Erstes mobiles Kleinwasserkraftwerk

  28.08.2013 Aktuell, Hasle bei Burgdorf, Burgdorf

Seit Jahren befasst sich die AWEG AG für Wasser und Energie mit der Entwicklung und Konstruktion von Kleinwasserkraftwerken. Anfang letzter Woche konnten Hans-Rudolf Stoller, Verkaufsleiter, sowie Geschäftsführer Josef Eggenschwiler einen Gast aus dem westafrikanischen Nigeria begrüssen, der sich näher über die Anwendungsmöglichkeiten dieser umweltfreundlichen und kostengünstigen Energieproduktion informieren wollte.

Energie dank Selbstbau
Ein in England lebender nigerianischer Geschäftsmann will Genaueres über dieses flexible, robuste und kompakte System zum Selbstbau eines mobilen Kleinwasserkraftwerkes erfahren, deshalb besichtigen die AWEG-Vertreter mit ihrem Gast nach vorausgehenden Gesprächen ein ähnliches, seit Langem erfolgreich laufendes Werk in Derendingen. Die Schweizer weisen darauf hin, dass die Mobile Power Box (MPB) eine überzeugende Lösung für im Aufbau befindliche Siedlungsgebiete darstellt. Die Anlage, die in einem 40 Fuss langen Container (Länge 12,11 m, Breite 2,40 m und Höhe 2,60 m) geliefert wird, installieren Arbeiter vor Ort unter Anleitung anwesender Schweizer im Selbstbau. «Voraussetzung ist ein Bach oder Fluss, wo die Anlage mit einer Höhendifferenz zwischen 1 und 3,5 m installiert wird, um das nötige Gefälle zu erreichen. Die MPB (registriertes Patent), mit zwei Jahren Werksgarantie, kann dank der guten Qualität problemlos 30 bis 40 Jahre laufen und arbeitet fast wartungsfrei», führt Stoller aus.

Vielfältige Möglichkeiten
Der extra aus England eingeflogene Consultant nimmt die Erklärungen zur umweltverträglichen und nachhaltigen Energieversorgung primär für entlegene Entwicklungsgebiete mit Interesse zur Kenntnis. «Natürlich können bei vorhandenen Bach- und Flussläufen auch Einzelobjekte wie Schulen, Spitäler, Regierungsgebäude und Ähnliches mit Elektrizität vorsorgt werden», erfährt er auf Nachfrage. «Wasser haben wir genug in Nigeria, aber eine verschwindend kleine Energieversorgung. Der Flughafen in der Hauptstadt Abuja verfügt über keine Aircondition», meint der Afrikaner.

Ideal für Afrika
Relativ wenig bekannt ist, dass gewisse Länder in Afrika wie Nigeria oder die Demokratische Republik Kongo RDC, deren Hauptstadt Kinshasa am Kongo mit seinen zahlreichen Nebenflüssen liegt, über grosse Wasservorräte verfügen. Laut Stoller werden die MPB-Container per Schiff und später per Bahn oder Truck bis zum Bestimmungsort geliefert. Am festgelegten Bestimmungsort graben Einheimische einen Seitenfluss zum bestehenden Wasserlauf, erstellen die Betonfundamente und montieren den Container auf die fertigen Fundamente. Auf der untenliegenden Seite wird der Container geöffnet, die Archimedes-Schraube (Wasserkraftschnecke) herausgezogen und auf dem dritten Fundament unten im Wasser befestigt. Nachdem auch der am Container vorgesehene Einlauf oberseitig geöffnet ist, fliesst das Wasser durch die sich sehr langsam drehende Wasserkraftschnecke und erzeugt nun rund um die Uhr Strom.

Elektrizität für 70 Haushalte
«Der integrierte Generator kann mit der erzeugten Energie bei schweizerischen Verhältnissen rund 70 Normalhaushalte zu vier Personen versorgen. Bei ausreichender Wassermenge vom Fluss können auch zwei oder drei Boxen neben- oder hintereinander aufgestellt werden», erklärt Stoller. «Bei einem Wasserdurchfluss von zwei Kubikmetern pro Sekunde können pro MPB 40 bis 50 Kilowatt pro Stunde erzeugt werden. Die in Europa üblichen zahllosen elektrisch betriebenen Geräte fehlen, ebenso Aircondition.»

