Ein grosses Herz für Asylsuchende

  01.03.2016 Aktuell, Hasle bei Burgdorf, Gesellschaft, Politik, Schafhausen

Das Resultat ist eindeutig: Von den insgesamt 2490 Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Hasle, zu der auch der Weiler Schafhausen mit dem dortigen Schulhaus gehört, gehen 1439 Personen am vergangenen Sonntag an die Urne. Die Stimmbeteiligung beträgt knapp 58 Prozent. Der verlangten Kündigung des Mietvertrages mit dem Kanton Bern für das Schulhaus Schafhausen per Ende September 2016 stimmen 329 Männer und Frauen zu, doch 1101 Stimmberechtigte votieren dagegen.

Keine stichhaltigen Gründe
Knapp 77 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung sehen offensichtlich kein Problem darin, dass ihr Gemeinderat das über längere Zeit leerstehende und nicht vermietbare Schulgebäude dem Kanton als Durchgangszentrum für Asylsuchende zur Verfügung gestellt hat. Ein nicht unwesentlicher Punkt dürfte für die Abstimmenden der behördliche Hinweis gewesen sein, dass bei Kündigung des Mietvertrages mit dem Kanton jährlich zwischen 200 000 bis 250 000 Franken Mieteinnahmen dahinfallen würden, welche unter Umständen mit einer Steuererhöhung aufgefangen werden müssten. Und spätestens dann ginge es ans eigene Portemonnaie.
Dazu kommt, dass der Betrieb im alten Schulhaus im Grossen und Ganzen reibungslos läuft. Und der Hinweis der Kündigungsbefürworter, die Asylsuchenden seien beim Fussmarsch von Hasle zum Schulhaus Schafhausen grösseren Gefahren auf der Kantonsstrasse ausgesetzt, vermag offensichtlich nicht als Grund für eine Vertragskündigung zu überzeugen. Das Gleiche gilt für die velofahrenden Asylsuchenden. Der Homepage von Hasle ist zu entnehmen, dass die Fahrräder im Durchgangszentrum regelmässig von freiwilligen Personen kontrolliert und repariert werden. Zudem macht
man die Bewohner laufend auf die Gefahren im Strassenverkehr aufmerksam.

Eritrea, Syrien, Afghanistan
Ende Februar sind die Zimmer mit total 119 Männern, Frauen und Jugendlichen eher unterdotiert; war anfangs doch die Rede von 150 hier unterzubringenden Asylsuchenden. Heute stammen die meisten aus Eritrea (26), gefolgt von Syrien und Afghanistan (je 20) und Sri Lanka (12). Weitere kommen aus Somalia (9), dem Irak (8), Äthiopien (6) und China (Tibet 5). Neben vier Personen mit unbekannter Nationalität wohnen im Durchgangsheim noch vereinzelte Personen aus Armenien, Gambia, dem Kongo, Pakis­tan, Russland, dem Sudan und der Ukraine. Von den 119 Bewohnern sind 15 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Information als Reizwort
Rolf Kohler, selber als SP-ler viele Jahre lang Mitglied des Gemeinderates, fungiert als Sprecher der Bevölkerungskreise, welche den Mietvertrag mit dem Kanton kündigen wollen. Ihn und andere mehr hat die vielfach kritisierte mangelnde Informationspolitik rund um das geplante Durchgangszentrum für 150 Personen in der alten Schule durch den derzeitigen Gemeinderat gestört, der zu spät und dann erst auf Druck informiert hat. Allerdings räumt er inzwischen ein, dass das Zentrum ziemlich reibungslos laufe, wenn man von vernachlässigbaren Kleinigkeiten absieht.

Mehr als 50 000 Franken Miete
Gut ein Jahr, nachdem der Schulbetrieb vor den Sommerferien 2013 im alten Schulhaus Schafhausen eingestellt worden ist, beginnt der Gemeinderat Hasle im Spätsommer 2014 Verhandlungen mit dem Kanton über eine Nutzung des Gebäudes als Durchgangszentrum für Asylsuchende. Zu diesem Zeitpunkt weiss die Öffentlichkeit noch nichts von den Plänen der Verwaltung. Mitte Oktober informiert der Gemeinderat, Ende des Monats ziehen bereits die ersten Asylsuchenden ein. Der Regierungsstatthalter weist eine Beschwerde der Gegner auf Ungültigkeit des Mietvertrags ab, auch der bereits erfolgte Kücheneinbau wird nachträglich sanktioniert. Eine Gemeinde-Initiative, die ein Mitspracherecht bei Vermietung und Verkauf von Liegenschaften der Einwohnergemeinde verlangt, kommt zustande, wird aber acht Monate später zurückgezogen. Der Gemeinderat schlägt in seinem Gegenvorschlag vor, dass die Bevölkerung künftig über Projekte mit einem höheren Mieteinkommen als 50 000 Franken abstimmen kann. Den Mietvertrag mit dem Kanton will eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung jetzt aufrechterhalten.

Gerti Binz

 

Absolut problemloser Schulunterricht

Enrico Bomio, Klassenlehrer der 5. und 6. Klasse im Schulhaus Preisegg an der Eichholzstrasse, ist «erfreut und erleichtert über das Abstimmungsergebnis. Mit dem Durchgangszentrum im ehemaligen Schulhaus Schafhausen kann die Gemeinde Hasle einen kleinen Beitrag zur Bewältigung des grossen Flüchtlingsdramas leisten. Doch mit über 150 Bewohnerinnen und Bewohnern wäre das Zentrum meiner Meinung nach überbelegt.» Derzeit leben 119 Personen dort.

Die schulpflichtigen Kinder des Durchgangszentrums können nun weiterhin im Schulhaus Preisegg, in den dafür geschaffenen zwei Schulklassen, den Unterricht besuchen. «Das funktioniert seit rund 15 Monaten absolut problemlos», wie Bomio ausführt. «Die Kinder und Jugendlichen, welche die Schule besuchen, marschieren jeden Morgen in Begleitung von mehreren Erwachsenen von ihrem Wohnort rund 300 Meter bis zur Bahnstation Schafhausen, fahren mit dem Zug nach Hasle und setzen ihren Weg – immer noch in Begleitung – fort bis zur Schule Preis­egg auf dem Eichholz. Um 12 Uhr warten bereits wieder verschiedene Eltern auf die Schulkinder und nehmen sie mit heim.»

Fünf Vormittage pro Woche
Der diesbezügliche Unterricht findet fünfmal pro Woche in zwei Klassen am Vormittag statt. Je nach schulischer Vorbildung und eventuellen (minimalen) Vorkenntnissen der deutschen Sprache gehen in die untere Klasse Erst- bis Viert-/Fünftklässler, in die obere die anderen (Fünft-/Sechst- bis Neuntklässler). «Die Grenzen sind teilweise fliessend, da einige Kinder noch nie eine Schule besucht haben. Entsprechend finden sich Ältere in der unteren Schulklasse. Da das Hauptziel des Schulbesuchs darin besteht, dass die Kinder und Jugendlichen so schnell wie möglich Deutsch lernen, erfolgt der Unterricht in Deutsch. Auf dem Stundenplan steht auch Mathematik, Allgemeinbildung und Informationen über die Alltagssituationen in der Schweiz.» Man könnte es als «Alltagskunde» bezeichnen, die den Minderjährigen das Leben im Alltag verständlich machen und dessen Bewältigung erleichtern soll.


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