Ukrainische Kinder- und Jugendbücher in der Stadtbibliothek
07.05.2025 Burgdorf, Kultur, Aktuell, Gesellschaft, JugendDer Besuch der ukrainischen Botschafterin Iryna Venediktova in Burgdorf hat eine besondere Bewandtnis: Hier leben, verglichen mit anderen Gemeinden, viele Ukrainerinnen und Ukrainer.
Als der Krieg in der Ukraine vor mehr als drei Jahren ausbrach, verliessen viele Menschen ihre Heimat. Burgdorf bot rund 400 Personen Asyl. Die Mehrzahl der Flüchtlinge bestand aus Frauen und Kindern. Innert weniger Monate eröffnete die Volksschule elf sogenannte Willkommensklassen. Hier lernten die rund 120 Kinder mit Unterstützung ukrainischer und schweizerischer Lehrpersonen nicht nur Deutsch, sondern erhielten auch Unterricht in ihrer Muttersprache.
Diese Gastfreundschaft hat die Botschaft der Ukraine animiert, der Stadtbibliothek Burgdorf rund 160 ukrainische Kinder- und Jugendmedien zu schenken. Die Botschafterin Iryna Venediktova besuchte am 30. April 2025 die Bibliothek mit den Botschaftsmitarbeitenden Alona Bidnova und Samvel Arustamian.
Horizonterweiterung und Heimatgefühle durch Bücher
Andrea Grichting, Leiterin Stadtbibliothek und Burgerarchiv Burgdorf, begrüsste die Gäste. Sie erklärte, dass ein Buch nicht nur bedruckte Seiten zwischen zwei Buchdeckeln einklemme, sondern den Horizont der Leserschaft erweitere. Bücher bedeuten Unterhaltung, bieten Trost, geben Hoffnung, zeigen verschiedene Weltanschauungen oder vermitteln Heimat. Und gerade Letzteres kann mit heimatlicher Literatur geschehen, wie die ukrainische Botschafterin Iryna Venediktova betonte. Während ihrer Kindheit verbrachte sie viele Stunden in einer Bibliothek, weil ihre Mutter dort arbeitete. Mit den geschenkten 160 ukrainischen Kinder- und Jugendmedien möchte sie die Liebe zur Muttersprache unterstützen und bewahren. Denn Sprache ist auch Identität.
Dass schon wenige Monate nach Kriegsausbruch ukrainische Kinder den Weg in die Stadtbibliothek fanden, hat Andrea Grichting damals sehr berührt. Darum setzt sie alles daran, die Bücher so bald als möglich für die Ausleihe aufzubereiten.
Grosszügige Spende der Burgergemeinde
Burgerratspräsident Christoph Bürgi bedankte sich im Namen der Burgergemeinde für die geschenkten Bücher. Er äusserte sein Bedauern über die Kriegstätigkeit in der Ukraine: «Leider können wir den Krieg nicht stoppen. Aber wir können die Ukrainerinnen und Ukrainer unterstützen.» Er überreichte der sichtlich überraschten und berührten Botschafterin einen Check über 10 000 Franken zugunsten des Roten Kreuzes für humanitäre Hilfe in der Ukraine.
Bei einem gemeinsamen Apéro wurden die freundschaftlichen Bande gestärkt.
Interview mit Botschafterin Iryna Venediktova
Im Rahmen des Besuchs von Botschafterin Iryna Venediktova konnte die Zeitung «D’REGION» mit ihr über den Krieg, ihre Heimat und die geflüchteten Menschen sprechen.
«D’REGION»: Haben Sie die Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge nach Kriegsbeginn miterlebt?
Iryna Venediktova: Das erste Jahr des Krieges habe ich in der Ukraine erlebt. Ich habe als Generalstaatsanwältin der Ukraine gearbeitet und sehr viele russische Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine gesehen.
«D’REGION»: Haben sich die Flüchtlinge willkommen gefühlt?
Iryna Venediktova: Die Ukrainer/innen sind keine «Flüchtlinge», sondern vorübergehende Gäste in einem anderen Land. Sie lieben die Ukraine und wollten nicht weggehen. Mit der russischen Aggression waren sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wir leben jeden Tag mit der Hoffnung auf den Sieg der Ukraine und auf einen gerechten Frieden.
