaft für sich und hängt von der Natur und Zusammensetzung der Steine ab. Da gibt es Überschneidungen mit der Nephrologie. Aus urologischer Sicht kann eine Zertrümmerung mit verschiedenen Mitteln (mechanisch, mit Laser, mit Stosswellen) durchgeführt werden. Das ist meistens aber nicht in der akuten Situation der Nierenkolik möglich, sondern erst, wenn sich die lokale Stauungs- und Entzündungssituation durch eine Urinableitung beruhigt hat.
«D’REGION»: Was können Patientinnen und Patienten bei einem urologischen Notfall selber tun und wann sollten sie eine Ärztin, einen Arzt aufsuchen?
Hans Schudel: Die Hemmschwelle zum Arztbesuch ist sehr subjektiv und sicher vom Leidensdruck abhängig. Bei Schmerzen kann grundsätzlich schon ein Versuch mit Schmerzmitteln gemacht werden. Wenn diese nicht ansprechen und die Schmerzen anhalten sollten, sollte niederschwellig ein Arzt konsultiert werden. Blasenentzündungen bei Frauen können oft durchaus auch mit Schmerzmitteln, Entzündungshemmern und erhöhter Trinkmenge behandelt werden. Sicher ist dann das Auftreten von Fieber ein zwingender Grund für eine notfallmässige Vorstellung beim Arzt. Auch bei Prostatabeschwerden gibt es Mittel, die unter Umständen zu einer Linderung der Beschwerden führen können. Grundsätzlich gilt aber: Wenn eine baldige Besserung ausbleibt, sollte eine Ärztin, ein Arzt aufgesucht werden. Wie erwähnt ist das Auftreten von Blut im Urin in jedem Fall abklärungsbedürftig, auch wenn dabei keine Schmerzen auftreten und der Urin bald wieder normal aussieht. Grundsätzlich ist beim Auftreten von Symptomen eine Kontaktaufnahme mit dem Arzt kaum je verkehrt. Vor einer direkten notfallmässigen Vorstellung ist es empfehlenswert, einen telefonischen Arztkontakt herzustellen. In einigen Fällen kann eine Beratung per Telefon sogar ausreichen oder es kann zumindest die Dringlichkeit der Vorstellung eingeschätzt werden.
zvg
Vorträge: Donnerstag, 22. Februar 2024, 19.00 Uhr, im Kurslokal (EG) im Spital Emmental, Oberburgstrasse 54, Burgdorf; Donnerstag, 29. Februar 2024, 19.00 Uhr, im Spital in Langnau.