Ein Schweizer Kulturgut
05.03.2024 Aktuell, Foto, Burgdorf, KulturSeit 100 Jahren bieten Jugendherbergen in der Schweiz erschwingliche Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten und sind seither nicht mehr wegzudenken. In den Jugendherbergen werden die Gemeinschaft und das Miteinander gefördert, Kontakte geknüpft, der Horizont erweitert, der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen gelernt und gelebt und nicht zuletzt die Lebensfreude geteilt. Diese Eckpfeiler haben sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre nicht verändert, die Gesellschaft und deren Bedürfnisse hingegen schon. Die Sonderausstellung «100 Jahre Schweizer Jugendherbergen – Gemeinsam schmatzen, schnarchen, spielen» im Museum Schloss Burgdorf nimmt die Besucherinnen und Besucher bis Ende Dezember 2024 mit auf eine Reise in die Geschichte der Schweizer Jugendherbergen, in der es nebst den erwähnten Eckpfeilern die persönlichen Geschichten sind, die die Schweizer Jugendherbergen zu einem Schweizer Kulturgut machen.
Der Mensch im Fokus, seit eh und je
Im Rahmen der Konzeption der Sonderausstellung sei mit Blick auf die Geschichte relativ schnell klar gewesen, worauf der Fokus gesetzt werden solle, erläutert Museumsleiter Daniel Furter an der Vernissage am vergangenen Donnerstag, 29. Februar 2024. «Es sind Menschen und Begegnungen, die die Schweizer Jugendherbergen seit jeher ausmachen», hält er fest. Auch Janine Bunte, CEO der Schweizer Jugendherbergen, verdeutlicht dies in ihrer Rede vor den geladenen Gästen: «Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wollte die Jugend aus dem Alltag ausbrechen und ihre Freizeit in der Natur verbringen.» Der Trend der sogenannten «Wandervogel»-Bewegung in Deutschland, in der Jugendliche und junge Erwachsene ihre Freizeit vermehrt draussen und in der Natur verbrachten, schwappte schnell einmal in die Schweiz über. «Gerade das Wandern wurde als sinnvolle Lebensgestaltung betrachtet», so Janine Bunte. Am 28. April 1924 legten verschiedene Jugendverbände mit dem Zusammenschluss zur «Zürcherischen Genossenschaft zur Errichtung von Jugendherbergen» nicht nur den Grundstein für das 100-Jahr-Jubiläum, es fiel auch der Startschuss für den Jugendtourismus in der Schweiz. Zehn Dekaden und verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen später umfasst der Verein Schweizer Jugendherbergen 42 eigene und sieben Franchisebetriebe, die jährlich rund 800 000 Logiernächte erzielen. Dabei sind es längst nicht mehr ausschliesslich Jugendliche, die in Schweizer Jugendherbergen übernachten. Gerade bei Familien erfreuen sich die Herbergen grosser Popularität.
Wandelnde Bedürfnisse
In 100 Jahren hat sich auch auf gesellschaftlicher Ebene einiges verändert. «Anfangs waren die Jugendherbergen primär mit einem Koch- und einem Schlafraum ausgestattet», erzählt Janine Bunte. Wer essen wollte, musste mitanpacken, die Gäste kochten ihre Mahlzeiten gemeinsam, aber in Eigenregie. Geschlafen wurde, ausgerüstet mit einer Wolldecke, oftmals im Heu – Knaben und Mädchen selbstversändlich in getrennten Räumlichkeiten. Mit der Zeit wichen Heu und Wolldecke normalen Betten und Duvets mit unverkennbaren, kultigen Bettbezügen. «Auch heute noch werden die Betten von den Gästen selbst bezogen. Das hat sich nicht verändert. Vieles andere hingegen schon», lacht Janine Bunte. Heutzutage sind Jugendherbergen oftmals Halbpensionen ohne Massenschläge, die Gäste können sich bekochen lassen. Ob die Backpacker/innen der 1960er-Jahre, die «Invasion» der amerikanischen Rucksack-Touristen in den 1970er-Jahren oder dem höheren Tourismusaufkommen durch die «Generation Billigflieger» in den 1990er-Jahren, die Schweizer Jugendherbergen meisterten jegliche Herausforderungen und adaptierten die wandelnden Bedürfnisse ihrer Gäste stets. «Diese Adaption und Anpassung ist letztlich das Erfolgsrezept der Schweizer Jugendherbergen. Dass dabei die Grundidee der ursprünglichen Zielsetzung, allen, unabhängig von Herkunft, Alter oder Geschlecht, eine günstige Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeit zu ermöglichen, erhalten blieb, ist umso schöner», hält Janine Bunte fest. «In der ‹Jugi› sind alle gleich.»
Dieser Grundsatz steht auch im Einklang mit der Philosophie des Schlosses Burgdorf, das nach dem Credo «Schloss für alle» geführt wird. Mit der Eröffnung der Jugendherberge beim Schloss Burgdorf im Jahr 2020 verknüpfte sich die Geschichte dieser mit dem Schloss und dem Tourismus im Emmental. «Das Schloss Burgdorf besiegelt diese Verbindung mit Jugendherberge und Museum ideal», so Museumsleiter Daniel Furter.
Eine Zeitreise zurück
Ein Blick in die Sonderausstellung verdeutlicht nicht nur die langjährige Geschichte Schweizer Jugendherbergen, sondern zeigt auch die angesprochenen gesellschaftlichen Wandlungen auf. «Besucherinnen und Besucher erleben eine Zeitreise zurück in die verschiedenen Epochen», sagt Daniel Furter. Zudem wird dem Tourismus in der Region Emmental Rechnung getragen. Die Ausstellung soll die Besuchenden in vergangene Zeiten mitnehmen und mittels interaktiven Teilen wie einem Rätselspiel, Filmsequenzen persönlicher «Jugi»-Geschichten sowie historischen Ausstellungsexponaten Erinnerungen wecken und einen Eindruck der damaligen Zeit vermitteln. Wer die Bemerkungen und Kommentare wie «Weisch no denn ..?» oder «so isch das scho bi üs gsi» der geladenen Gäste an dieser Vernissage hört, merkt schnell, dass dieses Vorhaben gelungen ist.
Bei einem Apéro tauschten die Gäste fleissig Erinnerungen aus. Sie verdeutlichen die Bezeichnung der Jugendherbergen als Schweizer Kulturgut.
Joel Sollberger
Ausstellung vom 1. März bis 29. Dezember 2024.
www.youthhostel.ch
www.schloss-burgdorf.ch