Suizidalität – (k)ein Tabuthema

  30.04.2025 Burgdorf, Gesellschaft, Region

Die Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) rütteln auf: Mehr als eine halbe Million Menschen in der Schweiz haben Suizidgedanken. 280 000 Personen haben mindestens einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch unternommen, jede fünfte Person erzählt niemandem davon. Pro Tag sterben im Durchschnitt zwei bis drei Menschen in der Schweiz durch Suizid. «Suizidgedanken können ein Hinweis auf eine seelische Not sein und dürfen nicht tabuisiert werden», sagt der Psychiater Florian Weiss, Leitender Arzt der Psychiatrie am Spital Emmental.
In seinem Vortrag zeigt er auf, welche Warnsignale es gibt, die auf solche inneren Nöte aufmerksam machen. Wo können suizidgefährdete Menschen Hilfe holen? Wie sollen sich nahestehende Personen verhalten, wenn sie mit Suizidgedanken bei ihren Angehörigen konfrontiert werden? Wie könnten Suizide durch Prävention verhindert werden?

«D’REGION»: Die Zahlen zu Suizidgedanken und -versuchen in der Schweiz sind alarmierend. Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dieses Thema offen anzusprechen?
Florian Weiss: Wie die obigen Zahlen zeigen, sind Suizidgedanken häufig. Sie sind ein ernst zu nehmendes Symptom, über das gesprochen werden muss. Niemand sollte sich dafür schämen oder Angst haben, darüber zu sprechen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Suizidgedanken nicht durch das Ansprechen hervorgerufen werden. Im Gegenteil: Betroffene sind meist erleichtert, wenn das Thema angesprochen wird, was dazu beitragen kann, Suizidalität zu reduzieren.
Menschen mit Suizidgedanken berichten oft, dass sie nicht mehr klar denken können, keinen Ausweg mehr sehen oder das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Handeln zu verlieren. Gespräche können helfen, die Gedanken zu ordnen und neue Perspektiven zu eröffnen. Dadurch sinkt das Risiko eines Suizidversuchs.

«D’REGION»: Welche Warnsignale deuten darauf hin, dass jemand an Suizidgedanken leidet, und wie können Aussenstehende diese erkennen?
Florian Weiss: Die Warnsignale können vielfältig sein und von Person zu Person stark variieren. Sie können sowohl verbal als auch nonverbal geäussert werden. Allen Warnsignalen ist gemeinsam, dass sie auf eine psychische Belastung hinweisen.
Betroffene können beispielsweise hoffnungslos oder verzweifelt wirken. Sie sehen oft keinen Ausweg oder keine Lösung mehr. Menschen, die mit Suizidgedanken kämpfen, zeigen möglicherweise ein auffälliges Verhalten, das sich von ihrem üblichen Verhalten unterscheidet. So können sie sich sozial zurückziehen und/oder das Interesse an Aktivitäten verlieren, die sie früher genossen haben.
Zudem können sie direkte (z. B. «Ich bringe mich um.») oder indirekte (z. B. «Ich mag nicht mehr.») Suizidankündigungen machen. Um diese Warn­signale zu erkennen, ist es wichtig, offen und aufmerksam gegenüber Mitmenschen zu sein. Niemand sollte Scheu oder Angst haben, nachzufragen und Suizidgedanken direkt anzusprechen.


«D’REGION»: Viele Betroffene sprechen nicht über ihre Suizidgedanken. Wie kann man das Schweigen brechen und Betroffene ermutigen, Hilfe zu suchen?
Florian Weiss: Suizidgedanken sind leider noch immer ein Tabuthema, das von vielen Menschen gemieden wird. Obwohl in der Schweiz eine halbe Million Menschen davon betroffen sind, wird das Thema weiterhin stigmatisiert. Es sollte jedoch normalisiert werden, sodass es selbstverständlich wird, darüber zu sprechen.
Suizidgefährdete Menschen berichten oft von sozialen Problemen oder von körperlichen oder unspezifischen psychischen Beschwerden – jedoch nicht direkt von Suizidgedanken. Die Angst vor Verurteilung, Ausgrenzung oder der Belastung ihres Umfelds hält sie davon ab.
Durch offenes Ansprechen können Betroffenen diese Angst und auch die Scham vor Suizidgedanken genommen werden. Ihnen sollte wertungsfrei und mit Verständnis begegnet werden. Es muss klar sein, dass es sich um ein häufiges Symptom handelt, das in der Regel gut behandelt werden kann. Darüber zu sprechen ist oft bereits ein wichtiger Teil der Behandlung.

«D’REGION»: Was raten Sie Angehörigen oder nahestehenden Personen, wenn sie vermuten, dass jemand in ihrem Umfeld gefährdet sein könnte?
Florian Weiss: Direktes Ansprechen ist entscheidend – zum Beispiel mit einer Frage wie: «Ich habe das Gefühl, dass es dir in letzter Zeit schlecht geht. Manchmal habe ich Angst, du könntest dir etwas antun. Hast du schon einmal daran gedacht, dir das Leben zu nehmen?» Gerade am Anfang kann es viel Überwindung kosten, eine solche Frage zu stellen. Doch in den meisten Fällen empfinden Betroffene Erleichterung, wenn das Thema endlich zur Sprache kommt.
Sollten sich Angehörige oder nahestehende Personen damit überfordert fühlen, ist es ratsam, Unterstützung von Fachpersonen in Anspruch zu nehmen. Es ist wichtig zu wissen, dass Angehörige oder Freunde nicht allein verantwortlich sind. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote – sowohl für Betroffene als auch für ihr Umfeld.

«D’REGION»: Welche Unter­stützungsangebote und Präventionsmassnahmen stehen für suizidgefährdete Menschen zur Verfügung?
Florian Weiss: Als sofortige Unterstützung eignen sich telefonische Beratungsstellen wie die «Dargebotene Hand» (Telefon 143) oder die Notfallstationen der Spitäler, die rund um die Uhr erreichbar sind. Zusätzlich bietet die Website www.reden-kann-retten.ch umfassende Informationen zum Thema Suizidalität, konkrete Gesprächstipps sowie weitere Adressen mit Hilfsangeboten.
Auch die Einschränkung des Zugangs zu Suizidmethoden kann eine wirksame Präventionsmassnahme sein. Dazu gehören beispielsweise die Absicherung von Brücken und Bahnstrecken, die reduzierte Verfügbarkeit bestimmter Medikamente oder gefährlicher Substanzen sowie strenge Waffengesetze.

«D’REGION»: Was möchten Sie den Zuhörendeb Ihres Vortrags als wichtigste Botschaft mitgeben, wenn es um den Umgang mit Suizidgedanken geht?
Florian Weiss: Suizidgedanken sind ein häufiges Symptom, das viele Menschen betrifft. Sprechen Sie darüber – das hilft sowohl den Betroffenen als auch ihren Angehörigen. Offenheit trägt dazu bei, Suizidalität zu enttabuisieren und Menschen mit Suizidgedanken zu entlasten.

zvg

Vortrag: Burgdorf, Donnerstag, 8. Mai 2025, 19.00 Uhr (Kurslokal Spital Emmental, Oberburgstrasse 54, EG); Langnau, Donnerstag, 15. Mai 2025, 19.00 Uhr (Spital in Langnau, Dorfbergstrasse 10).


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