Station für Alterspsychiatrie vor Eröffnung

  13.08.2019 Burgdorf, Foto, Kultur

«Ich bin einfach zu alt – Depression bei älteren Menschen.» Unter diesem Titel findet übermorgen Donnerstag, 15. August 2019, ab 19.00 Uhr, im Spital Emmental in Burgdorf der erste Publikumsvortrag nach den Sommerferien statt. Referent ist Dr. med. Markus Guzek, Leitender Arzt Alterspsychiatrie.

«D’REGION»: Wie werden Sie Ihren Publikumsvortrag gestalten?
Dr. Guzek: Es geht darum, in einfachen Sätzen über eine der häufigsten Volkskrankheiten aufzuklären und damit auch zur Enttabuisierung dieser an sich gut behandelbaren Störung beizutragen. Ich werde erklären, was unter Depression zu verstehen ist und wie man die Krankheit Depression von normalen Verstimmungszuständen unterscheiden kann. Meine Erklärungen sollen Symptome und Beschwerden bei älteren Menschen beleuchten, weil hier die Depression sehr häufig ist, aber oft übersehen wird. Ich werde zudem über die gängigsten Behandlungen und ihre Erfolgsaussichten sprechen.

«D’REGION»: Ab September bietet das Spital Emmental eine Station für Alterspsychiatrie für Menschen im Pensionsalter an – mit Ihnen als Leitender Arzt. Was können Patienten und ihre Angehörigen vom neuen Angebot erwarten?
Dr. Guzek: Wir freuen uns, durch die Eröffnung der Station das alters­psychiatrische Versorgungsangebot im Emmental zu vervollständigen. Die Räumlichkeiten wurden umgebaut und entsprechen mit ihrem offenen, hellen Konzept sowohl den Erwartungen an eine moderne psychiatrische Station als auch unseren Vorstellungen, wie eine gute psychiatrische Station aufgebaut sein sollte. Unsere Vorbereitungen sind – abgesehen von Details – abgeschlossen. Wir werden im September pünktlich für die Aufnahme von Patienten bereit sein. Die Station soll unseren Patienten all das bieten, was nötig ist, wenn eine ambulante Behandlung für eine gewisse Zeit nicht aus­reicht. Die Zweibettzimmer der Station bieten eine gute Bequemlichkeit und die Möglichkeit sich zurückzuziehen, wenn man dies wünscht. Jeder unserer Patienten erhält bereits zu Beginn der Behandlung einen Wochenplan, dem er seine persönlich zusammengestellten Therapien entnehmen kann. Hier ist die Mitarbeit von Angehörigen oft besonders hilfreich, sodass wir versuchen werden, diese immer in die Planung des Aufenthaltes einzubeziehen. Besonders wichtig ist auch eine rechtzeitige und gute Planung der Behandlung nach einem Austritt. Hier braucht es eine gute Netzwerkarbeit, damit Anliegen aller Beteiligten – in erster Linie der Patienten, aber auch der Angehörigen und der nachbehandelnden Ärzte – frühzeitig für die Organisation der Nachbehandlung berücksichtigt werden können. Während des Aufenthaltes geht es vor allem darum, die persönlichen Bedingungen der Störung – also beispielsweise der Depression – zu erfassen, sodass eine gute und wirksame Behandlung möglich wird. Die Depression erwähne ich  nur als Beispiel. Die Station steht für die Behandlung aller Probleme älterer Menschen zur Verfügung, solange eine Behandlung auf einer offenen Station möglich ist.

«D’REGION»: Erfolgt die Zuweisung zur neuen Station primär durch Haus­ärzte?
Dr. Guzek: Die Hausärzte sind hier unsere engsten Partner – aber auch Auftraggeber. Gleiches gilt für die niedergelassenen Psychiater und Psychotherapeuten. Unsere Bemühungen, ein stationäres psychiatrisches Angebot für ältere Menschen aufzubauen, begannen damit, dass von diversen Seiten der Wunsch nach einer regionalen, wohnortnahen Behandlungsoption an uns herangetragen wurde. Nur wenn die Behandlung wohnortnah erfolgt, ist es eingeschränkt mobilen Angehörigen möglich, zu Besuch zu kommen. Dieser fortlaufende Kontakt zur eigenen Familie beziehungsweise dem Umfeld ist in der modernen Psychiatrie neben guter Diagnostik und Therapie von zentraler Bedeutung. Wir sind bemüht, auf unser Angebot hinzuweisen. Dies erfolgt auf unterschiedliche Art – so mit dem Eröffnungssymposium am 15. August 2019. Dieses Fortbildungsangebot für Hausärzte, niedergelassene Psychiater und andere interessierte Kreise widmet sich der medizinisch-psychiatrischen Versorgung älterer Menschen aus somatischer und psychiatrischer Sicht. In der Pause können die Räumlichkeiten besichtigt werden. Wir informieren auch, wie wir unsere Arbeit planen. Die Zusammenarbeit mit Fachleuten und die sorgfältige Betrachtung sowohl psychischer als auch körperlicher Faktoren wird das Konzept der Station prägen.