Genau wie in Nigeria fehlen auch im Kongo grösstenteils ein Energieversorgungsnetz oder Speichermöglichkeiten, weshalb Strom nur zum sofortigen Verbrauch produziert werden kann.

Solarenergie eignet sich für diese Gebiete kaum, da trotz viel Sonne keine Speicherkapazitäten für die Abend- und Nachtstunden vorhanden sind. Windkraft kann ebenso wenig genutzt werden. «Für den Kongo sehen wir Einsatzfristen von 30 bis 40 Jahren, bis das Land eigene Stromnetze aufbauen kann», führt Stoller aus.

Sehr umweltfreundlich
Die Wasserkraftschnecke ist so konzipiert, dass Fische und andere Wassertiere im Wasser durch die Schraube gleiten können, ohne zu Schaden zu kommen: «Sehr umweltfreundlich und schonend.» Ein sehr wichtiges Verkaufs­argument ist der Preis: «Bei einer Leis­tung von 50 Kilowatt ist die Anschaffung von einem Diesel-Aggregat im Vergleich zum MPB billiger. Rechnet man jedoch Unterhalt und Dieselverbrauch sowie die fast wartungs- und unterhaltsarme MPB gegeneinander auf, ist spätestens nach fünf bis sechs Jahren der höhere Anschaffungspreis amortisiert», belegt Stoller mit Zahlen.

Auch Wasser und Telekommunikation
Verschiedene Kreise in Afrika haben auch grossen Bedarf an sauberem Trinkwasser angemeldet; hier kann die Mobile Water Box (MWB) eingesetzt werden. Da vielfach das Oberflächenwasser aus Bächen und Flüssen verschmutzt ist und eine trinkbare Qualität nur mit sehr grossem Aufwand zu erreichen ist, hat AWEG ein System entwickelt, bei dem in Flussnähe Grundwasser aus der Tiefe hochgepumpt wird. Das komplette System inklusive Bohrvorrichtung, Pumpe, Reservoir und Wasseraufbereitung wird ebenfalls in Containern geliefert. Da aller guten Dinge drei sind, bietet AWEG noch die Mobile Telecom Box an, um auch entlegene Gebiete ans Funk- und Kommunikationsnetz zu binden. Alle drei Systeme sollen helfen, die Abwanderung der Landbevölkerung zu vermindern.

Fortgeschrittene Verhandlungen
«Mit den Regierungsstellen in der Demokratischen Republik Kongo sind wir in fortgeschrittenen Verhandlungen», führt Stoller aus. «Die Finanzierung solcher Projekte unter Einbezug des Käuferlandes, der dortigen Regierungsbehörden, der Banque Africaine de Développement (BAD) und anderer Institutionen benötigt Fingerspitzengefühl und Geduld.» AWEG-Vertreter werden demnächst in den Kongo fliegen und passende Standorte für die MPB-Pilotanlage aussuchen. «Fast noch wichtiger ist eine Präsentation des MPB-Systems vor Fachleuten der Afrikanischen Bank für Entwicklungshilfe (BAD) und der Weltbank in Kinshasa.» Die Afrikanische Bank für Entwicklungshilfe hat der RD Kongo einen Kredit von insgesamt 860 Millionen US-Dollars für dauerhafte infrastrukturelle Verbesserungen zugesprochen; davon ist eben auch ein Teil für die Elektrifizierung auf dem Land, den Baustart der MPBs, für die Energie- und Trinkwasserversorgung und den Aufbau eines Kommunikationsnetzes vorgesehen.

Kapitaldecke ausweiten
Da es sich bei der AWEG um ein junges Unternehmen handelt, das sich in Zukunft gegen weltweite Konkurrenz behaupten muss, ist die Geschäftsleitung laut Stoller «auf der Suche nach Investoren, um eine entsprechend angepasste Kapitaldecke für künftige Expansionen realisieren und die Ansprüche des Marktes abdecken zu können. In Frage kämen Banken, die sich in der Entwicklungshilfe engagieren, Institutionen, Hilfswerke, Stiftungen und selbstverständlich auch Private. Für die MPB-Pilotanlage in Burgdorf gründen wir eine neue AG, von der man dann Aktien kaufen kann.» Es ist vorgesehen, demnächst auf dem Areal der ehemaligen Firma Stauffer in der Buchmatt eine MPB-Pilotanlage zu installieren, am gleichen Standort wie das frühere Kleinkraftwerk, dessen Konzession immer noch gültig ist.

Gerti Binz


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