Hauptversammlung und öffentlicher Vortrag 2025

  05.11.2025 Aktuell, Lützelflüh, Kultur

Am vergangenen Samstagvormittag lud der Vorstand des Vereins Gotthelf-Stube Lützelflüh die Mitglieder zur alljährlichen Hauptversammlung ins Gotthelf Zentrum ein. Zahlreiche Gäste aus der Umgebung, aber auch von weit her wohnten dem Anlass bei. Präsidentin Verena Hofer betonte in ihren einleitenden Worten die Bedeutung von Albert Bitzius alias Jeremias Gotthelf in der Literaturgeschichte. Sie zitierte den Schweizer Erfolgsautor Charles Lewinsky, bekannt durch Romane wie «Melnitz» und «Kastelau», der seiner Bewunderung für Gotthelf mit folgenden Worten Ausdruck verlieh: «Hätte ich im Poeten-Olymp die Tischkärtchen zu verteilen, ich würde für ihn einen Platz am Ehrentisch reservieren, gleich neben Balzac und Dickens, dort wo die großen Geschichtenerzähler und Menschenbeschreiber zusammensitzen […]. Denn alle drei haben diese Autoren etwas geschafft, das nur wenigen gelingt: Sie haben ihre Welt und ihre Zeit so präzis beschrieben, dass wir sie uns gar nicht mehr anders vorstellen können als in dieser Beschreibung.» Die Präsidentin Verena Hofer führte zügig durch die Traktandenliste. Ein Überraschungspräsent brachte Dr. Ursula Kambly, Vertreterin der Kambly AG in Trubschachen, mit: Sie verschenkte allen Anwesenden ein Exemplar des Büchleins «Zeitlose Weisheit. In sechs Kalendergeschichten von Jeremias Gotthelf».
Nach dem gemeinsamen Mittagessen, das die Vereinsmitglieder zum regen Austausch nutzten, hielt am Nachmittag Karin von Zimmermann, Master of Arts, Mitarbeiterin der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf der Universität Bern, einen Vortrag mit dem Titel «‹Aber zur Ruhe kamen sie nicht›… Auf Wanderschaft mit Gotthelfs Erzählung ‹Die Drei›». Die historische Novelle, die Gotthelf vermutlich im Jahr 1841 verfasste, erschien zum ersten Mal postum im Jahr 1855 im fünften Band der «Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz» beim Springer Verlag in Berlin und enthält historische, sagenhafte und fantastische Elemente. Die Rahmenerzählung spielt an einem trüben Herbstvormittag des Jahres 1839: In der Wirtschaft Flühlenstalden in Grünenmatt, Gemeinde Lützelflüh, findet eine politische Versammlung einiger Herren statt. Vor dem Mittagessen unternimmt die Gesellschaft einen Spaziergang auf den Münneberg, der eine fantastische Aussicht auf das Emmental bietet. Zurück in der behaglichen Gaststube erzählt nach dem üppigen Essen einer der Anwesenden die Sage vom Münneberg, welche in die Jahre 68/69 n. Chr. führt, als die Helvetier unter römischer Herrschaft standen. Damals lebten in Sumiswald drei mächtige und stolze Brüder, die wegen ihres hoffärtigen Wesens im Volk allerdings kaum beliebt waren. Als an ihrer statt der schöne und mutige Sigbert als Tagsatzungsabgeordneter gewählt wird, schmieden sie eine bösartige Intrige: Sie ermorden Sigbert, der sich gegen die Römer erheben will, und bringen aus Versehen auch ihre eigene Schwester um. Der Verrat wird ihnen nicht gedankt: Ihre Landsleute, aber auch die Römer verfolgen sie, bis sie unter ein Mühlerad springen und von diesem zermalmt werden. Bis heute, so die Sage, sieht man sie noch bei der Grüne winken und gestikulieren, wenn «irgendeiner, der Verrat im Sinne trägt und aus Eitelkeit, Geiz oder Hochmut Treue brechen will, dieses Weges geht. […] Die dreie sinds, die […] mit dringlichen Gebärden mahnen, nicht ihrer Schuld teilhaftig zu werden.»
Wie Karin von Zimmermann ausführte, legte Gotthelf beim Verfassen der Novelle nur wenig Gewicht auf historische Faktentreue. So wird vermutlich kaum bereits bei den Helvetiern die Lüdern-Chilbi mit einem Schwinget stattgefunden haben. Wichtiger war es für ihn, aus der Vergangenheit Lehren für die eigene Zeit zu ziehen und diese der Leserschaft zu vermitteln. Dagegen hat Gotthelf aber die Umgebung des Flühlenstaldens und die gesamte Lokaltopografie mit äusserster Präzision geschildert. Karin von Zimmermann unternahm bei den Recherchen für ihren Vortrag selbst einen Ausflug auf den Münneberg und hielt fest, dass sich die Landschaft im Vergleich zu Gotthelfs Zeiten massiv verändert habe. Sie präsentierte den Anwesenden zum Abschluss Überlegungen zur Entwicklung eines Lernpfades für Schülerinnen und Schüler zur Erzählung «Die Drei».

Text und Bilder: Markus Hofer


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