Zukunftsweisende Geburtshilfe

  09.07.2025 Burgdorf, Aktuell, Gesellschaft, Region

Die Spital Emmental AG und die SRO (Spital Region Oberaargau) AG betreten in der Entwicklung der gemeinsamen Versorgungsregion Neuland und richten die Geburtshilfe der gesamten Versorgungsregion strategisch neu aus: Ab dem 1. Oktober 2025 werden die Geburten beider Spitäler am Standort Burgdorf der Spital Emmental AG stattfinden. Die ambulante Schwangerschaftsbetreuung durch Hebammen sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen und auch die Nachkontrollen nach der Geburt werden wie bis anhin an allen drei Spitalstandorten – Burgdorf, Langenthal und Langnau – möglich sein. Die Geburten finden in der Frauenklinik oder im Geburtshaus des Spitals Emmental in Burgdorf statt. Der Fachbereich Gynäkologie ist von dieser Neuausrichtung nicht tangiert. Stationäre und ambulante gynäkologische Gesundheitsleistungen und Sprechstunden, beispielsweise spezialisierte Behandlungen bei Brust- oder Unterleibserkrankungen, Inkontinenz, Beckenboden- oder Wechseljahrbeschwerden, werden auch weiterhin am Standort Langenthal angeboten.

Abstimmung der Leistungsangebote
«Im Rahmen des 4+-Regionen-Versorgungsmodells erwartet der Regierungsrat, dass die Leistungsangebote der SRO AG und der Spital Emmental AG sinnvoll aufeinander abgestimmt werden, um die Gesundheitsgrundversorgung in den Regionen Oberaargau und Emmental langfristig sicherzustellen», erklärt Daniel Schmid, Verwaltungsratspräsident der SRO AG. Dies erfordere ein vorausschauendes Handeln seitens der Verwaltungsräte von Spitälern in kantonalem Eigentum. «Wir haben uns entschieden, die an uns gestellten Herausforderungen proaktiv anzugehen und gemeinsam mit unserem Partner, dem Spital Emmental, konkrete Schwerpunkte zu setzen, diese miteinander zu erarbeiten und umzusetzen. Dies machen wir schrittweise und verfolgen dabei das Ziel, unsere Eigenständigkeit zu bewahren und die wohnortsnahe Grundversorgung weiterhin anzubieten», so Schmid. Die Geburtshilfe ist nach dem gemeinsamen Brustzentrum und dem Zusammenschluss der beiden Rettungsdienste der nächste Schritt hin zu einer integrierten Versorgungsregion.
«Der bereits eingesetzte Rückgang der Geburtenrate sowie die steigenden Qualitätsanforderungen erfordern ein vorausschauendes Planen und Handeln», so Bernhard Antener, Verwaltungsratspräsident der Spital Emmental AG, und er fährt fort: «Gerade im Bereich der stationären Geburtshilfe sind die Vorhalteleistungen sehr hoch, denn Fachpersonen wie Hebammen, Gynäkologinnen, Gynäkologen, Kinderärztinnen, Kinderärzte, OP-Personal sowie Anästhesistinnen und Anästhesisten müssen rund um die Uhr für allfällige Notfälle bereit sein.» Daniel Schmid ergänzt: «Obwohl die Leistungen mit hoher Qualität und grossem personellem Einsatz erbracht werden, decken die aktuellen Fallpauschalen die tatsächlichen Kosten bei Weitem nicht. Je weniger Geburten in einem Spital stattfinden, desto höher sind die Kosten pro Fall.» Die Neuausrichtung reduziert die Vorhalteleistungen künftig auf einen Standort.

Mehr Kompetenzen für Hebammen
Die Konzentration der Geburtshilfe am Standort Burgdorf bildet den Startschuss für ein zukunftsgerichtetes, neues Angebot in der geburtshilflichen Grundversorgung: «Mit dem Projekt ‹Schwangerschaftsweg› gehen die beiden Spitäler einen innovativen Weg und zeigen, wie in einem Fachgebiet integrierte Versorgung gelebt werden kann», betont Antener. Der Schwangerschaftsweg rückt die professionelle, paarbezogene und bedürfnisorientierte Betreuung der Schwangeren und ihres Partners, ihrer Partnerin in den Fokus und weist der Hebamme als nichtärztliche Fachperson mit weitreichenden Qualifikationen und Kompetenzen künftig eine wichtige Drehscheibenfunktion zu. Sie übernimmt in der Schwangerschaftsbetreuung bei normal verlaufenden Schwangerschaften die Rolle der Gesundheitsmanagerin und begleitet die Frauen eigenständig von Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt. Die Schwangerschaftskontrollen finden sowohl in den Hebammensprechstunden als auch bei Ärztinnen und Ärzten statt.
Bei Abweichungen von einer normal verlaufenden Schwangerschaft (beispielsweise Schwangerschaftsdiabetes, Risikoschwangerschaft, Mehrlingsgeburt) erfolgt die Betreuung in enger Zusammenarbeit mit Gynäkologinnen und Gynäkologen. «Mit dem Schwangerschaftsweg geben wir der Hebamme ihre ursprüngliche Aufgabe, für die sie ausgebildet wurde, wieder zurück: die Betreuung der physiologischen Schwangerschaft und der Geburt. Schwangerschaft und Geburt sind natürliche Ereignisse. Sie dürfen nicht als Krankheit angesehen werden, was zu Ängsten und Überarztung führt oder zu vermehrten Untersuchungen und medizinischen Eingriffen», sagt Matthias Scheidegger, Chefarzt der Frauenklinik des Spitals Emmental.

