Zuversichtlich in der Krise

| Mi, 20. Mai. 2020

HASLE-RÜEGSAU/UTZENSTORF: «D’REGION» unterhielt sich mit zwei Boutique-Besitzerinnen über die Wiedereröffnung ihrer Geschäfte. zvg

Die täglich neuen Interpretationen über die Coronakrise sind uns hinlänglich bekannt. Man staunt über die unheimliche Anzahl von Experten, welche ihre manchmal fragwürdigen Beiträge zum Thema kundtun. Oft werden dabei viele Bruchstücke von anderen Allwissenden zusammengemixt, um dann als eigene geniale Eingebung den schon genug verwirrten Bürgern darzulegen. Kein Zweifel, dieses Virus lässt viele eingefahrenen und teils lieb gewonnenen Gewohnheiten buchstäblich zerbröseln. Neben all dem Gerede,  Diskutieren und Gezänke ist Handeln angesagt. Schnelles Reagieren auf ungewohnte und überraschende Situationen fällt uns wohlstandsverwöhnten Menschen meist ziemlich schwer. Mit einer Art von Stichprobe wollte die «D’REGION» herausfinden, wie zwei kleinere Unternehmen auf die vielfältigen Herausforderungen reagieren und wie sie die ersten Stunden der Wiedereröffnung ihrer Geschäfte erlebt haben.
Ein spontaner Besuch im mittelländischen Utzenstorf führte zum Modegeschäft «Jordi». Adrett und modisch gekleidete Schaufensterpuppen erwecken die schon fast vergessene Lust auf ein neues «Outfit». Beim Ladeneingang sind die nun schon vertrauten Massnahmen zur gesundheitlichen Sicherheit installiert, geklebt und aufgestellt worden. Im Innern des hellen und modernen Geschäftes hört man fröhliches Lachen. Wirklich, Martina Minder und ihr treues Verkaufsteam machen keinesfalls den Eindruck einer resignierten Gruppe. Zusammenfassend meint sie zur Lage: «Klar war es am Anfang ein Albtraum. Eine Schliessung während einer der besten Umsatzzeiten ist schon eine schockierende Tatsache! Zu meinem Glück habe ich mein Geschäft vor Kurzem in eine GmbH umgewandelt. Somit bin ich im Angestelltenstatus und konnte für mich wie für meine Angestellten Kurzarbeit beantragen. Die guten Beziehungen zu den Lieferanten zahlten sich aus. Es konnten immer für beide Seiten akzeptable Lösungen gefunden werden. Eigentlich hatten wir montags immer geschlossen. Aber in diesem Ausnahmezustand starteten wir schon zum Wochenbeginn. Wir sind positiv überrascht. Schon fünf Minuten vor Ladenöffnung standen Kunden vor der Türe! Sie haben uns nicht vergessen!»
Tatsächlich war das Geschäft Mode Jordi nicht leer. Und man spürte es gleich. Wegen den angebotenen Rabatten ist die treue Kundschaft nicht gekommen. Das sorgfältig ausgewählte Sortiment von Kleidern und Accessoires meist europäischer Marken kommt gut an. An der Kasse wird sogar Trinkgeld für die Kaffeekasse gespendet.
Gleichentags nach einer Fahrt ins Emmental trifft die «D’REGION» in Hasle-Rüegsau auf ein weiteres erfreuliches Beispiel. Gleich beim oberen Eingang des Migros-Marktes blickt man auf farblich und thematisch gekonnt arrangierte Kleidungstücke und passende Zubehöre. Hier findet man ein kleines, aber gepflegtes Modegeschäft. Auch da trifft man auf die ersten Kunden, welche auf Wunsch mit dem nötigen Abstand beraten werden.
Marianne Jörg, Besitzerin des Modegeschäfts Fatto Matto erklärt ihre Situation: «Die meisten Kunden sind anfangs meist Frauen. Sie wollen mich in erster Linie unterstützen und mit ihrem Besuch ihre Solidarität kundtun. Die Männer sind da erfahrungsgemäss zurückhaltender. Aber dies wird sich sicher normalisieren. Nach acht Wochen Schliessung sind die Kunden aber auch neugierig auf das diesjährige Modesortiment. Bei der Auswahl der Produkte achte ich wenn möglich auf europäische Herkunft oder zumindest auf eine nachhaltige Herstellung. Das scheint meine Kundschaft zunehmend zu schätzen. Bei den notwendigen Schutzmassnahmen setze ich auf den gesunden Menschenverstand. Die Kleider sollte man bei uns noch berühren und erfühlen können. Wir sind ja schliesslich kein Onlinehandel. Ich konnte die einschneidenden Massnahmen des Bundes voll akzeptieren. Die Gesundheit hat schliesslich Vorrang. Mit meinen Angestellten sind wir zu dritt, ich bin aber meistens auch selber im Laden. Ein gesundheitlicher Ausfall käme mir ja auch teuer zu stehen. Dank den Miet- und Nebenkostenreduktionen seitens der Migros wurde der finanzielle Druck ein wenig abgefedert. Vorsichtshalber habe ich den KMU-Kredit angenommen, weil der Verlauf von Einschränkungen kaum vorhersehbar ist. Noch bin ich nicht in Panikstimmung, obschon ich komplette Umsatzausfälle zu verschmerzen habe. Auch bei mir waren einige Lieferanten kulant und erliessen doch einige Prozente des Ankaufpreises bei der neuen Ware. Ich habe schon das gute Gefühl, dass man von vielen Seiten Unterstützung bekommt, auch von der treuen Kundschaft. Im Moment will ich mich nicht beklagen und sehe immer noch positiv in die Zukunft. Aber eine genaue Prognose über die weitere Entwicklung dieses völlig unerwarteten Zustandes kann wirklich niemand seriös machen.»
Also auch hier in Hasle-Rüegsau versinkt man nicht in trübselige Laune. Haushälterisches Planen in guten Zeiten scheint eben doch keine altmodische Tugend zu sein. Verhilft es doch, in Krisenzeiten besser über die Runden zu kommen. Fast die meisten Haushalte, Geschäfte und Gemeinden werden die Auswirkungen dieser Krise in vielfältiger Weise zu tragen haben. Ein (vielleicht schon lange nötiges) Innehalten und vor allem ein Zusammenhalten könnte uns gestärkt aus dieser Situation bringen.

Henry Oehrli

 

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