Ein Leben für den Schwingsport
21.05.2025 Schwingen, Sport, Ersigen, Region, AktuellAls der Redaktor dieser Zeitung Rolf Gasser, der während rund 14 Jahren Geschäftsführer des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) war, trifft, sind gerade zwei Wochen verstrichen, seit der in Ersigen wohnhafte 64-Jährige sein Amt an Nachfolger Reto Bleiker übergeben hat. Wie sieht es mit dem Gemütszustand von Rolf Gasser aus, der seit Kindesbeinen mit dem Schwingsport eng verbunden ist und als Aktiver selbst zwei Kränze erschwingen konnte? «Mir geht es gut», lacht er und ergänzt: «Die Zeit als Geschäftsführer ist nun definitiv vorbei. Ich habe jedoch grosse Freude daran, dass das, was mein Team und ich in den vergangenen 14 Jahren aufbauen konnten, nun weitergegeben werden kann.» Noch bis August 2025 wird Rolf Gasser seinem Nachfolger, dem gebürtigen Bündner Reto Bleiker, in beratender Funktion zur Seite stehen.
Eine einst umstrittene Position
Als Rolf Gasser im Jahr 2011 die neu geschaffene Funktion als Geschäftsführer des ESV übernahm, war dies alles andere als unumstritten. Zu diesem Zeitpunkt stiess die bis heute wichtige Ehrenamtlichkeit aufgrund der zunehmenden Popularität des Schwingsports an ihre Grenzen. «Noch heute lebt sowohl der Sport als auch der Verband von der ehrenamtlichen Tätigkeit. Doch auf Verbandsseite wurden die Aufgaben, Anforderungen und Anfragen irgendwann zu gross, um diese einzig und allein nebenberuflich stemmen zu können», blickt der gebürtige Langnauer zurück. Nebst der Frage, ob das Budget für eine solche Professionalisierung auf Seiten des Verbandes reichen würde, gab es auch weitere Skepsis. «Es bestand teils die Angst, dass mit der neu geschaffenen Position als Geschäftsführer eine einzelne Person zu viel Entscheidungsmacht erhält», erläutert er weiter. Die zu Beginn 100 Stellenprozente wurden auf mittlerweile 240 ausgebaut und die Ängste – sei es mit Blick auf das Budget oder die befürchtete Machtmonopolisierung – konnten entkräftet werden. «Das ist für mich persönlich eine tolle Bestätigung. Die Wahl eines Nachfolgers in Person von Reto Bleiker zeigt, dass wir damals für den Schwingsport und den Verband den richtigen Weg eingeschlagen haben», freut sich Rolf Gasser.
Nun sei es an der Zeit, loslassen zu können und das Feld für neue Ideen zu räumen. Rolf Gasser ist stolz und glücklich zugleich, dass er den Verband mit gefestigten Strukturen übergeben kann. «Wir konnten professionellere Strukturen schaffen. Verschiedene Pflänzchen wuchsen über die Jahre zu Pflanzen, welche wichtige Eckpfeiler für den Verband und die Zukunft darstellen. Ob im IT-Bereich, bei der Nachwuchsförderung, der Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sport oder in Sachen Finanzen ist der Verband gut aufgestellt.» Dennoch werde der ESV auch in Zukunft vor Herausforderungen gestellt, ist sich der langjährige Geschäftsführer sicher. «Dabei ist wichtig, den Stand der Dinge immer wieder von Neuem zu analysieren. Die Gesellschaft und somit auch der Schwingsport befinden sich in einem stetigen Wandel. Daher ist es wichtig, immer auch mit der Zeit zu gehen.»
