In Jegenstorf zerschellte vor 80 Jahren ein B-24-Bomber

  15.05.2024 Jegenstorf, Gesellschaft, Region, Lützelflüh, Jegenstorf

Am 11. Mai 1944 – also vor 80 Jahren während des Zweiten Weltkriegs – stürzte in Jegenstorf ein amerikanischer B-24-Bomber des Typs «Liberator» ab. An jenem Nachmittag beobachteten zahlreiche Augenzeugen, wie ein Flugzeug, dessen Flügel eine Spannweite von knapp 34 Metern aufwiesen, in tiefem Gleitflug von Nordosten herkommend über Grafenried gegen Jegenstorf zuflog und schliesslich im Hambühlwald, auf dem Land von Fritz Bütikofer, zerschellte. «Beim Aufprall der Maschine […] erfolgte eine heftige Detonation und unmittelbar hernach stieg eine mächtige, tiefschwarze Rauchsäule von der Absturzstelle auf. Der Rumpf des Flugzeugs war in Feuer aufgegangen. Dieser, wie überhaupt das brennbare Material […], brannten vollständig aus», heisst es in einem Bericht des Polizeikorps des Kantons Bern. Rasch eilten Polizei und Militäreinheiten zur Unglücksstelle und sperrten das Gelände weitläufig ab. Eine neugierige Menschenmenge fand sich vor Ort ein. Durch die Wucht des Aufpralls lagen überall Trümmerteile herum. Der Hochwald wurde auf einer Länge von 20 Metern und einer Breite von 50 Metern buchstäblich niedergemäht. Der Absturz verursachte beträchtlichen Schaden. Zum Glück waren keine menschlichen Opfer zu beklagen; das Flugzeug stürzte führerlos ab. Die 10-köpfige amerikanische Besatzung mit Pilot Stuart Goldsmith hatte sich zuvor durch Fallschirmabsprünge über dem Emmental aus der unkontrollierbaren Maschine gerettet, die mittels Autopilot weiterflog.
Angriff auf Épinal
Der Start des schicksalhaften Flugs erfolgte von einer Luftwaffenbasis bei Norwich in England. Die Crew, die auch am ersten Luftangriff auf Berlin beteiligt gewesen war, hatte bereits 16 Kampfeinsätze durchgeführt, die tief ins Feindesland führten. Rund 290 weitere Bomber flogen am 11. Mai 1944 von der Umgebung Norwich in Richtung europäisches Festland. Ins Visier genommen wurden verschiedene Rangierbahnhöfe in Frankreich. Die Alliierten bereiteten damals mit Hochdruck die Invasion der Normandie vor, um das von Nazi-Deutschland besetzte Westeuropa zu befreien. Vor der Stadt Épinal im Nordosten Frankreichs, dem Zielort des Angriffs, geriet die B-24 unter Beschuss von deutschen Jagdfliegern sowie Flakbatterien und wurde getroffen. Ein Teil der Bomben konnte über dem Bahnhof und den Industrieanlagen von Épinal abgeworfen werden. Die Crew entschied sich, über den Jura zu fliegen und die neutrale Schweiz anzusteuern, um der deutschen Gefangenschaft oder Schlimmerem zu entgehen. Schliesslich erwies sich die Napfkette als unüberwindliches Hindernis für die schwer beschädigte Maschine, die stetig an Höhe verlor. Die Crew verliess ihre «fliegende Festung» mit dem Fallschirm.

«Alles flotte Leute»
Sechs Mann landeten in Lützelflüh, je einer in Grünenmatt und Sumiswald, zwei in Wasen. Alle blieben bis auf kleinere Blessuren unverletzt. Ihr Absprung war keineswegs unbemerkt geblieben. Bei Armee, Polizei und den Ortswehren gingen sofort entsprechende Meldungen ein. Eine motorisierte Einheit von Rekruten, die in Lützelflüh einquartiert war, griff die ausländischen Soldaten innert kürzester Zeit auf. Die Amerikaner verstanden sich mit den Schweizern sehr gut. Davon zeugt eine Postkarte aus dem Gasthof zum Ochsen in Lützelflüh, wo die Soldaten mit ihren Bewachern zu Abend assen. Darauf steht mit Schreibmaschine geschrieben: «... Alles flotte und anständige Leute.» Die Crew unterschrieb die Postkarte.
Militärangehörige von kriegführenden Parteien wurden in der Schweiz gemäss dem Abkommen von Den Haag aus dem Jahr 1907 interniert. Amerikanische Armeeangehörige brachte man in Hotels von Bergkurorten unter – in luxuriöseren Unterkünften als internierte Polen. Insgesamt 1511 Besatzungsmitglieder amerikanischer Bomber wurden während des Zweiten Weltkriegs interniert.
Nicht alle Crewmitglieder des in Jegenstorf abgestürzten Bombers blieben bis zum Ende des Kriegs in der Schweiz. Pilot Stuart Goldsmith gelang als Bauernmädchen verkleidet die Flucht aus dem Internierten-Camp in Davos nach Frankreich, wo er Kontakt mit der Résistance aufnahm. 

Markus Hofer

Bilder und Dokumente zum Flugzeugabsturz in Jegenstorf und zur Crew des Bombers wurden der Zeitung «D’REGION» freundlicherweise von Rolf Zaugg zur Verfügung gestellt, der das B-17-Museum in Utzenstorf führt
(www.b17museum.ch).


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