Zum Jubiläum einfach nur noch «Friedau»

  01.02.2022 Aktuell, Foto, Jugend, Gesellschaft

100 Jahre sind eine lange Zeit. So lange gibt es bereits die Friedau in Koppigen. Im Jahr 1922 als ausschliessliche Knabenerziehungsanstalt gegründet, wurde der Ort später zum «Kinderheim Friedau». Nach zehn Dekaden, in denen sich vieles geändert hat, nennt sich der Ort, der Kindern und Familien in schwierigen Lebenssituationen Hilfe und Obhut bietet, künftig nur noch «Friedau». Der Fokus liegt dabei auf dem Kinder- und Familienwohl.

Der Begriff des Kinderheims
Es gibt zwei Aspekte, welche zur Namensänderung und dem Weglassen des Begriffs «Kinderheim» geführt haben, halten Stiftungsratsmitglied Stéphanie Gerber und Jörg Lüthy, Mitglied der Geschäftsleitung, fest.
Zum einen wurde der Name dem Angebot, welches die Friedau anbietet, schlicht nicht mehr gerecht. Die Friedau ist längst nicht mehr ein ausschliessliches Kinderheim. Zwar bietet der Ort in Koppigen nach wie vor mittels der Kinder- und Jugendwohn­gruppe Platz für zehn Kinder und Jugendliche, welche stationär oder teilsstationär betreut werden. Doch hinzu kommen verschiedene weitere Angebote, welche die Friedau vielseitiger machen. Nebst den Kinder- und Jugendwohngruppen bietet die Friedau mit dem sogenannten «Eltern-Kind-Wohnen» Unterstützung für Familien betreffend Erziehungsaufgaben, Alltagsproblemen, Konflikt- und Krisensituationen sowie Kontakt mit Ämtern und Institutionen. «Wir können mittlerweile ein viel grösseres Spektrum an Hilfe- und Unterstützungsleistungen anbieten», hält Gerber fest. «Was vor 14 Jahren in einem sehr kleinen Rahmen anfing, wurde mit der Zeit stets grösser», ergänzt Lüthy betreffend dem «Eltern-Kind-Wohnen». Heute bietet die Friedau in diesem Modell Platz für sechs Familiensys­teme, welche begleitet in der Friedau wohnen können. Dazu kommt die Möglichkeit, zwei weitere Familien stationär zu betreuen, welche weniger Betreuungsleistung seitens der Stiftung erhalten.
Zum andern ist der Begriff des «Kinderheims» nicht mehr wirklich zeitgerecht und gewissermassen etwas negativ konnotiert. Was in Zusammenhang mit der Geschichte der Sozialpädagogik und Kinderheimen an sich steht. In 100 Jahren hat sich vieles verändert. Gab es in der Vergangenheit doch bedauerlicherweise oftmals Fälle, in denen versucht wurde, Kinder in geltende Schemen zu pressen, sie aufgrund von Herkunft oder Äusserem als liederlich abstempeln und letztlich einfach in Anstalten versorgen wollte. Doch dies ist zum Glück Vergangenheit. «Kinder sollen nicht wie früher, wie beispielsweise die traurigen Schicksale von Verdingkindern zeigen, versorgt werden. Heute ist das Kindswohl im Fokus. Ihre Entwicklung und Integration soll gefördert werden», sagt Lüthy, welcher Co-Leiter des Bereichs «Eltern-Kind-Wohnen» ist. Heutzutage würden betroffene Personen viel mehr in den ganzen Prozess miteinbezogen werden. Die Ausrichtung und das Leitbild der Friedau diesbezüglich zu unterstreichen spielte auch beim neuen Logo eine wichtige Rolle. Das hüpfende «i» soll einen Menschen mit Kopf und Körper darstellen und symbolisiert den Mut und den Neuanfang. Der Boden unterhalb des Buchstabens steht für Sicherheit und Kraft und fungiert zusätzlich als Sprungbrett für den Sprung zurück in die Selbstständigkeit.

