Sich kennenlernen heisst sich verstehen
09.07.2013 Aktuell, Region, Burgdorf, Kultur, Jugend, GesellschaftEs ist ungewöhnlich heiss an diesem Sommertag, als Vertreter der Gastfamilien aus den Kantonen Bern und Freiburg auf ihre amerikanischen Jugendlichen und deren Begleitpersonen warten. Die Jugendlichen aus verschiedenen amerikanischen Landesteilen haben im Rahmen ihrer mehrwöchigen Europareise bereits ein dicht befrachtetes Reiseprogramm durch mehrere Länder absolviert. An diesem Tag haben sie in der Schaukäserei Affoltern i.E. Einblick in die Käseproduktion erhalten, sind weitergefahren nach Luzern, werden über die Kapellbrücke und durch die Altstadt geführt, geniessen ihren Lunch am See und kommen – leicht verspätet – in Bern an.
Total aufgestellt
Wer nun annimmt, die Jugendlichen würden weichgekocht aus dem Bus heraustorkeln, hat sich getäuscht. Eine aufgeweckte und neugierige Schar Jugendlicher versucht möglichst schnell herauszufinden, welches Gesicht in der grossen Menge der Wartenden zur eigenen Gastgeberfamilie gehört. Das Interesse ist gegenseitig, denn auch die meisten der mehrheitlich weiblichen Herbergs-Eltern kennen ihre Schützlinge nur dem Namen nach. Die Begrüssung fällt überaus herzlich aus: Viele haben Willkommens-Plakate angefertigt, die eigenen Kinder sind anwesend, daneben auch hier und da ein Hund.
Verschiedene Familien in Burgdorf haben Jungen und Mädchen aufgenommen, andere logieren in Kirchberg, Affoltern und Bätterkinden. Zuständig für die Zusammenführung von PtPI-Besuchern und Gastfamilien ist Andrea Sommer aus Burgdorf, die seit einigen Jahren zuständig ist für die Rekrutierung beherbergungswilliger Familien für die angemeldeten Jugendlichen aus den USA.
Weltweite Kontakte
Ernst Honegger arbeitet seit fast zwanzig Jahren ehrenamtlich für die Organisation People to People International (PtPI), die 1956 durch den damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower gegründet worden ist mit dem Ziel, zwischenmenschliches Verständnis zu fördern und entsprechend grenzüberschreitende Friedensbemühungen zu unterstützen. Seit 1961 engagiert sich die Nonprofit-Organisation mit Ambassadors Group, Inc., einer auf Reise- und Dienstleistungsangebote spezialisierten Gesellschaft, für völkerüberschreitende Kontakte vor allem zwischen Jugendlichen und Studenten. Eisenhower-Enkelin Mary Jean Eisenhower präsidiert heute PtPI. Sie bestätigt beiden Organisationen «eine Partnerschaft in Frieden», welche die Menschen zusammenführen als «Partner in Frieden».
Honeggers Ehefrau Martine und andere erzählen während der langen Wartezeit, dass sie durch ihre Arbeit Kontakte mit zahlreichen Menschen in vielen Ländern auf allen Kontinenten geknüpft hätten, selber immer wieder Besuche abstatteten und vielfach besucht würden: «Das sind dann regelmässig ‹Cousins› unserer Freunde, für die wir immer ein Bett haben.» Wer als Gastgeber Ambassador wird, trägt zur Weiterführung dieser humanitären und völkerverbindenden Initiative bei, die Menschen aller Länder und Kulturen in einem Nonprofit-Netzwerk verbindet und Freundschaften fürs Leben schafft. Durch die Kontakte mit diesen jungen Menschen erweitern Gastgeberfamilien und Gäste ihre globale und kulturelle Kompetenz, lernen viel über andere Lebensweisen und können von diesem Wissen ein Leben lang profitieren.
3000 Platzierungen
Honegger erinnert sich an «rund 3000 High-School-Burschen und -Mädchen, welche PtPI in den vergangenen 20 Jahren im Grossraum Bern platziert hat. Ein oder zwei Ungereimtheiten sind vorgekommen, aber sonst nur positive Rückmeldungen von den Gastfamilien und den Jungen», zieht er Bilanz. Vielfach nehmen Familien mit Kindern zwischen 10 und 20 Jahren US-Kids auf, damit ihre eigenen Kinder auf spielerische Art ans Englisch herangeführt werden. Viele dieser Schweizer Kinder absolvieren später Gastsemester an amerikanischen Schulen oder Universitäten, vielfach finden gegenseitige Besuche der jeweiligen Familien statt. «Also Freunde fürs Leben», bilanziert Honegger. Wer künftig Gäste aufnehmen will, kann sich laut Honegger bei der Homestay-Koordinatorin Andrea Sommer, Burgergasse 38d, 3400 Burgdorf, melden. Sie beginnt bereits mehrere Monate vor Eintreffen der Jugendlichen mit der Rekrutierung der Gastgeberfamilien.
Schweizer Küche und Sightseeing
Fritz und Andrea Sommer beherbergen zwei Jugendliche aus Kentucky, David LaRue (14 Jahre) und Michaela Carter (15 Jahre), die sich mit den zwei eigenen Kindern Lisa und Leo bestens verstehen. Michaela ist nach eigenen Worten «ganz begeistert von der Schweiz und besonders von der Familie Sommer». Das gilt auch fürs Essen, denn beide Besucher haben ausschliesslich Schweizer Kost erbeten und geniessen Raclette am heissen Sommerabend im Garten an der Burgergasse, am nächsten Abend Rösti mit Kalbsbratwurst und Zwiebelsauce und dann Kügelipastete mit Erbsli/Rüebli sowie gemischtem Salat. Und das, obgleich die Mutter von David gewarnt hat, dass er weder Salat noch Gemüse esse. Weiter stehen Züpfe, Gipfeli und Birchermüesli auf der Hitliste.
Zwei Tage sind ausgefüllt mit Besichtigungen, Ausflügen und Wanderungen: Grindelwald mit noch nie gesehenen hohen Bergen, rasante Fahrten auf der dortigen Rodelbahn, Gletscher, Postauto-Fahrten, 90 Minuten Wanderung unterhalb des Wetterhorns. Am Mittwoch folgt ein Besuch bei Kambly mit Güezi-Degustation à discrétion, der Besuch des Burgdorfer Schlosses, eine Stadtbesichtigung von Bern mit Bundeshaus, Bärengraben, Altstadt und eine Shopping-Tour im «Shoppyland» Schönbühl. «All das haben wir nicht in Kentucky», ziehen die zwei Jugendlichen Bilanz.
Gerti Binz