Eine wohlgesittete Aussprache, bei der sich Abgründe auftun

  03.03.2020 Aktuell, Fraubrunnen, Kultur, Gesellschaft, Region

Eigentlich wollen sich die Eltern zweier Jungen, die sich geprügelt haben, nur aussprechen. Da man unter zivilisierten Menschen sachlich miteinander diskutieren kann, ist das kein Problem – auch wenn der eine Junge dem anderen mit einem Stock zwei Schneidezähne ausgeschlagen hat. Doch schnell reisst die gesittete Oberfläche auf, mit Höflichkeit überdeckte Sticheleien verlieren den Puderzucker – darunter tut sich der Blick auf (zwischen-)menschliche Abgründe auf.

Stimmige berndeutsche Mundart­fassung
Mit «Gott des Gemetzels» von Yasmina Reza hat das Theater Schlosskeller Fraubrunnen wiederum ein ganz starkes Stück ausgewählt, das das Publikum mit schnellen, pointierten Dialogen und komischen Momenten aller Art immer wieder zum Lachen bringt. Ein Stück aber auch, bei dem sich die Zuschauer nie ganz sicher sein können, ob das Lachen wirklich aus Erheiterung oder nicht doch aus Scham entstanden ist, weil die gespiel­ten Situationen doch allzu bekannt vorkommen.
Marlise Oberli-Schoch hat das Stück in ihrer stimmigen berndeutschen Übersetzung in Zusammenarbeit mit Regisseur Rolf Schoch klug gekürzt und damit ermöglicht, dass das Stück mit seinen 80 Minuten Spielzeit problemlos ohne Pause aufgeführt werden kann.

Beeindruckende Rollenporträts
Stark ist aber nicht nur das Stück, stark waren auch die vier Schauspielenden, die alle vom ersten Augenblick an bis zum Ende der Aufführung mit einer absolut grossartigen Leistung überzeugten: Sandra Wertli als afrikabegeisterte, über alles anständig reden könnende Schriftstellerin Veronique Houillé, die nicht nur einen ausgezeichneten Clafoutis zubereitet, sondern auch einen bemerkenswert guten Zug hat, wenn es um Alkohol geht. Simon Heiniger als ihr zivilisiert netter Ehemann Michel Houillé, der den töchterlichen Hamster auf dem Trottoir ausgesetzt hat, als die Nerven wegen dieses nachtaktiven Biests blank lagen. Rebekka Rohrbach als gesittet diskutierende Annette Reille – gesittet aber nur solange sie nicht durch körperliche Unannehmlichkeiten aus der Fassung gebracht wird. Und schliesslich Hans Peter Blaser als gefragter, ständig erreichbarer Anwalt Alain Reille, dem das Handy näher als der eigene Sohn zu sein scheint.

Absolut empfehlenswert!
Zum Erfolg des Stücks trugen aber auch das detailreiche Bühnenbild, das der Vorstellung eines gutbürgerlich-intellektuellen Haushalts entsprach, und die bis ins Detail durchdachten, zu den Rollen passenden Kostüme von Eveline Rinaldi, die den Charakter und die Vorlieben der verschiedenen Figuren aufs Beste untermalten, bei.
Fazit: eine absolut gelungene Inszenierung mit grossartig gespielten, starken Rollenporträts, die einen gleichzeitig zum Lachen und Nachdenklichwerden anregt. Und ein absolutes Muss für Theaterfans, die gesellschaftskritische Komödien mit Tempo und Schneid lieben.

Andrea Flückiger


Weitere Vorstellungen:
4., 6., 8., 11., 13., 15., 18., 20., 21., 22., 25., 27. und 28. März 2020. Mittwoch, Freitag und Samstag jeweils 20.15 Uhr; Sonntag 17.00 Uhr.
Vorverkauf: www.schlosskellerfraubrunnen.ch


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