Vielseitig und vielfältig
Die Friedau begleitet Kinder, Jugendliche und Eltern individuell und bietet diese Unterstützung. Mit der Namens­änderung und der Logoanpassung soll dem vielseitigen und vielfältigen Angebot der Stiftung Friedau Rechnung getragen werden. Die Gesellschaft sei beim Angebot auch immer von zentraler Bedeutung. So bietet die Friedau seit nunmehr zwei Jahren auch ambulante Unterstützungsleitungen an. Dieses Angebot beinhaltet verschiedene Dienstleistungen, mitunter sozialpädagogische Familienbegleitungen, und richtet sich nach dem individuellen Bedarf von Familien und Behörden. Es komplettiert die grosse Bandbreite an Angeboten der Friedau, bestehend aus der Kinder- und Jugendwohngruppe und dem  «Eltern-Kind-Wohnen». «Es gilt für uns als Stiftung letztlich, dass wir unser Angebot der Nachfrage entsprechend anpassen. Die Entwicklung der Gesellschaft gilt es dabei sowohl in kurz- wie auch langfristiger Hinsicht zu beachten», stellt Gerber, welche nebst ihrer Tätigkeit im Stiftungsrat der Friedau als Lehrerin tätig ist, fest. Die Vielseitigkeit der Friedau ist dabei Ergebnis und Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung gleichzeitig. Einerseits erforderte sie ein vielfältigeres Angebot, andererseits kann sie dadurch entstehende Thematiken und Fragen beantworten. So lässt sich auch vieles hinsichtlich der Friedau nicht pauschal beantworten. Der Tagesablauf einer Familie im «Eltern-Kind-Wohnen»-Modell beispielsweise hänge von vielen verschiedenen Faktoren ab, so Lüthy. Dabei werde dieser individuell mit den Eltern festgelegt und richte sich nach jeweiligen Bedürfnissen, Kompetenzen und Ressourcen, meint er weiter. Die Dauer, wie lange ein Kind in der Friedau verbringt, kann ebenfalls variieren. «Es kann sein, dass ein Kind nur wenige Monate bei uns ist, aber auch, dass durch unser Angebot für Kinder und Jugendliche jemand mehrere Jahre bei uns verbringt. Durch die Langfristigkeit erfährt eine Person aber auch weniger Wechsel und es kann gegenseitiges Vertrauen entstehen», sagt Gerber. Bei Familien hingegen sei natürlich nicht geplant, dass sie auf ewig hier sind, sondern dass Probleme und Konflikte gelöst werden können und die Selbstständigkeit zurückerlangt werden kann. Auf dem Weg zur Selbstständigkeit unterstützen und beraten die ambulanten Dienste der Friedau Familien, welche bereits in einer eigenen Wohnung leben oder den Schritt vom stationären Wohnen in eine eigene Wohnung gemacht haben. Das ambulante Angebot der Friedau stellt somit mitunter ein wichtiges Bindeglied im Prozess vom stationären Wohnen zur Eigenständigkeit dar. «Denn wo ein Wille ist, ist auch stets ein Entwicklungsprozess möglich», ergänzt Lüthy überzeugt. In der Friedau folgt man dabei der Philosophie, das Positive hervorzuheben und zu betrachten.  «Wir setzen den Fokus lieber auf das, was gut gelingt, anstatt darauf, was weniger gut klappt. Gerät ein Prozess ins Stocken oder verhärten sich die Fronten, suchen wir lieber im Positiven. Dies kann unglaublich viel neue Energien freisetzen», merkt Lüthy an.

Vorurteile und Vorfreude
Die Platzierung von Kindern und Jugendlichen in der Friedau erfolge jeweils, weil die Behörden auf eine gewisse Situation aufmerksam wurden, erklärt Lüthy. Dementsprechend sei die Platzierung ein behördlicher Auftrag, welcher zwar an gewisse Vorgaben geknüpft sei, jedoch dennoch eine grosse Anzahl an Spielraum und Möglichkeiten bei der Gestaltung einer solchen biete. «Eine Kindsplatzierung ist auch viel weniger endgültig, als das vielleicht vor 30 Jahren noch der Fall war», ist sich Gerber sicher. Dennoch begegnen ­Bewohnerinnen und Bewohner der Friedau immer wieder gewissen ­Vorurteilen von Aussenstehenden. «Es gibt viele Leute, welche die Kinder und Jugendlichen per se als arm ansehen oder meinen, sie müssen am Hungertuch nagen und ihnen deshalb aus Mitleid Geschenke machen wollen», erzählt Lüthy. Auch wenn diese Reaktion der Leute sehr freundlich sei, hält Lüthy fest, dass die Kinder stark und nicht arm seien. «Die Kinder und Jugendlichen befinden sich in einer jeweils herausfordernden und schwierigen Situation, dies ist keine Frage. Es geht ihnen aber gut», so Lüthy. Eine grosse Herausforderung für die Friedau selbst stellte die Coronapandemie in den vergangenen beiden Jahren dar. «Es galt dabei gerade betreffend Isolation und Quarantäne, Familien und Kinder, welche schon in vorbelasteten Situationen steckten, nicht zu überlas­ten. Das Verhältnis zwischen Schutz und Sicherheit war dabei jeweils ein schmaler Grat», so die beiden. Auch wenn die Pandemie nicht vorbei ist, ist man in der Friedau zuversichtlich, den 100. Geburtstag dennoch gebührend feiern zu können. Für Freitag und Samstag, 26. und 27. August 2022, ist ein Jubiläumsfest geplant. Diese Feier soll genutzt werden, um der Region ein neues Gesicht von der Friedau zeigen zu können. «Wir möchten das veraltete Bild von Kinderheimen revidieren und zeigen, wie wir unterwegs sind und was wir machen», so Gerber. «Dazu sind solche Feste auch immer eine Möglichkeit, Brücken zu schlagen», ergänzt Lüthy abschliessend. Wessen Wichtigkeit sich in den letzten 100 Jahren nicht verändert hat.


Joel Sollberger


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