Nach über 30 Jahren zieht sich Jürg Kaeser Ende 2013 aus der Politik zurück

  30.12.2013 Aktuell, Politik, Ersigen

 

An den Gemeinderatswahlen in Ersigen vom 24. November 2013 hat sich einiges getan: Mit Andreas-A. Roth ist die SP wieder im Gemeinderat vertreten und für die FDP ist neu Roger Anderegg im Rat. Am 9. Dezember 2013 wurde auch das Gemeinderatspräsidium neu vergeben. Gewählt wurde Simon Werthmüller (SVP), der Jürg Kaeser (FDP) ablöst. Damit zieht sich eine Persönlichkeit aus der Ersiger Gemeindepolitik zurück, die das Geschehen des Dorfes über Jahrzehnte mitgeprägt hat.

 

Ein Städter zieht aufs Land

Jürg Kaeser ist vor vierzig Jahren als Städter von Bern aufs Land gezogen, zunächst nach Rüdtligen-Alchenflüh, dann nach Ersigen, wo er mit seiner Frau ein Haus gekauft hat. «Ersigen hat mir als Wohnort immer schon gefallen, weil es leicht erhöht liegt und nah beim Naherholungsgebiet ist», betont Kaeser und schwärmt vom bäuerlichen Charakter des Dorfes, der vor allem im Dorfkern noch sichtbar sei.

In Ersigen hat sich Jürg Kaeser von Beginn an engagiert. Angefangen hat sein Engagement mit seiner Beteiligung an der Gründung der FDP Ersigen in den 70er-Jahren, die als Gegenpol und Ergänzung zur SVP und SP fungieren sollte. Bald darauf betätigte er sich in der sogenannten «Antennenkommission», die es zum Ziel hatte, den «Antennenwald» und die Satellitenschüsseln auf den Häusern einzudämmen. In der Kommission wurde bald die Idee entwickelt, ein Kabelnetz in Ersigen zu installieren und dieses an Burgdorf anzuschliessen, das auch dazumal schon eines hatte. Für dieses Unternehmen war nun die Antennenkommission verantwortlich, in der Jürg Kaeser bis weit in die 90er-Jahre tätig war.

Es blieb jedoch nicht bei dieser einen Kommission, viele weitere folgten. So kam Kaeser in den 70er-Jahren auch in die Baukommission und wurde zu Beginn der 80er-Jahre erstmals in den Gemeinderat gewählt. Dort war er zunächst für das Bauwesen zuständig, dann – in der zweiten Amtsdauer – für den Bereich Fürsorge/Vormundschaft. Auch hier war Jürg Kaeser bis in die 90er-Jahre tätig und krönte seine politische Laufbahn schliesslich mit dem Amt des Gemeindepräsidenten.

 

Ein Revival im Gemeinderat

Das Präsidium sollte eigentlich ein gelungener Abschluss der politischen Laufbahn sein, es blieb jedoch nicht bei der einen Amtszeit als Gemeindepräsident von 1998 bis 2001. Im Jahr 2009 standen wieder Wahlen an, in denen die FDP, wie die meisten Parteien, Nachwuchsprobleme hatte und nach Leuten für die Liste suchte. Jürg Kaeser wollte eigentlich nicht mehr kandidieren, stellte sich aber seiner Partei zuliebe wieder zur Wahl. «Weil die FDP immer nur einen Sitz hatte, wir waren ja die kleinste Partei, rechnete ich damit, dass das weiter so bleiben würde und ich nicht gewählt werden würde», hält Jürg Kaeser fest. Allerdings trat die SP, die zwei Sitze besetzte, in dieser Wahl nicht an und die freien Sitze gingen unerwartet beide an die FDP. Somit war Jürg Kaeser überraschend wieder gewählt und konnte für die Legislatur von 2010 bis 2013 erneut das Amt des Gemeindepräsidenten bekleiden. Seit dieser Legislatur waren die ehemals getrennten Ämter des Gemeindepräsidenten und des Gemeinderatspräsidenten im Gemeinderatspräsidium vereint. Auch die Übernahme dieses Amtes kam für den erfahrenen Politiker völlig überraschend, waren doch nach dem Anciennitätsprinzip zwei Bisherige an der Reihe, die aber infolge beruflicher Auslastung verzichteten.

 

Spannende Vergleiche

Insgesamt war Jürg Kaeser über 30 Jahre lang für die Gemeinde Ersigen tätig: «Es war eine gute Zeit, spannend ist auch der Vergleich von früher und heute.» Über diese lange Zeit konnte er drei Veränderungen feststellen. Zum einen hat die Bürokratie merklich zugenommen, was die Arbeit für die Verwaltung oder für die Behörde nicht einfacher macht, zum anderen hat auch der Papierverkehr, entgegen seinen Erwartungen, trotz neuer Technologien zugenommen. Insbesondere hat Jürg Kaeser in seiner Tätigkeit auch festgestellt, dass die Gesellschaft im Gesamten individualistischer, sogar egoistischer geworden ist: «Jeder sieht nur noch seine eigenen Bedürfnisse, es muss für ihn selbst stimmen. Das ist eine Entwicklung, die ich bedaure. Ich möchte lieber, dass der Einzelne auch das Allgemeininteresse im Kopf hat. Mein Wunsch wäre, dass in unserer Gesellschaft das Wir-Gefühl überhandnimmt und das Ich-Gefühl zurücktritt. Das ist zwar ein frommer Wunsch, aber wünschen darf man ja noch!» Diese zunehmende Individualisierung der Gesellschaft hat Jürg Kaeser auch in seinem Amt als Gemeinderatspräsident gespürt. Da die Menschen stärker ichbezogen politisieren, erscheinen sie meist nur an den Gemeindeversammlungen, wenn es um etwas geht, das sie selbst betrifft. Das Gesamtwohl, das für das Wohlbefinden der Bevölkerung wichtig ist, tritt in den Hintergrund.

