Endlich wieder zusammensitzen und sich austauschen
03.05.2022 Burgdorf, Heimiswil, Wirtschaft, Region, VereineHIV-Präsident Walter Gerber visualisiert seinen Jahresbericht am Tagungsort «Löwen» Heimiswil mit zahlreichen Lichtbildern zu den Vorkommnissen der vergangenen 16 Monate. Vorher dankt er der Geschäftsführung der Rondo Burgdorf AG, gegründet 1948, für die Vorstellung dieses erfolgreichen Unternehmens und die Betriebsbesichtigung. Laut CEO Peter Studer arbeiten «von den weltweit 460 Beschäftigten 250 an zwei Standorten in Burgdorf. Rondo macht rund 100 Millionen Franken Jahresumsatz. 95 Prozent der Produkte gehen in den Export, um die sich mehr als 100 Vertriebs- und Servicemitarbeiter weltweit kümmern. Die Entwicklung der verschiedenen Produktionslinien erfolgt in Burgdorf.»
Fülle besonderer Ereignisse
In seinem Jahresbericht erwähnt Walter Gerber den Sturm auf das US-Kapitol, den Brexit mit seinen noch anhaltenden Folgen für die Wirtschaft, die sich in den ersten Monaten des 2021 weltweit verschlechternde Situation infolge von Covid-19, Einschränkungen und Lockdowns, erste Lockerungen und dann im Herbst 2021 die neue Variante Omikron. «Unbestritten hat die Coronapandemie zum grössten wirtschaftlichen Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg mit bis dahin schwer vorstellbaren Konsequenzen geführt», so Gerber. In der Schweiz habe die Coronapandemie mit den verordneten Massnahmen zu einer Spaltung der Bevölkerung geführt.
Die Havarie des Containerschiffs «Evergiven» im Suezkanal hat die Blockierung wichtiger Häfen, Materialverknapppungen und die weltweiten Vernetzungen und Abhängigkeiten – auch in der Schweiz – von nicht beeinflussbaren Situationen aufgezeigt. Ebenfalls bedeutend ist der Entscheid von G20 und OECD, die globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Grosskonzerne einzuführen, wodurch multinationale Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie tätig sind und ihre Gewinne erzielen. «Das Schrecklichste und Unvorstellbarste war jedoch der Einmarsch der Russen am 24. Februar 2022 in die Ukraine; ein Angriffskrieg von nicht vorstellbarer Grausamkeit, Mord und Zerstörung.»
Gerber lässt die erfolgreichen HIV-Anlässe von 2021 nochmals Revue passieren, worunter derjenige mit Gastreferent Dr. Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, besonders viele Zuhörer angezogen hat. Der derzeitige HIV-Mitgliederbestand beträgt 474 Personen, Neueintritte sind willkommen. Vizepräsident Hans-Martin Wahlen wird nach ausführlicher Würdigung seiner Verdienste mit viel Applaus aus dem Vorstand verabschiedet.
Wissenswert und interessant
Dr. Peter Grünenfelder, Direktor von Avenir Suisse, erläutert unterschiedliche Aspekte zum Thema «Ist die Schweiz mit und nach Covid-19 überhaupt noch unternehmensfreundlich?». Ausführlich geht er auf die Bedeutung der liberalen Ordnung für den Einzelnen ein wie offene Märkte, schöpferische Zerstörung, Marktpreise statt Subventionen und ideale Rahmenbedingungen wie gesunder Finanzhaushalt, niedrige Staatsquote, wenig Regulierung, umfassende Eigentumsgarantie usw. Die Anwesenden erfahren vieles über den Wert der freien Wirtschaftsordnung, die Schweiz als international (noch) führender Standort und primäre wirtschaftliche Herausforderungen.
Grünenfelder stellt die Frage in den Raum, ob Covid-19 einen Paradigmenwechsel verursachen wird. Die Staatsausgaben schnellen in die Höhe, Unterstützungshilfen gehen in die Milliarden. Spezifische Wirtschaftssektoren wie Kultur, Sport, Tourismus, Medien, Weinbau und andere fordern zusätzliche Massnahmen; der staatliche Fussabdruck wird immer grösser. Zudem nimmt die Regulierung zu.
Die internationale Ausrichtung im Stresstest zeigt eine deutliche Verschiebung der Wirtschaftskräfte Richtung Asien beziehungsweise China. Besonders markant fällt die handelspolitische Bedeutung der USA und von China von 2000 bis 2017 aus. Vor 22 Jahren sind die USA weltweit mit kleinen Ausnahmen führend, ab 2017 dominiert China mit Ausnahme der USA, Kanada und Mittelamerika rund um den Globus. Die Diskrepanz dürfte 2022 noch gestiegen sein, folglich nimmt der Handelskrieg zwischen beiden Nationen immer mehr zu.
Grundlage unseres Wohlstandes
Grünenfelder postuliert «die Verflechtung als Grundlage des Schweizer Wohlstandes, denn stärkere ökonomische Integration in die Weltwirtschaft bedeutet höheres Einkommen». Den Wert des multinationalen Unternehmertums in der Schweiz belegt er mit Zahlen: «4 Prozent davon bieten 26 Prozent der Arbeitsstellen, erwirtschaften 35 Prozent des BIP und zahlen 47 Prozent der Unternehmenssteuer-einnahmen an den Bund, nämlich 9,3 Milliarden Franken.» Den Aussenhandel bezeichnet er als den Beschäftigungsmotor der Schweiz, was er mit Zahlen dokumentiert.
Besondere Aufklärung bedarf es laut Avenir-Suisse-Direktor hinsichtlich «falscher Narrative und ihrer Folgen» wie schlimme Ungleichheit (unten knausern, oben klotzen usw.), böses Ausland, ungesunder Wettbewerb und entsprechend geforderter Abkehr von internationalen Verflechtungen, illiberalem Aktivismus und anderem mehr.
In seinem Referat weist Grünenfelder darauf hin, dass «die Konkurrenz aufholt, der digitale Sektor schneller wächst als der physische (Arbeitsplatzverluste), der Homeoffice-Trend und die Teilzeitarbeit zunehmen und sich die Arbeitsformen der Zukunft ändern werden».
Eine liberale Wirtschaftsordnung bedeutet, den hausgemachten Reformstau zu überwinden, indem man selbst errichtete Hindernisse übersteigt, den vertrauten Istzustand trotz Unsicherheiten verlässt, bislang teilweise befriedigende Ergebnisse verbessert und Ziele erreicht, die noch nie angestrebt worden sind. Die Anwesenden danken mit anhaltendem Applaus.
Beim anschliessenden Apéro und Nachtessen bleibt viel Zeit für Gespräche.
Gerti Binz