Cannabis als Arzneimittel
13.02.2025 Region, Aktuell, Gesellschaft, RegionCannabis wird schon seit Jahrhunderten als Arzneimittel verwendet und verfügt eigentlich über eine lange Tradition. Dennoch wird die grüne Pflanze oftmals auf ihren Einsatz als Rauschdroge in Form von Joints reduziert. Manfred Fankhauser, Apotheker FPH, ist seit Jahren ein Spezialist für die medizinische Verwendung von Cannabis und weiss um die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Auf die Verwendung der Blüten der Hanfpflanze als Arzneimittel stiess Manfred Fankhauser jedoch zufällig. «In meiner Doktorarbeit wollte ich mich mit einer Rausch- oder Heilpflanze beschäftigen. Mein damaliger Professor machte mich auf Cannabis aufmerksam. Nachdem ich mich ein bis zwei Monate in die Materie eingelesen hatte, war ich erstaunt über die lange Tradition der Cannabis-Anwendung in der Medizin», erläutert er mit Blick auf die Mitte der 1990er-Jahre. Manfred Fankhauser war fasziniert und schrieb schliesslich eine historische Arbeit über den Einsatz von Cannabis als Arzneimittel. Schnell bemerkte er, dass die medizinische Verwendung der Pflanze trotz ihrer langen Tradition in Vergessenheit geraten war. «Dabei war medizinisches Cannabis gerade von 1850 bis 1950 als Arzneimittel bestens etabliert», führt er aus. Das hat laut dem Experten verschiedene Gründe: «Zum einen brachte die Forschung um das Jahr 1900 neue synthetisierte Substanzen hervor, die Cannabis als Medikament Stück für Stück verdrängten. Zum anderen wurde Cannabis ab dem Jahr 1950 in den USA vermehrt als Rauschdroge eingesetzt.» So sei die Pflanze im Laufe der Zeit lediglich auf die berauschende Wirkung, hervorgerufen durch den Wirkstoff THC, reduziert worden. Im Jahr 1951 wurde Cannabis auch in der Schweiz nach amerikanischem Vorbild mittels Betäubungsmittelgesetz verboten. «Das war damals ein politischer Entscheid, denn die Verwendung als Rauschdroge begann hierzulande erst rund 20 Jahre später, gegen Ende der 1960er- und dann primär in den 1970er-Jahren», weiss Manfred Fankhauser.
Erst um das Jahr 1995, als der Langnauer seine Doktorarbeit verfasste, vermochte die Forschung die heilende Wirkung von Cannabis zu erkennen.
Das Endocannabinoid-System als Fundament
Das Ende der Stigmatisierung der Pflanze als Rauschmittel ohne weitere mögliche Verwendung hängt laut Manfred Fankhauser primär mit der Entdeckung des Endocannabinoid-Systems Anfang der 1990er-Jahre zusammmen. «Mit dieser Entdeckung erlangte die Forschung und die Medizin Wissen und Verständnis darüber, wie und weshalb Cannabis wirkt», so der 62-Jährige. Besagtes System kommt im Gehirn und im Nervensystem aller Säugetiere vor. Entscheidend sind dabei zwei Rezeptoren, welche die im Cannabis enthaltenen Wirkstoffe empfangen können und Einfluss auf zahlreiche Körperfunktionen haben. «Die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems legte den Grundstein für die heutige medizinische Verwendung und das grosse Interesse der Forschung an der Pflanze», führt Manfred Fankhauser aus. Zahlreiche wissenschaftliche Studien folgten der Entdeckung und belegen die Worte des Apothekers.
Vielseitig einsetzbar
Da durch das Endocannabinoid-System die Wirkstoffe von Cannabis Einfluss auf zahlreiche Körperfunktionen nehmen können, wird das medizinische Cannabis heutzutage auch bei vielseitigen Krankheiten und Schmerzen eingesetzt. Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen über Muskelbeschwerden bis hin zu Krebspatientinnen und -patienten ist Cannabis mittlerweile als Arzneimittel im Einsatz. «Die grösste Patientengruppe – mit etwa 80 Prozent –, die Cannabis als Medikament nutzt, leidet an chronischen Schmerzen. Hier sei speziell Rheuma oder Multiple Sklerose erwähnt.» Das Cannabis könne dabei dafür sorgen, dass sich Muskeln und der Körper allgemein entspannen. Auch bei Spastik oder Bewegungsstörungen kann medizinisches Cannabis helfen. «Weiter kann es bei Krebspatientinnen und -patienten zum Einsatz kommen. Gerade weil es den Appetit fördern kann», hält Manfred Fankhauser weiter fest.