«D’REGION»: Gibt es auch Zuweisungen durch Fachärzte der Psychiatrie und Psychologie?
Dr. Guzek: Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen ist besonders eng. Sie werden neben den Hausärzten unsere wichtigsten Zuweiser sein – vor allem aber Partner bei der Organisation der Nachbehandlung, falls eine solche vor der Hospitalisation noch nicht bestand. Frühe Diagnostik ist wichtig. In der Psychiatrie und der Medizin überhaupt gilt der Grundsatz: Je schneller die Problematik beziehungsweise die Symptome korrekt verstanden werden, umso schneller kann eine Therapie eingeleitet werden. Es geht auch darum, möglichst früh die richtige Diagnose zu stellen. Dies ist in der Anfangsphase vieler psychischer Störungen oft schwierig, weil die Beschwerden sehr unspezifisch sein können. Der typische Charakter bestimmter Störungen zeigt sich erst später. Eine stationäre psychiatrische Diagnostik bietet durch den engen und zeitlich umfassenden Kontakt zwischen Patienten, der Pflege, Psychologen und Ärzten hierzu optimale Bedingungen.

«D’REGION»: Wird das alters­psychiatrische Ambulatorium zur Abklärung und Behandlung psychisch erkrankter Menschen an
beiden Standorten des Spitals Emmental, in Burgdorf und Langnau, angeboten?  

Dr. Guzek: Das ist bereits seit 2015 der Fall. Die Organisation ist eine Herausforderung, denn unser ganzes Team muss – wenn nötig – Leistungen an beiden Standorten erbringen können, oft auch daheim bei Patienten. Es ist wichtig, zu jedem Zeitpunkt an den Standorten ausreichend Kapazitäten, jedoch keine Überkapazitäten zu haben. In Burgdorf bieten wir durchgehend das Spektrum unserer Leistungen an. Die gleichen Leistungen können auch an zwei Tagen pro Woche im Spital in Langnau in Anspruch genommen werden. Eine Vergrösserung dieses Angebotes ist bei Bedarf jederzeit möglich.

«D’REGION»: Nimmt die Anzahl der depressiven Rentnerinnen und Rentner eher ab oder zu?
Dr. Guzek: Diese Frage kann nur schwer beantwortet werden. Viele Aspekte der Depression im Alter hielt man früher für unvermeidliche Begleit­erscheinungen des Alters. Man muss berücksichtigen, dass früher deutlich weniger Frauen in Rente gingen. Das Risiko einer Depression nimmt nach der Pensionierung sehr deutlich zu – besonders bei Männern mit körperlichen Erkrankungen. Dennoch finden wir Depressionen bei Frauen etwas häufiger als bei Männern. Ein Grund für die Zunahme psychischer Störungen – vor allem nach der Pensionierung – liegt am sehr hohen Stellenwert der Arbeit in unserer Gesellschaft. Arbeit ist gut fürs Selbstwertgefühl, fürs Gefühl, gebraucht zu werden und bietet eine Tagesstruktur. Mit der Pensionierung ist diese weg. Deshalb gilt es, alternative Strategien zu entwickeln – vorzugsweise im Gespräch mit Therapeuten. Strategien müssen der individuellen Bedürfnislage der Patienten entsprechen.

«D’REGION»: Oft sind es neben den depressiven Menschen primär die Angehörigen, die zuweilen am Ende ihrer Kräfte sind. Wie können Sie ihnen in der neuen Station für Alters­psychiatrie helfen?
Dr. Guzek: Es ist für Familien oft sehr schwierig, die Depressivität ihrer Angehörigen auszuhalten. Instinktiv versucht man zu trösten und aufzuheitern. Während einer Depression ist dies kaum erfolgreich. Auch ist es schwer nachzuvollziehen, weshalb ein Angehöriger depressiv ist, obwohl er eigentlich Grund zum Geniessen haben sollte – beispielsweise an einem Geburtstagsfest. Weil vor allem ältere, depressive Patienten oft erst sehr spät fachliche Hilfe in Anspruch nehmen, kann eine solche Belastung für Angehörige sehr lange bestehen. Diese wiederum belastet depressive Personen zusätzlich. Sie machen sich Vorwürfe. Eine stationäre Behandlung kann in solchen Fällen für beide Seiten eine erholsame Auszeit bedeuten. Entlas­tend ist oft, dass die Angehörigen wissen, dass der Patient professionell betreut wird. Der frühzeitige Einbezug von Angehörigen bei Eintritt auf die Station – aber auch vor dem geplanten Austritt – ist wichtig und bietet Raum, diese persönlichen Belastungen zu erfassen und wenn möglich zu vermindern oder zu beseitigen.