Wir danken der Schweizer Bevölkerung und der Regierung ganz herzlich. Sehr viele Menschen haben ihre Häuser geöffnet und das hat uns berührt.
«D’REGION»: Verfolgen Sie das Kriegsgeschehen in Ihrer Heimat täglich mit?
Iryna Venediktova: Wir arbeiten in der Schweiz, erleben aber alle Ereignisse, die in der Ukraine stattfinden, täglich gemeinsam mit Ukrainerinnen und Ukrainern aus unserem Land. Man kann kein normales Leben führen, wenn die Familien und Angehörigen in der Ukraine sind.
Beispielsweise im April gab es drei massive Raketenangriffe auf die ukrainischen Städte Krywyj Rih (4. April 2025, 21 Menschen kamen ums Leben), Sumy (13. April 2025, 35 Menschen kamen ums Leben) und Kiew (24. April 2025, 12 Menschen kamen ums Leben und 90 wurden verletzt).
«D’REGION»: Es kamen vor allem Frauen und Kinder in die Schweiz, auch nach Burgdorf. Haben Erwachsene und Kinder die Integration gleich gut geschafft?
Iryna Venediktova: Es ist nie einfach, seine Heimat zu verlassen und ins Unbekannte zu gehen.
Viele Menschen, insbesondere Kinder, sind bereits psychisch traumatisiert durch das, was sie unter den harten Bedingungen des Krieges erlebt oder gesehen haben. Aber die Kinder können sich schneller anpassen und integrieren, sie haben nicht die gleichen Barrieren wie Erwachsene. Sie können täglich im Kindergarten oder in der Schule in der neuen Sprache kommunizieren.
«D’REGION»: Unterscheidet sich die Mehrheit der Ukrainer/innen in der Schweiz von jenen, die in der eigenen Heimat geblieben sind?
Iryna Venediktova: Die Ukrainer/innen in der Ukraine und der Schweiz lieben ihr Land gleichermassen und tun alles, um den Sieg der Ukraine herbeizuführen.
«D’REGION»: Können die geflohenen Menschen hier ihre Kultur weiterleben und wenn ja, in welcher Form?
Iryna Venediktova: Die Eröffnung eines ukrainischen Bücherregals in der Stadtbibliothek Burgdorf ist ein Zeichen dafür, dass es möglich ist, unsere Kultur zu unterstützen und weiterzuleben.
«D’REGION»: Sind Ukrainer/innen in der Schweiz integriert oder leben sie unter sich? Finden sie Zugang zur Schweizer Bevölkerung?
Iryna Venediktova: Zu Beginn des Krieges lebten die meisten Ukrainer/innen in Schweizer Familien. Zurzeit haben sie mehr Möglichkeiten, einen Job zu finden und eine eigene Wohnung zu mieten.
«D’REGION»: Funktioniert die Integration in den Arbeitsprozess?
Iryna Venediktova: Eine Barriere ist die Sprache. Viele sprechen Englisch und lernen Deutsch. Aber wenn man nicht täglich die Möglichkeit hat, die neue Sprache zu üben, bleibt sie schwierig. Viele Ukrainer/innen arbeiten hier. Doch Mütter von kleinen Kindern finden seltener eine Arbeit, da sie ihre Kinder beaufsichtigen müssen. Zudem sind die Betreuungskosten in der Schweiz recht hoch.
«D’REGION»: Wie sehen Sie die Zukunft der Ukrainer/innen in der Schweiz?
Iryna Venediktova: Wir verstehen, dass sehr viele Ukrainer/innen sich schon gut integriert haben in der Schweiz.
Es sollte die freie Entscheidung dieser Menschen sein, wo und wie sie ihr Leben weiterführen wollen. Doch die Ukraine wird immer auf die Rückkehr ihrer Töchter und Söhne warten. Neue Kenntnisse, Sprachen und Fähigkeiten, die diese Menschen mitbringen, werden beim Wiederaufbau der Ukraine helfen.
Text und Interview: Helen Käser