Ein Spagat zwischen Tradition und Moderne
Eine Herausforderung, die sich dem ESV unter der Ägide von Rolf Gasser stellte und auch seinen Nachfolger Reto Bleiker beschäftigen wird, ist das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, in welchem sich das Schwingen befindet. «Es ist ein ständiger Spagat zwischen Tradition und Moderne», bilanziert Rolf Gasser mit Blick auf die vergangenen Jahre. Ein Schwingfest sei jeweils Sport und Tradition in einem. Dennoch sei ein solches nicht vor der Weiterentwicklung gefeit. Seit dem Jahr 2004 oder spätestens seit dem Sieg von Kilian Wenger am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Frauenfeld im Jahr 2010, könne von einem Hype gesprochen werden. Rolf Gasser bezeichnet es als höchst erfreulich, wenn sich ein neues Publikum vom Schwingsport angesprochen fühlt: «Wir brauchen neue Leute, die sich fürs Schwingen interessieren.» Dennoch gelte es, dabei die Traditionen zu erhalten und somit auch die Einzigartigkeit des Schwingsports und eines Schwingfests zu sichern. «Wir müssen und wollen nicht der gleiche Event wie ein Fussball- oder Eishockeyspiel sein. Unser Sport konnte und kann sich auch künftig als eigenständige Marke weiterentwickeln», zeigt sich Rolf Gasser überzeugt. Der Weiterentwicklung zum Trotz gehen gewisse Werte nicht verloren. Mit Blick auf das ESAF 2025 im Glarnerland sind gerade einmal 15 Prozent der Helfenden und Organisierenden angestellt oder mandatiert. «Der Rest beruht auf der so wichtigen ehrenamtlichen Tätigkeit.»
Werden Schwingfeste zu gross?
Schwinger sind mittlerweile über den Sägemehlring hinaus Helden und Ikonen. Sie gehören zur Schweizer Sportprominenz. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, untermauert Rolf Gasser mit einer Anekdote aus seiner Jugend: «Als Neuntklässler in Langnau habe ich neben dem Schwingen auch Eishockey gespielt. Als ich dann an einem Bubenschwinget, das am Samstagmorgen stattfand, teilnahm, erhielt in der Schule vier unentschuldigte Absenzen. Ging es um ein Eishockeyspiel, war das Fehlen in der Schule jeweils kein Problem und es gab keine unentschuldigten Einträge ins Absenzenheft. Dies ist heutzutage voll und ganz anders und zeigt, dass Schwingen in der Schweizer Sportszene gänzlich akzeptiert ist und geschätzt wird.»
Helden und Ikonen wie aktuell Fabian Staudenmann, Samuel Giger oder Adrian Walther sowie vor einigen Jahren Kilian Wenger, Matthias Sempach, Christian Stucki oder Jörg Abderhalden sei es laut Rolf Gasser zu verdanken, dass sich Kinder und Jugendliche für den Schwingsport interessierten und letztlich selbst in die Zwilchhosen steigen würden. «Einer der grössten Höhepunkte mit Blick auf meine Tätigkeit ist mit Sicherheit, dass die Zahl der Nachwuchsschwinger/innen über die vergangenen Jahre nicht gesunken ist.»
Gesamthaft zählt der ESV rund 3000 Aktive sowie 3000 Nachwuchsschwinger/innen. Rolf Gasser hofft, dass diese Zahl in den nächsten Jahren auf gesamthaft 7000 Schwingerinnen und Schwinger gesteigert werden kann.
Ein Wachstum ist in den vergangenen Jahren auch in der Grösse der Schwingfeste auszumachen. Der Sport boomt, Tausende Zuschauende besuchen die Schwingfeste in grossen Arenen, die bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Teils gibt es kritische Stimmen, die befürchten, dass der Sport zu gross, zu kommerziell werden könnte. Dieser Befürchtung kann Rolf Gasser nicht zustimmen. «Ein Schwingfest ist letztlich immer auch ein Volksfest. Es gibt jedoch verschiedene Anspruchsgruppen, seien dies Fans, Athleten/-innen, Sponsoren, Funktionäre oder der Verband. Es ist wichtig, alle diese Anspruchsgruppen zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass alle zufrieden sind. Sollten die aktuelle Nachfrage und der Erfolg des Sports künftig abnehmen, hat dies auch Auswirkungen auf den Sport selbst. So werden Sponsoreneinnahmen kleiner und ein Schwinger, der beispielsweise aktuell Halbprofi ist und in Teilzeit einem Erwerb nachgeht, könnte plötzlich weniger Zeit in den Sport investieren. Das wiederum hätte negative Folgen für die Qualität des Schwingens. Letztlich bin ich der Meinung, dass, so lange Schwingfeste im grossen Ausmass stemmbar sind, diese sowie der Sport selbst nicht zu gross sind.»