Nachhaltige Veränderung, gleichbleibende Qualität
Bis zum 1. Oktober 2025 stehen noch diverse organisatorische Arbeiten an und die Teams beider Spitäler bereiten sich auf die neue Situation vor. In sehr enger Zusammenarbeit der beiden Spitäler Emmental und Region Oberaargau werden für die betroffenen Mitarbeitenden gemeinsam Lösungen gesucht. Obschon das Projekt für die beiden Spitäler einen zukunftsweisenden Charakter hat, weist es für die lokale Bevölkerung sowie die Mitarbeitenden auch eine schmerzhafte Komponente auf. «Wir werden die Schwangeren und ihre Familien nach wie vor sicher durch die Schwangerschaft begleiten und die Betreuung in der gewohnten Qualität gewährleisten», versichert Christa Gutknecht, Bereichsleiterin Frauenklinik SRO AG.
Auch den beiden Verwaltungsratspräsidenten ist bewusst, dass das Projekt «Schwangerschaftsweg» mit schwierigen und emotionalen Aspekten verbunden ist. «Die Geburtshilfe in der Region Emmental-Oberaargau verändert sich nachhaltig», sagt Daniel Schmid. «Gleichwohl sind wir überzeugt, dass es uns gelingen wird, die Geburtshilfe in unserer gemeinsamen Versorgungsregion so langfristig zu erhalten und den Frauen im Emmental-Oberaargau weiterhin eine wohnortsnahe Schwangerschaftsbetreuung anbieten zu können.»

Interview mit Bernhard Antener, Verwaltungsratspräsident der Spital Emmental AG
Die Zeitung «D’REGION» sprach mit Bernhard Antener über den getroffenen Entscheid sowie die bisherige wie auch die künftige Zusammenarbeit der beiden Spitäler Emmental und Region Oberaargau.

«D’REGION»: Durch die Konzentration der Geburtshilfe am Standort Burgdorf wird die Spital Emmental AG gestärkt, während die SRO AG ein defizitäres, aber von der Bevölkerung geschätztes Leistungsangebot verliert. Ist infolge der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den beiden Spitälern damit zu rechnen, dass im Gegenzug schon bald ein anderer Leistungsbereich von Burgdorf nach Langenthal abwandern wird?
Bernhard Antener: Unser Ziel ist die Entwicklung einer gemeinsam koordinierten, integrierten Gesundheitsversorgungsregion Emmental-Oberaar­gau. Dies entspricht der strategischen Planung des Kantons Bern, der das 4+-Regionen-Versorgungsmodell vorgibt. Gemeinsam mit dem Spital Region Oberaargau möchten wir der Bevölkerung in der gesamten Versorgungsregion auch in Zukunft eine optimale und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung anbieten. Es hat sich gezeigt, dass die Zusammenarbeit und Abstimmung in kleinen Schritten am zweckdienlichsten ist. Dabei geht es nicht darum, welches Spital einen Bereich an das andere «abgibt», sondern, was für die Patientinnen und Patienten der gesamten Versorgungsregion am sinnvollsten ist.
Dies tun wir im Hinblick auf die Spitalliste 28: Diese legt fest, wie viele stationäre Fälle ein Spital ausweisen muss, um einen Leistungsauftrag zu erhalten. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen ansteigen werden und dass die beiden Spitäler Emmental und Region Oberaargau je einzeln zu wenig Fälle generieren werden. Das bedeutet, dass eine bestimmte Leistung nur noch an einem Ort erbracht wird und wir uns zusammentun müssen, um den Leistungsauftrag überhaupt in der Region zu behalten. Wie diese Zusammenarbeit aussieht und auf welchen Standort einzelne Angebote konzentriert werden, kann ich noch nicht sagen. Wir sind gemeinsam unterwegs und suchen Lösungen im Interesse der Patientinnen und Patienten.