Die Wirkstoffe THC und CBD
Die Patientinnen und Patienten, die Manfred Fankhauser und sein Team in der Bahnhof Apotheke Langnau aufsuchen, leiden in der Regel seit Jahren an Schmerzen und wollen die Wirkung des medizinischen Cannabis ausprobieren. «Entsprechend selten werden wir in der Apotheke mit Vorurteilen gegenüber medizinischem Cannabis konfrontiert», sagt Manfred Fankhauser. Daher spiele es für die Patientinnen und Patienten auch keine Rolle, dass Cannabis auch als Rauschdroge genutzt werden könne. Die berauschende Wirkung liege sowieso nur im Wirkstoff THC, der im Cannabis enthalten ist. «Die Menge an THC, die ein Joint enthält, wird in der Medizin als Überdosis bewertet», so der Apotheker weiter. Entsprechend enthalten die von Manfred Fankhauser hergestellten Produkte aus Cannabis – wenn überhaupt – viel weniger Anteile des für den Rausch sorgenden Wirkstoffs. «Dem THC steht der Wirkstoff CBD gegenüber. Dieser sorgt für keine berauschende Wirkung, sondern kann gegen Übelkeit helfen sowie entkrampfend und entzündungshemmend wirken.»
Verschiedene Verwendungen, verschiedene Formen
So unterschiedlich die Anwendung von medizinischem Cannabis sein kann, so verschieden sind auch die Präparate. «Gemeinsam mit der Ärztin bzw. dem Arzt und der Patientin bzw. dem Patienten wird ausgewählt, in welcher Form das medizinische Cannabis konsumiert werden soll», hält Manfred Fankhauser fest. Wer jetzt an Joints denkt, liegt falsch: «Zum einen werden die Reinstoffe THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) aus der Hanfpflanze verwendet oder dann Cannabisextrakte, d.h. Pflanzenauszüge in Form von Tinkturen oder öligen Tropfen, seltener auch in Form von Kapseln.» Von Gesetzes wegen dürften in der Theorie auch Blüten verschrieben werden. Blüten werden auch für das Kiffen verwendet. «Aus medizinischer Sicht sollten die Blüten jedoch mit einem Vaporizer konsumiert werden. Da aber das Kiffen nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, sehen viele Ärztinnen und Ärzte davon ab, Blüten zu verschreiben», meint Manfred Fankhauser schmunzelnd. Die richtige Lösung für jegliches Bedürfnis zu finden, sei letztlich seine Kernkompetenz.
Noch immer Potenzial vorhanden
War früher für jedes cannabishaltige Medikament von Gesetzes wegen eine Ausnahmebewilligung nötig, wurden die rechtlichen Bestimmungen in den vergangenen Jahren zwar gelockert, jedoch sind sämtliche Cannabispräparate immer noch rezeptpflichtig und unterstehen teilweise dem Betäubungsmittelrecht. «Die Akzeptanz von medizinischem Cannabis ist extrem gestiegen. Das zeigen die letzten Entwicklungen.» Manfred Fankhauser sieht denn auch nach wie vor grosses Potenzial in der Verwendung von medizinischem Cannabis. «Pro Tag erscheinen weltweit rund drei bis vier Studien zur Thematik. Es gibt über 30 000 wissenschaftliche Publikationen zu medizinischem Cannabis. Das zeigt, dass das Potenzial noch nicht gänzlich ausgeschöpft ist», hält Manfred Fankhauser fest. Aktuell versuche die Forschung beispielsweise medizinisches Cannabis bei Alzheimer und verstärkt in der Krebsforschung einzusetzen. Es sei jedoch wichtig, in Cannabis nicht das Wunderheilmittel für sämtliche Beschwerden zu sehen. «Die Erwartungen müssen realistisch sein. Als Apotheker empfehle ich nur dann den Einsatz von medizinischem Cannabis, wenn ich weiss, dass es helfen kann. Und das ist längstens nicht bei jedem Leiden der Fall.»
Die Vorteile überwiegen
Medizinisches Cannabis hat nebst seinen vielseitigen Einsatzmöglichkeiten noch einen weiteren grossen Vorteil: «Die Nebenwirkungen sind äusserst gering. Man stirbt auch nicht am reinen Konsum von Cannabis. Die Nebenwirkungen und Risiken sind bei medizinischem Cannabis auch deutlich geringer als bei einem herkömmlichen Schmerzmittel.»
Auf die Frage, was denn die potenziellen Nachteile von medizinischem Cannabis seien, lächelt der Apotheker: «Ich versuche das so neutral wie möglich zu beantworten: Medizinisches Cannabis hat einen gewissen Preis, über welchen sich streiten lässt. Doch im Verhältnis dazu, was medizinisches Cannabis zu leisten vermag, sind die Nachteile wirklich sehr gering. Denn im schlimmsten Fall wirkt das medizinische Cannabis nicht wie gewünscht.»
Joel Sollberger