Den Entwicklungen tritt Jürg Kaeser aber gelassen entgegen, ganz nach seinen zwei Mottos: «Wer oder was mich ärgert, bestimme ich» und «Wer ständig über seinen Sorgen brütet, dem schlüpfen sie auch aus». «Diese zwei Leitsätze haben mir geholfen, keine grauen Haare zu bekommen», verrät er schmunzelnd.

 

Rücktritt nach über 30-jährigem Wirken

Dass sich Jürg Kaeser nun endgültig aus der Politik zurückziehen möchte, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist er ja schon überraschend in ein Amt gelangt, das er gar nicht mehr anstrebte, zum anderen ist er bereits 70 Jahre alt und eigentlich seit fünf Jahren in Pension. Jürg Kaeser arbeitete etwa vierzig Jahre lang als Sekundarlehrer an der Schule in Kirchberg und unterrichtete neben naturwissenschaftlichen Fächern auch Zeichnen und Lebenskunde. Seinen Schülern versuchte er stets ein Vorbild zu sein, besonders das kritische Mitdenken und Hinterfragen von Verhaltensweisen war ihm ein Anliegen.

Seine Zeit als Pensionär konnte er bis jetzt jedoch noch wenig geniessen, persönliche Interessen kamen stets zu kurz. Genau diesen möchte Jürg Kaeser ab 2014 mehr Zeit widmen. Als Naturmensch geht er beispielsweise gerne Ski fahren. Besonders viel Zeit widmet er aber bereits jetzt schon seinen zwei Grosskindern, die 2- und 3½-jährig sind. An zwei Tagen in der Woche hütet er seine Enkel, eine schöne, aber auch fordernde Aufgabe.

Ein weiterer Grund für seinen Rückzug aus der Politik sieht Jürg Kaeser aber auch in seinem Alter: «Ich habe das Gefühl, dass man in einem bestimmten Alter eine andere Generation neue Ideen einbringen lassen sollte. Im Alter weiss man, wie es geht, fährt auf ausgefahrenen Gleisen.» So wird nun also mit Simon Werthmüller der Jüngste im Gemeinderat Präsident; dennoch verfügt dieser bereits über Erfahrung  in diesem Gremium. Interessanterweise gingen sowohl Simon Werthmüller als auch dessen Vater, der übrigens ebenfalls Gemeinderatspräsident war, zu Jürg Kaeser in die Schule. «Das zeigt wohl, dass ich nicht mehr der Jüngste bin», lacht Jürg Käser. Man könnte jedoch auch vermuten, dass sein Vorbild als Lehrer durchaus gewirkt hat.

Wie schon Jürg Kaeser, kann auch Simon Werthmüller sein Amt als Präsident mit dem Wissen antreten, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Parteien hinter ihm stehen.

 

Eine sehr angenehme Zusammenarbeit

Auf seine Zeit im Gemeinderat und als Gemeinderatspräsident blickt Jürg Kaeser gerne zurück: «Die Zusammenarbeit war in meinen Augen sehr gut. Es stand immer die Sache im Vordergrund, nicht die parteipolitischen Interessen. Für einen Gemeindepräsidenten ist es auch besonders wichtig, zuhören zu können. Ansonsten können keine Diskussionen stattfinden.» Obwohl die FDP über einen Sitz weniger verfügt, ist er mit der Zusammensetzung des Rates zufrieden, da nun wieder alle politischen Richtungen des Dorfes vertreten sind.

Auf Ersigen kommen in den nächsten Jahren einige Aufgaben zu. Besonders die Finanzen werden, wie in den meis-ten Gemeinden, viel Aufmerksamkeit benötigen, aber auch Gemeindefusionen und Bauvorhaben werden ein Thema sein. Nicht zuletzt wird 2015 auch 750 Jahre Ersigen gefeiert, ein Ereignis, das bereits jetzt vorbereitet werden muss.

 

Wünsche für die Zukunft

Für die Zukunft wünscht sich Jürg Kaeser vor allem eine Zunahme des Wir-Gefühls. Der Leitspruch Ersigens lautet «Das Dorf zum  Wohlfühlen». Dass sich aber für Wohlbefinden die ganze Bevölkerung engagieren muss, geht oft vergessen. Es muss  erarbeitet werden, sei es durch eine Tätigkeit im Verein oder der Behörde, oder durch ein freundschaftliches Verhältnis zu den Nachbarn. Wohlbefinden fällt nicht vom Himmel und kann nicht vom Gemeinderat verordnet werden. «Alle sind gefordert. Es ist ein steter Prozess, an dem man arbeiten muss. Dies ist mein Wunsch für die Zukunft.»

Jasmin Welte


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