Trudi Aeschlimann – Porträt einer Burgdorferin
01.10.2025 Burgdorf, Burgdorf, GesellschaftTrudi Aeschlimanns Kindheit und Jugend
Ein Thurgauer, der seiner Arbeit wegen nach Burgdorf zog, mietete ein Zimmer in einem Privathaushalt am Dahlienweg. Dieser Raum wäre sonst für ein Jahr unbewohnt gewesen, weil die Tochter seiner Gastfamilie für eine Ausbildung im Welschland weilte. Als diese zurückkam, suchte der Mann eine andere Unterkunft, besuchte seine «Schlummermutter» jedoch regelmässig. Diese freute sich darüber und merkte lange nicht, dass die Besuche der attraktiven Tochter galten. Die beiden jungen Leute wurden ein Paar und aus dieser grossen Liebe entstand eine Familie, deren jüngere Tochter Trudi im Jahr 1943 zur Welt kam.
Trudi erlebte eine unbeschwerte Kindheit mit einem Bruder und einer Schwester. Die fürsorglichen Eltern unterstützten ihre Kinder im Alltag und in der Schule und gaben ihnen viel Selbstvertrauen. Alle drei hätten gerne studiert, doch das Geld reichte nur für ein Studium, das des Sohnes.
Berufliche Ausbildung und Weiterbildung
Trudi entschied sich für den Besuch der dreijährigen Töchter-Handelsschule in Bern. In dieser höheren Mittelschule bekam sie neben Fachwissen auch eine gute Allgemeinbildung vermittelt. Die Ausbildung schloss sie als Zweitbeste ab. Für diese Leistung wurde die diplomierte Kauffrau mit einem Gutschein belohnt, mit dem sie das Buch «Meisterwerke griechischer Kunst» erstand. Rückblickend war dieser Kauf wegweisend für ihre Zukunft. Archäologie, Architektur- und Kunstgeschichte wären Studiengänge ihrer Wahl gewesen, nun vertiefte Trudi diese Themen anhand von Fachliteratur und dem Besuch von Vorlesungen.
Im zweiten Ausbildungsjahr feierte sie mit Kolleginnen die Solätte, als ein grosses Gewitter aufzog. Die Wolken entleerten sich kurz darauf über der Stadt. Alle suchten einen Unterstand, um sich vor dem Regen zu schützen. Und hier begegnete Trudi ihrer grossen Liebe Hans.
Nun galt es, eine erste Arbeitsstelle zu finden. Ein Leuchten zieht über Trudis Gesicht, als sie davon erzählt: «Ich bewarb mich bei Nestlé in Vevey und bekam einen besseren Job als den, auf den ich mich beworben hatte. Was ich anpackte, gelang mir. Ich hatte immer Glück». Sie mietete ein Zimmer in La Tour-de-Peilz. Hans bezog ein Zimmer in Vevey und arbeitete in einem Bauingenieurbüro in Lausanne. Damals wäre eine gemeinsame Unterkunft ohne Trauschein undenkbar gewesen. Als die beiden ein Jahr später zurück nach Burgdorf zogen, fand Hans einen neuen Arbeitsplatz in einem lokalen Ingenieurbüro, Trudi in der Verwaltung der EBT (Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn). Sie heirateten im Jahr 1964, eigentlich früher als geplant. Doch die Wohnung, die sie mieten wollten, bekamen sie nur als verheiratetes Paar.
Familienleben – anders als geplant
Trudi und Hans wünschten sich eine Familie mit Kindern, doch der Kinderwunsch blieb unerfüllt. Darum entschieden sie sich für eine Adoption. Die Adoptiv- und Pflegekindervermittlung prüfte die beiden auf Herz und Nieren. Dann begann eine lange Wartezeit, während der Trudi keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen durfte. Sie musste stets für die Aufnahme eines Kindes bereit sein. Während dieser Zeit entdeckte Trudi ihre Leidenschaft fürs Nähen und nähte ihre gesamte Garderobe selbst. Daneben hütete sie als Halbtagesmutter ein Nachbarskind. Im Jahr 1969, nach zwei Jahren Wartezeit, bekamen sie einen Pflegesohn, ein sechsmonatiges, lebhaftes Baby. Als der Kleine vierjährig wurde, organisierte Trudi gemeinsam mit anderen Müttern einen Kinderhütedienst. Jeden Mittwochnachmittag kümmerte sich eine der Mütter um die Kinder ihrer Kolleginnen im katholischen Pfarreizentrum in Burgdorf.
