«Härzli-Projekt» gewinnt CURAVIVA Innovationspreis

  26.11.2025 Kirchberg, Kirchberg, Gesellschaft

Den mit 7000 Franken dotierten CURAVIVA Innovationspreis erhielt das Wohn- und Pflegeheim St. Niklaus für das «Härzli-Projekt». Dieses sieht vor, dass die Pflegerinnen und Pfleger des Heims ihren Bewohnenden jede Woche eine Viertelstunde ihrer Zeit schenken – ein wertvolles Gut, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. In dieser Viertelstunde, der «Härzli-Zeit», dreht sich alles um die Bewohnerinnen und Bewohner, welche für einmal ganz selbst entscheiden dürfen, was sie machen möchten.

Neuanfang in Kirchberg
Entstanden ist die Projekt­idee im Herbst 2024 nach der Übernahme des ehemaligen Seniorenzentrums Emme in Kirchberg durch das Wohn- und Pflegeheim St. Niklaus in Koppigen. Im Rahmen eines Workshops zu den Unternehmenswerten, welche im Heim verfolgt werden sollen, wurde festgestellt, dass gemeinsam verbrachte Zeit das wichtigste Gut für die Bewohnenden ist. Um dem entgegenzukommen, sollten sie mehr davon erhalten.
Die Idee für‘s «Härzli-Projekt» war geboren; sie musste nur noch umgesetzt werden. Ein Projekt, das die ohnehin schon knappen Ressourcen der Pflege zusätzlich beanspruchte, schien recht mutig. «Wir mussten einfach mal anfangen», verriet Angela Schär-Stieger der Zeitung «D’REGION». Die Ressortleiterin Pflege und stellvertretende Geschäftsführerin der St. Niklaus-Heime war von Anfang an ins Projekt involviert. Zu Beginn wurde es durch die Aktivierungstherapeutinnen und -therapeuten begleitet, aber bei den Pflegenden und Bewohnenden kehrte schnell eine gewisse Routine ein. Eine möglichst unkomplizierte Organisation erwies sich als beste Herangehensweise. Die Mitarbeitenden geben sich Mühe, für alle Bewohnerinnen und Bewohner 15 Minuten in der Woche freizuschaufeln. Da es keinen fixen Einsatzplan gibt, kann diese Viertelstunde häufig flexibel in den Tagesablauf eingebaut werden. «Es kam auch schon vor, dass Mitarbeitende ihren Arbeitstag eigens für das «Härzli-Projekt» verlängerten. Ihnen ist die Zeit mit den Bewohnenden mittler­weile sehr ans Herz gewachsen», erzählt Angela Schär-Stieger weiter. Nichtsdestotrotz ist die «Härzli-Zeit» etwas vom Ersten, das vernachlässigt werden muss, wenn zum Beispiel bei einer Grippewelle Personal ausfällt.
Am Anfang sei das Angebot noch etwas schleppend vorangegangen. Viele der älteren Menschen konnten sich nicht richtig vorstellen, was sie sich wünschen sollten oder konnten. Aber nach und nach, auch in Gesprächen mit anderen Bewohnenden und ihren Angehörigen, kristallisierten sich viele Ideen heraus. Einige Bewohnende jedoch konnten sich nie mit der Idee anfreunden und lehnen die «Härzli-Zeit» ab. Dies sei kein Problem, schliesslich gehe es nicht darum, den Leuten etwas aufzudrängen.

«Ploudere u zuelose»
Die Wünsche der Rentnerinnen und Rentner sind nicht besonders ausgefallen, grösstenteils sogar recht bescheiden: ein Gespräch führen, sich eine Geschichte vorlesen lassen, eine kleine Maniküre oder wieder einmal Make-up auftragen. Die Wünsche der Bewohnenden sind in ihrer Machbarkeit eingeschränkt, einerseits durch das Zeitlimit, andererseits dadurch, dass die Aktivität kostenlos sein muss. Es zeigte sich, dass die Art der Aktivität häufig gar nicht im Vordergrund steht, vielmehr schätzen es die Seniorinnen und Senioren, für eine bestimmte Zeit die volle Aufmerksamkeit einer anderen Person zu haben.
Am Mittagstisch tauschen sich die Bewohnenden mittlerweile über ihre «Härzli-Zeit» aus, geben sich gegenseitig Ideen und kommen ins Gespräch. So wirkt das Projekt auf verschiedenen Ebenen der Einsamkeit entgegen, von welcher viele ältere Menschen betroffen sind. Gemäss Angela Schär-Stieger sei einfach nur ein Gespräch zu führen und etwas von sich zu erzählen eine der meistgewünschten Aktivitäten.

Vorteile für die Pflegearbeit
Das «Härzli-Projekt» ist nicht nur vorteilhaft für die Bewohnerinnen und Bewohner, es vereinfacht auch die Arbeit der Pflegenden. «Man lernt die Menschen durch die ‹Härzli-Zeit› besser kennen. In Gesprächen erzählen sie häufig viel aus ihrem Leben. Dadurch gewinnt man ein besseres Verständnis dafür, was die Leute antreibt und was sie eher abschreckt», erklärt Angela Schär-Stieger. So verbessert sich auch die Beziehung zwischen dem Team und den Bewohnenden. In manchen Fällen kann die «Härzli-Zeit» einen grossen Unterschied machen, da sich ein natürlicher Informationsaustausch zwischen Personal und Bewohnerinnen und Bewohnern etwickelt.

Der CURAVIVA-Innovationspreis
CURAVIVA BE ist der Verband der Wohn- und Pflegeinstitutionen. Seit acht Jahren vergibt dieser den Innovationspreis an herausragende Projekte in Berner Wohn- und Pflegeinstitutionen. Der Gewinn des Preises sei vor allem für die Mitarbeitenden sehr motivierend. Die Anerkennung von aussen sei sehr schön, es komme auch immer öfter vor, dass andere Institutionen Interesse am «Härzli-Projekt» zeigen und anfragen würden, wie das Wohn- und Pflegeheim das Projekt genau lanciert habe, so Angela Schär-Stieger. Auch dies sieht sie als Zeichen der Anerkennung. «Ich erzähle ihnen dann sehr gerne, wie wir vorgegangen sind. Aber ich denke, das Wichtigste ist einfach, einmal anzufangen. Das war bei uns der wichtigste Schritt.»
Mit dem Preisgeld werden interne Kommunikationsschulungen für das Personal organisiert. Die Pflegenden sind keine Therapeutinnen und Therapeuten und sollen auch keine sein. Dennoch sollen die Schulungen helfen, bessere Gespräche zu führen und Inhalte aus den Gesprächen besser verarbeiten zu können.
Es ist auch in Planung, das Projekt an den Standort in Koppigen weiterzuziehen und eventuell die «Härzli-Zeit» auf Gruppen von zwei oder drei Bewohnenden auszuweiten. Gestartet werden soll das Projekt in Koppigen im nächsten Jahr im Haus Stöckli, dem Zuhause für demenzerkrankte Menschen. 

Text und Bild: Rosie Schenk


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