«D’REGION»: Sie bieten auch Hilfe bei Demenzerkrankungen an. Wie können Sie diesen Patienten helfen?
Dr. Guzek: Hier gelten die gleichen Prinzipien wie für alle anderen Störungen. In der Anfangsphase ist es gelegentlich selbst für Fachleute schwierig, eine beginnende Demenz von einer Depression abzugrenzen – und umgekehrt. Die ganztägige Begleitung der betroffenen Personen ist daher von hohem diagnostischem Wert. Bei späteren Formen der Demenz geht es oft um die Behandlung von Komplikationen – häufig Verhaltensstörungen. Diese Behandlung können wir auf einer offenen Station inmitten eines somatischen Spitals in vielen Fällen zwar anbieten, wichtig ist jedoch eine Klärung des individuellen Bedarfs im Vorfeld der Hospitalisation. Für sehr fortgeschrittene Fälle gibt es besser geeignete Angebote. In jedem Fall kann der psychiatrische Dienst hier bei der Wahl eines geeigneten Angebotes helfen.
«D’REGION»: Gemäss Schätzungen werden im Jahr 2040 schweizweit rund 300 000 Menschen mit einer Demenz leben. Jeder Neunte und ein Drittel der über 90-Jährigen wird daran erkranken. Wie erleben Sie Demenzkranke – eher aggressiv oder liebenswürdig?
Dr. Guzek: Diese Frage lässt sich aus fachlich-psychiatrischer Sicht nicht beantworten. Es gibt auf der Welt liebenswürdige und weniger liebenswürdige Personen. Aggressivität kommt als Komplikation bei Demenzen durchaus vor. In den allermeisten Fällen ist sie eine Folge der durch die Demenz gestörten Kommunikation mit der Umgebung. Die betroffene Person ist nicht mehr in der Lage, Bedürfnisse oder Beeinträchtigungen in einer für die Umgebung verständlichen Art und Weise zu kommunizieren. Dies frustriert und trägt oft zu Aggressivität bei. In anderen Fällen kann es sein, dass eine betroffene Person bestimmte Situationen verkennt oder falsch interpretiert, Angst bekommt und sich wehrt. Es ist also wichtig, den jeweiligen Grund zu identifizieren, um eine Lösung herbeizuführen.

«D’REGION»: Sind sich Demenzkranke in der Regel im Klaren, dass ihrer Vergesslichkeit eine Demenzerkrankung zugrunde liegt – oder wollen sie dies nicht wahrhaben?
Dr. Guzek: Es gibt beides. Für diejenigen, die sich ihrer Probleme bewusst sind, ist die Situation insgesamt etwas leichter, weil sie unterstützende Massnahmen oder Vorschläge zur Kompensation von Defiziten leichter annehmen können. Es gibt jedoch Betroffene, bei denen der Verlust der differenzierten, kritischen Selbsteinschätzung bereits ein sehr frühes Symptom der Demenz ist. Dies bedeutet nicht, dass sie die Schwierigkeiten nicht wahrhaben wollen. Es bedeutet, dass sie nicht mehr in der Lage sind, diese wahrzunehmen. Dies kann durchaus ungünstige Folgen haben – vor allem für Angehörige, die helfen wollen, Defizite auszugleichen.

«D’REGION»: Werden Sie zuweilen eine zwischenzeitliche Trennung von Patienten und Angehörigen anordnen?
Dr. Guzek: Nein, das werde ich nicht tun. Glücklicherweise gehören derartige Interventionen in der Psychiatrie inzwischen in die Geschichtsbücher. Selbstverständlich gibt es auf einer Station mit laufenden Therapien – wie
auf jeder anderen Station im Spital – empfohlene Besuchszeiten. Die Häufigkeit der Kontakte zwischen Patienten und Angehörigen ist aber Privatsache.

Zur Person
Dr. med. Markus Guzek ist Leitender Arzt der Alterspsychiatrie am Spital Emmental und hier seit August 2015 tätig. Das Spital bietet ab September 2019 eine Station für Alterspsychiatrie für Menschen im Pensionsalter an – mit Dr. Markus Guzek als leitender Arzt. Er hat den Fähigkeitsausweis Psychiatrie sowie Psychotherapie und ist spezialisiert auf Alterspsychiatrie und Psychotherapie, Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie sowie psychosomatischer und psychosozialer Medizin. Zudem ist er Vertrauensarzt und zertifizierter medizinischer Gutachter Swiss Insurance Medicine.

Hans Mathys

 


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