«D’REGION»: Wie gross ist der Stellenabbau infolge des Projekts «Schwangerschaftsweg»? Wie viele neue Stellen entstehen am Spital Emmental?
Bernhard Antener: Momentan führt die HR-Abteilung der SRO AG individuelle Gespräche mit den betroffenen Mitarbeitenden, um Möglichkeiten und Bedürfnisse beiderseits zu erörtern. Die Personalabteilungen beider Spitäler arbeiten auch hier eng zusammen – einige der Hebammen können allenfalls künftig in Burgdorf arbeiten, andere werden weiterhin im Spital Region Oberaargau tätig sein. Man darf nicht vergessen: Für die Gynäkologie und die Zeit vor der Geburt ändert sich ja nichts – die Schwangerschaftsbetreuung findet im gewohnten Rahmen an allen Standorten – Langenthal, Burgdorf und Langnau – statt. Auch die Nachkontrollen können in Langenthal erfolgen.

«D’REGION»: Mittlerweile arbeiten die Spital Emmental AG und die Spital Region Oberaargau AG beim gemeinsamen Brustzentrum, bei den Rettungsdiensten und bei der Geburtshilfe zusammen. Weitere Schritte sollen folgen. In welchen Bereichen sehen Sie konkret Potenzial, um Synergien zu nutzen?
Bernhard Antener: Potenzial sehe ich zum Beispiel im Bereich der vorgelagerten Dienste wie dem Einkauf: Wenn wir gemeinsame Beschaffungen tätigen, haben wir ein grösseres Gewicht und können allenfalls bessere Verhandlungsbedingungen mit Lieferanten erzielen.

«D’REGION»: Steht auf lange Sicht eine Fusion der beiden Spitalorganisationen zur Debatte?
Bernhard Antener: Aus heutiger Sicht wollen wir aus voller Überzeugung keine Fusion. Beide Spitalgruppen sollen eigenständig bleiben. Es kann aber niemand sagen, wie die Spitalwelt in zehn Jahren aussieht.  

«D’REGION»: Vor nicht allzu langer Zeit sah die Spitallandschaft in der Region noch ganz anders aus – mit kleinen Spitälern etwa in Sumiswald und Huttwil. Heute ist der Druck zur Zentralisierung gewaltig. Woran liegt das?
Bernhard Antener: Das Spital Huttwil wurde im Jahr 2008 geschlossen, also vor 17 Jahren. Sumiswald, das zur Region Emmental gehört, Anfang 2000. Mit dem Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes 1996 und später des Tarifsystems Swiss DRG 2012 hat sich vieles verändert, sowohl aufseiten der Tarife und der Finanzierung der Spitäler als auch aufgrund neuer Vorgaben und Ansprüche an die Qualität und die Steuerbarkeit von Prozessen. Die Verweildauer in den Spitälern hat kontinuierlich abgenommen, nicht zuletzt auch aufgrund des Patientenwunsches und der medizinischen Machbarkeit. Auch die zunehmende Ambulantisierung sorgt dafür, dass die stationären Aufenthalte zurückgehen. Somit bedurfte es laufend weniger Spitalbetten in den einzelnen Regionen. Diese Entwicklung hat nicht einfach gestoppt, sondern geht kontinuierlich weiter.

«D’REGION»: Wie lautet Ihre Diagnose: Ist die Spital- und Gesundheitsversorgung im Kanton Bern auf einem guten Weg oder machen sich gewisse Krankheitssymptome bemerkbar?
Bernhard Antener: Der Kanton Bern hat eine Gesundheitsstrategie verabschiedet, die er in mehrere Teilstrategien aufgeteilt hat. Eine davon ist die integrierte Versorgung, in deren Zentrum nicht die einzelnen Leistungserbringer stehen, sondern die Patientinnen und Patienten. Kooperationen und die Zusammenarbeit in Netzwerken werden also immer wichtiger. Wir sind der Ansicht, dass dieser Ansatz zielführend ist, um einer älter werdenden Bevölkerung mit sich komplexer darstellenden Krankheiten eine optimale und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu bieten. Gleichwohl besteht eine aktuell noch erhebliche Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzbarkeit.
So sind wir jedes Jahr mit der Tatsache konfrontiert, dass die Krankenkassenprämien steigen. Dabei gilt es aber auch zu beachten, dass gleichzeitig die Ansprüche steigen und Patientinnen und Patienten immer mehr Gesundheitsdienstleistungen beanspruchen. Viele dieser Dienstleistungen sind sicher gerechtfertigt, einige sind es aber nicht. Da müssen wir alle lernen, etwas bescheidener zu werden.


Text / Interview: zvg/ Markus Hofer
Bilder: zvg

 


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