Trudi war – und ist es bis heute geblieben – ein Mensch, der «gwundrig» ist, immer Neues lernen und verstehen will. Als Kind einer Eisenbahnerfamilie hatte Trudi keinen Bezug zum Auto, lernte aber dank eigenem Einkommen Auto fahren. Am gleichen Tag, an dem sie die Fahrprüfung bestand, bekam sie ein Schreiben der Vormundschaftsbehörde. Darin stand, dass sie und ihr Mann den Pflegesohn, der mittlerweile den Kindergarten besuchte, würden adoptieren können. Das Glück war perfekt, ein unvergesslicher Tag.
Nach dem Kauf eines Autos lernte Trudi ihr Fahrzeug durch einen technischen Kurs und einen Schleuderkurs genauer kennen. Auch den Radwechsel für Sommer- und Winterreifen machte sie selbstständig.
Familie und Beruf im Einklang
Trudi war der Zeit weit voraus. Sie schaffte es, Beruf und Familienleben zu vereinen. Eine Nachbarin, die vor ihrer Pensionierung historische Studien gemacht hatte, suchte eine Person, die einen Kunsthistoriker bei baugeschichtlichen Forschungen für den geplanten Kunstdenkmälerband Burgdorf unterstützen würde. Trudi bekam diesen Teilzeitjob im Jahr 1973. Bis zu ihrer Pension im Jahr 2006 blieb sie Mitarbeiterin der Denkmalpflege des Kantons Bern. Obwohl sie keinen Studienabschluss vorweisen konnte, entwickelte sie sich zur Fachperson für die Erforschung alter Dokumente.
Zum Herzensprojekt wurde das Burgerarchiv Burgdorf, das Dokumente ab dem 13. Jahrhundert aufbewahrt. Nachdem dieses früher in der Sakristei der Stadtkirche und später in der Burgerratsschreiberei untergebracht war, zügelte es im Jahr 1956 ins Gebäude der Stadtbibliothek. Als der verantwortliche Bibliothekar nach Bern zog, verwaiste das Archiv. Im Notfall gab Heinz Fankhauser Auskunft. Er betreute das grosse Fankhauserarchiv, das dort lagert. Weil Trudi aufgrund ihrer baugeschichtlichen Forschungen für die Denkmalpflege den Archivbestand kannte, wurde sie von der Burgergemeinde als Archivarin angestellt. Sie unterstützte fortan Besuchende, vor allem Journalisten, Studentinnen und Jahrbuchschreibende, bei ihren Recherchen. Sie liebte ihre Arbeit und liess sich nicht einschüchtern, auch nicht durch Fragen wie: «Grüessech Frölein, chani bitte mit em Archivar rede?» Um das Jahr 1980 öffnete sich der Verein schweizerischer Archivarinnen und Archivare auch für das mittlere Kader und Trudi konnte eine Ausbildung absolvieren und Mitglied werden. Von 1975 bis 2006 war sie die erste weibliche Leiterin des Burgerarchivs Burgdorf.
Trudi ist eine Frau, die den Themen auf den Grund geht. Sie muss wissen, warum und wie etwas funktioniert. Sie hat Dokumente entziffert und Geschichten bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt. Einer der Höhepunkte lagerte in einem Schuhkarton, den die Burgerratsschreiberin im Keller der Kanzlei gefunden hatte. Sie bat Trudi, Wichtiges fürs Archiv herauszunehmen und den Rest zu entsorgen. Trudi fand viel Unnützes, doch zuunterst entdeckte sie Teile mittelalterlicher Siegel und die lange verschollene Burgdorfer Handfeste D vom 7. Dezember 1322. Ein unvergesslicher Moment!