Burgdorf, Estavayer und Christian Stucki
In all den Jahren, in denen sich Rolf Gasser für den Schwingsport engagierte, hat er im Sägemehlring sowie abseits davon viel gesehen und erlebt. Was ist ihm dabei speziell in Erinnerung geblieben? «Das ESAF 2013 in Burgdorf, bei welchem ich als Abteilungsleiter Sport tätig war, ist sicher unvergesslich. Ebenfalls mit vielen schönen Erinnerungen verbunden ist das drei Jahre später stattfindende ESAF 2016 in Estavayer, wo wir als Verband mit einem ‹Eidgenössichen› in der Westschweiz einen vollen Erfolg feiern und finanziell gar einen Gewinn erwirtschaften konnten. Das ist für ein Schwingfest in der Westschweiz alles andere als eine Selbstversändlichkeit», hält Rolf Gasser mit einem Lächeln fest. Hinzu kämen die bereits erwähnte Etablierung der Marke «Schwingen» sowie die zahlreichen Nachwuchsschwingerinnen und -schwinger.
Mit Blick auf die Legenden und Helden des Sägemehls ist es vor allem König Christian Stucki, der Rolf Gasser beeindruckt hat. «Seine Präsenz, Behäbigkeit und Natürlichkeit waren herausragend und machten ihn über die Grenzen der Schwingergemeinschaft hinaus zu einem einmaligen Aushängeschild des Sports.» Christian Stucki sei technisch vielleicht nicht der beste Schwinger gewesen, den er gesehen habe, aber er habe dies mit seiner Persönlichkeit und seinem Charisma wettgemacht. «Jörg Abderhalden als dreifacher Schwingerkönig war im Sägemehl vom technischen Aspekt her wohl der Beste, den ich je gesehen habe.»
Für das kommende ESAF in Mollis (GL) glaubt der Experte derweil an einen Sieg aus den Reihen der üblichen Verdächtigen: «Der Sieg wird höchstwahrscheinlich über die Favoriten Fabian Staudenmann und Samuel Giger führen. Alleine ihr Schlussgang in Burgdorf im August 2024 (Bernisch-Kantonales Schwingfest 2024, Anm. der Red.) hat gezeigt, wie stark die beiden sind. Das war Schwingsport der Extraklasse!», so Rolf Gasser. «Doch auch eine Überraschung ist nie auszuschliessen. Zum erweiterten Favoritenkreis zähle ich Adrian Walther, Joel Wicki und Armon Orlik. Aus persönlicher Sicht bin ich sehr gespannt auf die weitere Entwicklung von Fabio Hiltbrunner (Sieger des Jubiläumsschwinget 2024, Anm. der Red.).»
Mit dem Schwingsport verbunden bleiben
Die Zeit als Geschäftsführer des ESV ist für Rolf Gasser vorbei. Ende August 2025 wird er auch seine beratende Funktion für seinen Nachfolger einstellen. Danach gibt es zwar noch zwei, drei kleinere Projekte, die er im ESV verfolgt, doch Rolf Gasser wird sich künftig weniger intensiv und auf andere Art und Weise mit dem Schwingsport beschäftigen. «Mir ist wichtig, dass ich nicht von 100 auf 0 gehe», meint er mit Blick auf die Zukunft. Langweilig wird es ihm mit Sicherheit nicht. Rolf Gasser verfügt noch über zwei Verwaltungsratsmandate abseits des Schwingsports. Zudem ist seine Frau Mitbesitzerin einer Juraweide mit Sömmerungsbetrieb. «Da gibt es einiges zu tun», lacht er und ergänzt: «Ab nächstem Jahr werde ich die Schwingfeste – anders als in den vergangenen Jahren – etwas selektiver besuchen.»
Nach Ende des Gesprächs mit dieser Zeitung machte sich Rolf Gasser unmittelbar auf den Weg nach Mollis. Selbstverständlich ging es um das kommende ESAF. Er bleibt dem Schwingsport wie erwähnt auch nach der Übergabe seiner Position als ESV-Geschäftsführer verbunden. Und das mit Sicherheit über das ESAF im Glarnerland hinaus.
Joel Sollberger