Schätze aus vergangener Zeit

  20.08.2025 Hindelbank, Hindelbank

Der Kirchgemeinderat und die Pfarrerinnen staunten, als sie im Zusammenhang mit der Fassadenrenovation die sechs grossen Kupferbüchsen sahen, die aus dem Kirchturm geborgen worden waren. Was wohl in diesen Zeitkapseln zum Vorschein kommen würde? In welchem Zustand sich die Dokumente wohl präsentieren würden? Äusserst sorgfältig, wie Archäo­loginnen und Archäologen, gingen sie beim Sichten des Inhalts vor.
Es tauchten Zeitungen aus den Jahren 1911 und 1969 auf: «Burgdorfer Tagblatt», «Emmenthaler Tagblatt», «Berner Woche in Wort und Bild» und «Der Bund». Sie berichteten vom Brand in Hindelbank, vom Krieg im heutigen Libyen, von Menschen auf dem Mond.
Weiter entdeckten die Forschenden ein Schmähgedicht auf Frauen, die doch tatsächlich wählen wollten, Stellenanzeigen und Werbung. Sogar ein wahrer Schatz wurde gehoben: eine wunderschön mit Malereien geschmückte Pergamentrolle mit einem Text des damaligen Pfarrers und Direktors des Seminars für Lehrerinnen in Hindelbank, Walter Grütter (1870–1924). Er berichtete über Hindelbank, den Brand, den Kanton und die Weltlage.
Weiter fanden sie Spenglerzeitschriften aus vergangenen Zeiten, Briefe von Handwerkern und Predigtschriften. Zusammengefaltet ein grosses Plakat des oberaargauischen Wettschiessens, bei dem 1911 «tout Hindelbank» dabei gewesen war – das zeigten auch die Fotos vom Umzug und Festakt. Fotos fanden sie auch von den Renovationsarbeiten im Jahr 1969, den Seminaristinnen, vom Direktor, vom Dorf, von den Menschen.
Ursprünglich waren die Zeitkapseln im Jahr 1911 nach einer Katastrophe befüllt worden: Am 21. Juli 1911 war kurz vor drei Uhr nachmittags in Hindelbank eine Feuersbrunst ausgebrochen. Zwölf Gebäude, darunter die Kirche, waren bis auf die Mauern zerstört worden. Innerhalb kürzester Zeit – dies stellte die Baukommission Hindelbank ein wenig neidisch fest – war die Kirche wieder aufgebaut worden. Bereits im Sommer 1912 hatte die Gemeinde in der neuen Kirche feiern können. Dabei beschloss man, im Turmhelm des neuen Kirchturms für die nachkommenden Generationen Zeitkapseln zu hinterlegen.
 
Zeitkapseln? Kann man Zeit einkapseln?
Sechs hermetisch verschlossene Kupferbüchsen wurden mit Dokumenten und Bildern gefüllt, die ein Bild der Kirchgemeinde, des Dorfs, der Schweiz und der Welt überliefern sollten. Im Jahr 1969 wurde der Kirch­turm renoviert und neue Zeitdokumente kamen dazu.
Im Sommer 2025 standen dann die Mitglieder des Kirchgemeinderates und das Pfarrteam vor denselben Fragen wie die Vorfahren dazumal: «Was wollen wir da reintun? Welche Dokumente, Fotos, Texte geben ein Bild unserer Zeit, unseres Dorfes wieder?» Trotz Ferienzeit und zuweilen heis­ser Tage setzte das Neubefüllen der Zeitkapseln grosse Energien frei. Der Kirchgemeinderat, die Pfarrerinnen und viele Freiwillige sammelten eifrig Dokumente, Interviews, Fakten und Zahlen, Fotos und mehr, um die Zeitkapseln mit Relevantem, Schönem, Traurigem und Interessantem aus unserer Zeit zu ergänzen. Schon früh entschied man sich, keine Gegenstände zu hinterlegen, und einige der alten Dokumente wurden aus den Kapseln entfernt. Im Archiv der Kirchgemeinde werden unter anderem Spenglerzeitungen und Handwerkerbriefe einen neuen Platz finden. Die Pergament­rolle wollten die Entdecker/innen der Zeitkapseln gebührend würdigen: Sie wird gerahmt und aufgehängt – ein Transkript davon wurde wieder in eine Zeitkapsel gelegt.
Es hat nun einiges Neues drin, in diesen Kapseln: Von Bucketlists von Konfirmanden/-innen und einer Liste von Zahlungsmitteln im Jahr 2025 über Interviews mit Vertretern/-innen der Schule, der Justizvollzugsanstalt, von Vereinen und der Kirchgemeinde bis hin zu Predigten und Texten von Pfarrerinnen. Sogar ein paar Kolumnen der «D’REGION» fanden einen Platz.
Es wird wohl erst in 50 bis 60 Jahren wieder eine Gelegenheit geben, die Zeitkapseln zu öffnen, den Inhalt zu sichten, zu staunen, sie neu zu befüllen und sich zu fragen: «Was bleibt drin, was kommt raus, was kommt neu dazu?» Der Kirchgemeinderat und das Pfarrteam wünschen ihren Nachfahren viel Vergnügen und spannende Diskussionen beim Öffnen der Zeitkapseln und sie danken allen aus Hindelbank, Bäriswil und von sonstwo, die Schweiss, Geist und Energie aufgewendet haben, um die Zeitkapseln zu bewahren und mit Neuem zu befüllen.
Text und Bilder: red/zvg


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