Mit ihrem Fachwissen war sie ein langjähriges, geschätztes Vorstandsmitglied des Rittersaalvereins und von 2005 bis 2013 führte sie diesen als erste weibliche Präsidentin. Bis heute ist Trudi Vorstandsmitglied und war bis Ende 2023 für die Sammlung verantwortlich. Bei ihrem Rücktritt lobte sie der neue Sammlungsverantwortliche mit Worten, die auch heute noch auf Trudi zutreffen: «Mit ihrem phänomenalen Erinnerungsvermögen, ihrem Spürsinn für historische und archivalische Mechanismen und ihrer hartnäckigen Recherchenarbeit vermochte sie den gesammelten Gegenständen des Rittersaalvereins Leben einzuhauchen». Trudi wurde zweifach mit dem Kulturpreis der Burgergemeinde Burgdorf ausgezeichnet: im Jahr 2008 mit dem Team des Schlossmuseums und im Jahr 2014 mit dem Verein Burgdorfer Jahrbuch.
Burgdorfer Jahrbuch mit Trudi Aeschlimann
Das Bedürfnis, alte Geschichten aus dem Burgerarchiv an die Öffentlichkeit zu tragen, wird seit 1934 mit dem Burgdorfer Jahrbuch (BJB) realisiert. Trudi bewies sich mit ihrem ersten Beitrag 1983 als Fachfrau. Bereits 1984 wurde sie in die Schriftleitung gewählt, während Heinz Fankhauser das Team leitete. Seit 1991 ist sie Schriftleiterin und Redaktionsleiterin. Aus finanziellen Gründen hat Trudi für das BJB 1994 den Herausgeberverein Burgdorfer Jahrbuch gegründet. Die Statuten von damals gelten noch heute. Nur das Gesicht des BJB hat sich verändert. 1999 bekam es ein neues Layout mit einer anderen Schrift und einem farbigen Umschlag. Aktuell sind ebenfalls Änderungen in Planung.
Trudis technisches Interesse war auch dem BJB dienlich. Schon seit Jahrzehnten arbeitet sie am PC. Früher wurden die Artikel von Autorinnen und Autoren direkt in die Druckerei zum Setzen gebracht. Doch seit der Einführung moderner Technologien redigiert und gestaltet Trudi alle Beiträge provisorisch, bevor sie diese für die professionelle Gestaltung an die Druckerei Haller + Jenzer AG weiterleitet – und sie beschafft, wenn nötig, zusätzliches Bildmaterial. Jeweils von August bis Oktober arbeitet sie auf Hochtouren, weil der neue Band im November/Dezember in den Handel kommt. Dieses Jahr feiert das Redaktionsteam mit Autorinnen, Autoren und der Öffentlichkeit am 22. November die Vernissage des Burgdorfer Jahrbuchs 2026. Der bekannte Journalist und Satiriker Heinz Däpp, dessen Redaktorentätigkeit beim Burgdorfer Tagblatt im neuen Buch gewürdigt wird, lässt sich an dieser Veranstaltung interviewen und unterhält mit einem Kurzprogramm. Trudi leitet die Vernissage zum letzten Mal, denn sie hat für nächstes Jahr den Rücktritt als Vereinspräsidentin angekündigt.
Nach dem Erscheinen des neuen Burgdorfer Jahrbuchs wird jeweils die vorherige Ausgabe digital erfasst. Somit sind die Artikel der Öffentlichkeit auf e-periodica zugänglich. Trudi freut sich, wenn Texte des Jahrbuchs von andern Medien übernommen werden, ärgert sich aber, wenn das ohne Quellenangabe geschieht.
Trudi begeistert sich im Alter von 82 Jahren nach wie vor für Geschichten, die zu ergründen sind. Sie forscht, schreibt, diskutiert und recherchiert. Lesen und schreiben sind ihre grossen Leidenschaften, die sie täglich lebt.
Text und Bild: Helen Käser