«Die göttliche Ordnung» - Vorpremiere mit der Regisseurin
06.03.2017 Aktuell, Politik, Bildung, Region, Burgdorf, Kultur, Jugend, Gesellschaft, Bildung / SchuleNora, eine junge Hausfrau und Mutter (gespielt von Marie Leuenberger), die mit ihrem Mann und den zwei schulpflichtigen Söhnen in einem beschaulichen Schweizer Dorf lebt, verspürt den Wunsch, wieder Teilzeit als Sekretärin in einem Reisebüro zu arbeiten. Ihr Mann (Max Simonischek), eben erst befördert worden, nimmt ihren Wunsch nicht ganz ernst und erwidert ihr schelmisch: «Nei, Nora, ohni mini Zuestimmig chasch das gar nid!» In ebendieser Zeit – es ist das Jahr 1971 – trifft Nora eher zufällig auf Aktivistinnen, die für das Frauenstimmrecht werben. Zunächst abgeschreckt von den lauten Feministinnen, beginnt die bisher angepasste und zurückhaltende Nora aufzumucken. – Grosser Applaus im Kino Krone nach dem Abspann von «Die göttliche Ordnung» vergangenen Freitagabend. Einige wischen sich dezent eine letzte Träne aus dem Gesicht, nicht, weil der Film dramatisch endet, nein, einfach der Gefühle wegen, die da hochgekommen sind: Erinnerungen an die eigenen Mütter und Grossmütter und die gesellschaftlichen Umwälzungen der 68er-Bewegung.
Zivilcourage
Petra Volpe, Drehbuchautorin und Regisseurin, Linda Harper, Kostüm, und Jean Cotter, Maske, stellten sich im Anschluss den Fragen von Raff Fluri, Filmemacher, Burgdorf. Fluri: «Petra, was möchtisch du de Lüt mit dim Fium mitgä?» Da es ein Film über Zivilcourage, Demokratie und Frauenrechte sei, hoffe sie, dadurch zu ermutigen, wieder vermehrt abstimmen zu gehen, sich über Gleichberechtigung Gedanken zu machen und Zivilcourage zu zeigen. Für ihn sei der Film leichtfüssig, sehr bewegend und intim, gab Fluri preis. «Hätte ihn auch ein Mann machen können?», wollte er von Volpe in Erfahrung bringen. Sie wisse es nicht, aber sicher wäre er ganz anders geworden. Viel Recherchearbeit im Vorfeld über die 70er-Jahre wurde nicht nur von ihr, sondern auch von Linda Harper geleistet. Cotter arbeitete ebenfalls bereits das fünfte Mal mit Volpe zusammen. Sie seien ein eingespieltes Team. Erst wenn Linda die Schauspieler/innen eingekleidet habe, folge seine Arbeit. Bereits drei Jahre vor Drehbeginn seien sie zusammengesessen und hätten sich Fotos über die 70er-Jahre angesehen, um so authentisch wie möglich zu sein. Private Fotoalben, Archivmaterial, Archivfilme, Hunderte, wenn nicht Tausende von Fotos seien miteinander geteilt worden.
Sexuelle und politische Befreiung
Das Original von «Giggerig» von Polo Hofer, das laut Volpe nicht Hofer selber komponiert, sondern geklaut hat, ertönt im Vorspann. Eigentlich hätte sie gerne Jimi Hendrix oder Voodoo Child ertönen lassen, aber das sei nicht bezahlbar gewesen. Der Tonfall und der Drive sowie der Kontrast zum Dorfleben im Film gefielen ihr an der gewählten Musik, gab Volpe bekannt. Sie habe bereits einige Schülervorführungen von «Die göttliche Ordnung» mit Teenagern hinter sich, liess sie auch wissen. Stets sei im Anschluss von den jungen Männern die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Orgasmus und Frauenstimmrecht gestellt worden. Die ganz Jungen hätten den Bezug zwischen sexueller und politischer Befreiung aber nicht ganz verstanden. «Auso, dir gsehts, dir chöit se aues frage», so Fluri augenzwinkernd an die Anwesenden.
Ab 9. März 2017 überall im Kino
Der Film spielt in Appenzell. «Ist es ein Racheakt, weil die Appenzell-Innerrhödler gezwungen werden mussten, das Frauenstimmrecht einzuführen?», wollte ein Zuschauer wissen. «Definitiv!», entgegnete Volpe. Dass das Frauenstimmrecht in der Schweiz erst 1971 eingeführt wurde, sei bereits beschämend genug. Aber dass die Appenzeller dann noch so nachgezogen seien, sei definitiv schlimm. Mit den Dreharbeiten habe sie ins Herz der konservativen Schweiz gehen wollen. Die Frauen von dort, die Statistinnen, die hätten sich damit einen inneren Auftrag erfüllt. – An den Solothurner Filmtagen 2017 war «Die göttliche Ordnung» Eröffnungsfilm gewesen. Die Zuschauer auch dort haben geklatscht, gelacht, geweint. Der Film wird in Kürze sogar in New York gezeigt. Volpe, die zur Hälfte dort lebt, ist gespannt, wie er aufgenommen wird. Aber seit dem Dreh ist er wegen Präsident Trump aktueller denn je. Zwei Tage nach dem Filmstart in Solothurn sind in Washington die Frauen wegen Trumps sexistischen und frauenfeindlichen Äusserungen auf die Strasse gegangen.
Barbara Schwarzwald