Umarmen, besetzen, beleben
12.12.2017 Aktuell, Politik, Vereine, Burgdorf, Kultur, Jugend, GesellschaftEs ist kalt geworden in den letzten Tagen und campieren an der Emme weniger angesagt als in heissen Sommerwochen. In Bern übernachten auch dieses Jahr einige Obdachlose im Freien; letzte Woche gibt die Interventionsgruppe Pinto die Gesamtzahl der Obdachlosen in Bern mit 21 an.
Hermetisch verschlossen
An der Hunyadigasse künden zwei farbenfrohe Transparente von der Ende November in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag stattgefundenen Hausbesetzung. Es erweist sich infolge hermetisch verschlossener Türen als etwas schwierig, mit den derzeit drei Hausbesetzern im Inneren Kontakt aufzunehmen. Schliesslich geben eine junge Frau und zwei gleichaltrige Männer, alle zwischen 20 und 25 Jahre alt, bereitwillig Auskunft über die Gründe des «Kollektiv Zundhöuzli» für die Hausbesetzung. Seither wohnen ohne Unterbruch sie selber oder andere Kollektivmitglieder in den Räumen, «die zugegebenermassen recht kalt sind». Wasser ist vorhanden, die Toiletten funktionieren. Weitere Energieträger sind nicht angeschlossen.
Auf Befragen erklären die drei, dass sie «bereit sind, für bezogenen Strom und Wasser aufzukommen; einfach die anfallenden Nebenkosten zu bezahlen. Wir haben versucht, mit dem Liegenschaftsbesitzer, Architekt Jörg Moser aus Ittigen, zu reden. «Wir sind nach Ittigen gefahren und wollten uns bei ihm vorstellen und über die Hausbesetzung reden». Er hat es abgelehnt, mit uns zu sprechen. Dann hat er uns seinen Anwalt vorbeigeschickt. Wir müssten mit Moser verhandeln, denn einiges sollte repariert werden wie undichte Wasserleitungen usw. Daneben wären wir durchaus bereit, gewisse Verbesserungen an der Infrastruktur vorzunehmen. Das Haus ist in teilweise desolatem Zustand und verlottert weiter.» Auch für diese Zeitung ist Moser trotz mehrmaliger Anfragen nicht erreichbar.
Information ist wichtig
Eines der ersten Plakate hängt am ersten Dezember-Wochenende im Liftbereich des Einkaufszentrums Neumarkt; allerdings nur kurze Zeit. Dann hängt eines im Eingangsbereich des Hauses neben dem Palace, aber auch das nur kurze Zeit. Jetzt flattern zwei grosse Transparente an der Fassade des besetzten Hauses, die an den Fenstern ausser Reichweite angebracht sind. «Mit den ersten Mitteilungen wollten wir die Nachbarn darauf hinweisen, dass wir das Haus besetzt haben und was unsere Motivation ist», erläutert die junge Frau freundlich. «Informieren der Nachbarn und der Öffentlichkeit ist durchaus wichtig.»
Im Flugblatt führen sie an, dass ihr Kollektiv «aus einer Gruppe junger Menschen besteht auf der Suche nach Raum und Platz, um sich selber verwirklichen zu können, weshalb der leer stehende Teil dieses Hauses besetzt worden ist. Anstatt das Haus einfach verrotten zu lassen und auf dessen Abriss zu warten, soll ihm neues Leben eingehaucht werden».
Vorgesehen ist, in der unteren Etage ein kleines Café (Austausch, Zusammensein, Diskussionen), einen Infoladen und später eine Bibliothek einzurichten.
Rein und raus
Angesprochen auf die kürzliche und sehr kurze Hausbesetzung des Hotels Carrera an der Oberburgstrasse winken die jungen Leute ab: «Das hat nichts mit uns zu tun, ausser dass die Motivation dieser Besetzer die gleiche ist wie die unsrige. Wir kennen zwar einige dieser Leute, waren aber nicht vor Ort.» Sie bestätigen, dass die Carrera-Hausbesetzer «ziemlich schnell von dannen gezogen sind, als der Liegenschaftsbesitzer drohte, sie durch die Broncos hinauswerfen zu lassen».
Andererseits schwebt den «Zundhöuzli»-Mitgliedern die Veranstaltung von Konzerten an der Hunyadigasse vor, obwohl in diesem Haus wirklich kein Saal zu finden ist. Gegenüber einer Drittperson sagt einer der Besetzer: «Der Saal im Carrera wäre für uns wirklich ideal gewesen.» Sehr fremd können sich die zwei Gruppierungen wohl nicht sein. Dazu kommt, dass sie «über zehn Jahre lang leer stehende Wohnungen in Burgdorf» inakzeptabel finden: «Wir wollen diese zwei so lange leer stehenden 3½-Zimmer-Wohnungen beleben und auf die Gentrifizierung in Burgdorf hinweisen.»
Günstiger Wohnraum verschwindet
«Es werden in Burgdorf in enormem Tempo neue Wohnungen gebaut, die alle modernsten Anforderungen entsprechen, viel Komfort aufweisen und für viele nicht mehr bezahlbar sind. Der günstige Wohnraum verschwindet, alte Häuser werden durch Luxuswohnungen ersetzt», fährt die Frau fort. «Gegen diese Gentrifizierung macht sich Opposition bemerkbar. Ein Beispiel ist die Überbauung am Uferweg, wo mehrere Mehrfamilienhäuser mit günstigen kleinen Wohnungen einer ‹zeitgemässen Rendite-Überbauung› einer Pensionskasse weichen werden.»
Als Gentrifizierung bezeichnet man den sozioökonomischen Strukturwandel bestimmter Viertel und Orte im Sinn einer Attraktivitätssteigerung (durch qualitativ hochstehenden Wohnraum, angepasstes Kultur- und Freizeitangebot usw.), was entsprechende Neuzuzüger anlockt. Meist ist das verbunden mit dem Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen; die weniger Zahlungskräftigen wandern ab.
Alle drei «Zundhöuzli»-Mitglieder und auch die anderen ihrer Gruppe «stören sich daran, dass in diesem Haus mitten im Zentrum von Burgdorf seit Langem Wohnraum brach liegt, der einigen sicher dienen würde. Jetzt verfällt alles, dabei könnte man mit verhältnismässigem Aufwand die Wohnungen herrichten». Alle sind der Meinung, dass «keine Neubauten entstehen sollten, solange solche Objekte nicht bewohnt werden».
Auf die Frage, wie sie eigentlich von den leeren Wohnungen erfahren hätten, heisst es: «So was spricht sich in gewissen Kreisen rum.» Einer der jungen Männer erläutert, dass «man im Internet durchaus recherchieren kann, welche seit Langem leer stehenden Liegenschaften sich für eine Hausbesetzung eignen». Kontakt kann mit den Hausbesetzern über einen vor dem Haus platzierten Briefkasten aufgenommen werden.
Gerti Binz