«Anne Bäbi Jowäger» und eine «Drachenjagd im Emmental»

  17.12.2025 Aktuell, Lützelflüh, Aktuell, Kultur, Gesellschaft

Am vergangenen Freitagabend diskutierten im Gotthelf Zentrum in Lützelflüh Dr. Prof. Philipp Theisohn, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, und Matto Kämpf, Berner Autor, Filmschaffender und Theatermacher, über das literarische Werk von Albert Bitzius alias Jeremias Gotthelf sowie über dessen Schreibweise und Stil. Beide haben einen spezifischen Bezug zu Gotthelf.
Philipp Theisohn wuchs in Bad Dürkheim, Deutschland, auf und entstammt einer Familiendynastie von Geistlichen. Die Werke von Gotthelf gehörten lange Zeit praktisch zum literarischen Pflichtbestand in protestantischen Pfarrhäusern. Intensiv begann er sich dann während seines Studiums in Zürich mit Gotthelf auseinanderzusetzen, nachdem er in einem Antiquariat mehrere Romane und Erzählungen erworben hatte. «Danach habe ich mich richtiggehend in Gotthelf festgebissen. Seine Werke liessen mich nicht mehr los und faszinieren mich bis heute», erläutert Philipp Theisohn den anwesenden Besuchern/-innen. Er ist Herausgeber einer neuen kommentierten Leseausgabe von Gotthelfs wichtigsten Romanen und Erzählungen, die im Diogenes-Verlag erscheinen, sich am jeweiligen Erstdruck orientieren und auf 15 Bände angelegt sind. «Das Ziel der neuen Ausgabe ist, Gotthelfs Texte, die vielfach vergriffen sind, wieder einem breiten Publikum zugänglich zu machen – denn sie haben uns immer noch viel zu sagen», zeigt sich der Germanist überzeugt.
Matto Kämpfs Mutter lebte bis zu ihrem 15. Altersjahr in der Gemeinde Lützelflüh, wo Albert Bitzius als Pfarrer gewirkt und seine Romane verfasst hatte. Für sie war Gotthelf ein wichtiger Schriftsteller, betont Kämpf. Er selber las in der Schule «Elsi, die seltsame Magd» und «Die schwarze Spinne». Später vertiefte er sich während eines Urlaubs in der ägyptischen Wüste in den Roman «Uli der Knecht», der bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterliess. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er den aberwitzigen, absurden und unterhaltsamen Emmental-Roman «Im Krachenschachen», in dem er auf satirische Weise Klischees, Vorurteile und Mythen durcheinanderwirbelt. Darin darf Gotthelf natürlich nicht fehlen … Unter anderem stösst der Ich-Erzähler auf ein verschollenes Manuskript des bedeutenden Schriftstellers mit dem Titel «Die Drachenjagd im Emmental» – eine liebevolle Persiflage, verfasst in gotthelfschem Stil in der Schriftsprache, jedoch gewürzt mit zahlreichen Mundart-Ausdrücken.
Während der Veranstaltung las Matto Kämpf sowohl Passagen aus der fiktiven «Drachenjagd», die das Publikum immer wieder zum Schmunzeln brachten, als auch aus dem zweibändigen «Anne Bäbi Jowäger»-Roman vor, der neu im Diogenes-Verlag erschienen ist und der um die Themen Quacksalberei, Aberglaube, Medizin und Kontrollzwang kreist. «Mit Anne Bäbi Jowäger schuf Gotthelf eine grossartige, äusserst komplexe Frauenfigur, wie sie in der deutschen Literatur nur selten zu finden ist», schwärmt Philipp Theisohn. «Zudem zeichnet sich der Roman durch die unvermittelten Übergänge zwischen Hochsprache und Mundart aus, die gekonnt eingesetzt werden, um die Figuren zu charakterisieren und ihnen Leben einzuhauchen.» Bereits mit dem grossartigen ersten Satz – «Hansli Jowäger war ein braver Mann, und Anne Bäbi, sein Weib, meinte es auch gut, aber uf sy Gattig» – gelinge es Gotthelf, die Leserschaft in den Bann zu ziehen. Er betont, dass es keinen anderen Erzähler gleichen Ranges gebe, der die Psychologie der Alltagsmenschen so gründlich durchleuchte wie Gotthelf. Sowohl Philipp Theisohn als auch Matto Kämpf waren sich in der Diskussion einig: Es lohnt sich, den grossen Schriftsteller Jeremias Gotthelf wieder neu zu entdecken und sich in dem von ihm geschaffenen Kosmos zu vertiefen. 

Text und Bild: Markus Hofer


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